Kieler Erinnerungstag:Oktober 1899
Beginn des Kieler Hafenprozesses

Im Oktober 1899 erhob die Stadt Kiel Klage gegen die Reichsmarine und den preußischen Staat und löste damit den bedeutendsten Prozess der Kieler Stadtgeschichte aus. Es ging um nichts Geringeres als die Frage, wem der Kieler Hafen gehört. Anlass war, dass das Kaiserliche Kanalamt 1889/90 Aufschüttungen zu beiden Seiten der Kanalmündung in Holtenau vorgenommen hatte und diese neu gewonnenen Flächen für die Marine und die Kaiserliche Werft beanspruchte. Die Stadt Kiel bestand aber darauf, dass sie ein Eigentumsrecht am Hafen und am Vorstrand habe und untersagte, „dass die Kaiserliche Werft an der betreffenden Stelle ohne unsere Zustimmung bauliche Anlagen vornehmen“ ließ. Die Marine dagegen erkannte diese Rechte nicht an und teilte der Stadt mit: „Wenn die Stadt der Ansicht ist, daß die Rechtsansprüche des Marine-Fiskus unbegründet sind, so kann sie sich in prozessualem Wege ihre vermeintlichen Rechte erkämpfen“.


Zum Eklat kam es, als die Marine die Gleise einer städtischen Feldbahn, die von der Gasanstalt in der Wik ans Wasser führte und zum Transport von Koks zu den Schiffen diente, durch einen Zaun versperrte. Daraufhin sah sich die Stadt Kiel veranlasst, eine Klage gegen den Königlich-Preußischen Fiskus und den Fiskus des Deutschen Reiches einzureichen wegen der Feststellung des Eigentums am Kieler Hafen. Sie beantragte: „1. festzustellen, daß der Klägerin das Eigenthum an der Kieler Föhrde ... sowie an dem auf beiden Seiten derselben liegenden Vorstrand ...zusteht, 2. Beklagte zu verurtheilen, sich aller Eingriffe in dieses Eigenthum zu enthalten“.

Widerstreitende Gutachter

Die Stadt berief sich in diesem Rechtsstreit auf ihre in alten Urkunden niedergelegten Privilegien: auf die Gründungsurkunde der Stadt 1242 sowie die Hafenprivileg des Schleswiger Herzogs Waldemar von 1334 und des dänischen Königs Christian I. von 1461. Diese Privilegien besagten u. a., dass zur Stadt Kiel auch der Hafen und die Strände von der Hörn bis zu einer Linie Bülk bis Bottsand gehörten. Außerdem machte die Stadt Ersitzung und „unvordenkliche Verjährung“ geltend. Das Deutsche Reich dagegen berief sich darauf, dass sie die tatsächliche Herrschaft im Kieler Hafen und den Vorstränden besitze und sie sich ersessen habe.

Kiel ging mit gewissen Hoffnungen in diesen Rechtsstreit, denn in Flensburg, Stralsund, Kolberg und Crampas/Rügen hatten die Städte letztlich ihre Eigentumsrecht am Hafen erstreiten können.

Der erste Prozess begann 1899. Jede Seite schaltete Gutachter ein. Der von der Stadt Kiel bestellte Sachverständige, Prof. Richard Schroeder von der Universität Heidelberg, kam zu der Auffassung, dass „der Stadt durch Landesherrliche Privilegien lediglich ein gewisser Inbegriff von seit längerer Zeit tatsächlich ausgeübten Hoheitsrechten bestätigt worden sei“. Im übrigen sei aber dem Landesherren die volle Landeshoheit vorbehalten gewesen. Der vom Reichs- und Staatsfiskus benannte Sachverständige, Prof. Otto Gierke aus Berlin, war der Ansicht, dass der Stadt das „volle Sachherrschaftsrecht an der Kieler Föhrde zustehe“. D. h. das Gutachten im Auftrage der Stadt Kiel fiel zu Gunsten des Reiches aus, das des Staates zu Gunsten Kiels. Der anschließend vom Gericht bestellte Obergutachter, der Kieler Historiker Prof. Christian August Volquardsen, kam zu dem Schluss, dass die Stadt nur Eigentümerin des schleswigschen Teils der Förde sei, nicht aber des holsteinischen.

Niederlage in 2. Instanz

Die Stadt Kiel gewann 1902 den Prozess in der 1. Instanz. Das Urteil des Kieler Landgerichts lautete: „Es wird festgestellt, daß der Klägerin [der Stadt Kiel] das Eigentum an der Kieler Föhrde bis zu einer vom Bülker Leuchtturm nach Bothsand gezogenen Linie, sowie an dem auf beiden Seiten der Kieler Föhrde liegenden Vorstrand bis zu diesen Punkten, insbesondere auch an den in der Wiker Bucht und nördlich von Holtenau in der Richtung nach Friedrichsort von der Kaiserlichen Kanalkommission beschütteten Fläche, zusteht“.

Das Reich legte Berufung ein und gewann den Prozess 1904 in 2. Instanz, da Kiel die Gründungsurkunde von 1242 nicht im Original vorlegen konnte und die Echtheit der Abschriften aus dem 18. Jahrhundert angezweifelt wurde. Kiel hatte den Prozess also verloren. Auf eine Revision beim Reichsgericht verzichtete die Stadt wegen geringer Erfolgsaussichten und der ausufernden Kosten. Das Eigentum am Hafen und seinen Vorstränden war damit für Kiel verloren. Die Interessen der Marine hatten sich durchgesetzt, mit weitreichenden Folgen für die Wirtschaft und die bauliche Entwicklung der Stadt.

Der Hafenprozess war schon 1866 verloren

1865 war Kiel preußische Marinestation, 1867 Kriegshafen des Norddeutschen Bundes und 1871 Reichskriegshafen geworden. Seit der Zeit wurde Kiel in seiner Stadt, in seinem Hafen und in seiner Wirtschaft von der Marine beherrscht.

Schon 1866 gab es die erste Zurechtweisung der Stadt durch die Marine. Es ging um eine Landebrücke „bei dem hiesigen Marine Depot Etablissement“ in Düsternbrook. Die preußische Hafenkommandatur wies das Mitspracherecht der Stadt am 17. Januar 1866 mit der Begründung zurück, „daß nach dem Gasteiner Vertrag die für den Kriegshafen zu machenden Anlagen keiner vorhergehenden Verständigung mit den Local- und Bundesbehörden bedürfen, daß es aber allerdings der Billigkeit entspricht, der städtischen Hafenbehörde von dergleichen Anlage Kenntnis zu geben.“ In dem Schriftwechsel heißt es weiter, die Stadt habe kein Recht, „unter allen Umständen gehört werden zu müssen oder Einsprüche erheben zu können.“ So kommt der Kieler Historiker Michael Salewski zu dem Urteil, dass der Hafenprozess nicht erst 1904 verloren sei, sondern schon 1866.

Die Marine beherrscht die Kieler Förde

Nachdem Kiel 1865 zur preußische Marinestation der Ostsee ernannt worden war, entstanden bis 1914 umfangreiche Befestigungsanlagen zur Sicherung der Flotte, der Kaiserlichen Werft und des Nord-Ostsee-Kanals. Auf dem Ostufer lagen die Forts Stosch, Korügen und Röbstorf, auf dem Westufer Friedrichsort, Falkenstein, Holtenau und Herwarth. Dazwischen gab es Panzertürme und Batterien.

Außerdem war für Kiel von entscheidender Bedeutung, dass der preußische König 1867 die Errichtung „eines Marineetablissements gegenüber von Kiel am Strand von Ellerbek“ verfügte. Salewski meint, dass die Stadt zu diesem Zeitpunkt hätte hellhörig werden müssen, da diese Entscheidung für Kiel und seinen Handelshafen Folgen hatte. In der Koch’schen Denkschrift heißt es dazu: „Ob man in Kiel von den Verhandlungen über die Anlage des Marineetablissements Kenntnis hatte, läßt sich nicht nachweisen, auch wurden von städtischer Seite nicht gerade Schritte getan, um die Beschlußfassung der Marine zugunsten von Kiel zu beieinflussen.“ Es seinen jedoch „aktenmäßige Anzeichen vorhanden, daß der Stadt die Herkunft der Marine nicht unwillkommen war.“ Dennoch stellte der Magistrat am 28. Juli 1869 fest: „Der Kieler Hafen nebst seinen Vorstränden gehört zum Weichbilde der Stadt Kiel. Derselbe ist wie fast alle Häfen der Herzogtümer ein Kommunalhafen und steht in dieser seiner Eigenschaft unter der Verwaltung und der zweckentsprechender Verfügung der städtischen Behörden“.

Die Königliche, seit 1871 Kaiserliche, Werft mit mehrfacher Erweiterung nach Süden und nach Norden reichte schließlich von Gaarden bis zur Schwentinemündung. Sie war die größte Werft auf dem Ostufer und war für Neubauten und Instandsetzung der Schiffe der Kaiserlichen Marine zuständig. In der Kaiserlichen Torpedowerkstatt in Friedrichsort wurden Torpedos und Torpedorohre hergestellt. Auch die privaten Werften, die Krupp-Germania-Werft und die Howaldtswerke, verdankten ihren schnellen Aufstieg den ständig wachsenden Marineaufträgen. Die drei großen Werften nahmen das gesamten Ostufer der Förde ein.

An der Küste des Westufers entstanden am Düsternbrooker Weg die Marineschule und die Marineakademie und in der Wik eine Kasernenanlage mit 40 großen Gebäuden. So wurde an der gesamten Förde Kiels Funktion als Reichskriegshafen und Stadt der Werften sichtbar.

Der Kieler Handelshafen in Abhängigkeit von der Marine



Auch die Interessen des Handel mussten hinter den Bedürfnissen der Flotte in Kiel zurückstehen. 1874 war die Stadt gezwungen, das Aufsichtsrecht im äußeren Hafen an die Marine abzutreten, so dass der Handelshafen auf den innersten Teil der Förde zurückgedrängt wurde und zwar auf die Linie Schloss-Gaardener Fähranleger.

1875 wurde den Handelsschiffen ein bestimmtes Fahrwasser vorgeschrieben. Durch das Reichskriegshafengesetz von 1883 bedurften sämtliche Bauten im Hafengebiet der Genehmigung des Stationschefs der Ostsee. Die Seepolizeiverordnungen von 1892 und 1897 bedeuteten weitere Einschränkungen für die Handelsschiffe. Sie waren nun zur mäßigen Geschwindigkeit und zum Ausweichen gegenüber Kriegsschiffen verpflichtet. Zusätzlich zu Torpedoversuchen waren diese Maßnahmen auch wegen häufiger Flottenmanöver und der Besuche des Kaisers mit seiner Yacht eine starke Behinderung für die Handelsschiffe.

Auch die örtliche Polizeigewalt verlor Kiel. Am 1. April 1898 wurde die städtische Sicherheitspolizei von der Königlichen Polizei übernommen, am 1. Juli 1899 gingen auch die hafenpolizeilichen Aufgaben in die Hände der Staatspolizei über. So war die zivile Schifffahrt zahlreichen Beschränkungen durch die Marine ausgesetzt.

Versuche, den Handelshafen auszubauen

Trotz der großen Schwierigkeiten bemühte sich die Stadt um die Erweiterung der Hafenanlagen und der Lagerplätze. Durch einen Vertrag mit der Marine 1871, der auf gegenseitigen Leistungen beruhte, wurde die Ausdeichung der Hörn vorgenommen und neue Ufermauern gebaut, so dass bis 1882 die Stadt 5,5 ha neue Kaianlagen und Lagerplätze gewann.

In den 1880er Jahren wurde der Schiffsverkehr endgültig auf Dampfschiffe umgestellt. Der Hafen an der Hörn war dafür wenig geeignet, denn die Kaianlagen waren zu kurz, die Ladeeinrichtungen unzureichend. Eine Hafenkommission beauftragte den Hamburger Ingenieur Meyer, einen Entwurf für einen modernen Kieler Handelshafen zu entwerfen. Dieser schlug vor, durch Zuschüttung des Bootshafens eine längere Kaifläche zu schaffen und einen Außenhafen in der Wik zu errichten. Bereits 1887 hatte der weitsichtige Bürgermeister Mölling mit der Marine darüber Verhandlungen geführt und war zu einem relativen Erfolg gelangt. Aber in der Stadtverordnetenversammlung gab es jahrelange Diskussionen über Meyers Vorschläge für ein Wiker Hafenprojekt. Die Mehrheit der Stadtverordneten war nicht von der Notwendigkeit dieses Hafens zu überzeugen. Rückblickend muss man dies Verhalten als Fehler betrachten. Denn die Abhängigkeit von der Marine wäre geringer und die Kieler Handelsmöglichkeiten größer gewesen. Als die Stadt einige Jahre später dann doch einen Hafen in der Wik forderte, versagte der Chef der Marinestation 1901 aufgrund des Reichskriegshafengesetztes die Genehmigung, denn die Wiker Bucht wurde von der Marine für eigene Zwecke beansprucht.

Zeitlich parallel zum Wiker Hafenprojekt führte die Stadt den Prozess um das Eigentum im Kieler Hafen. Auch dieser ging zu Ungunsten Kiels aus. Die Stadt war also allein auf den Handelshafen an der Hörn angewiesen, der nach etlichen Plänen von 1902-1905 ausgebaut wurde. Der Kieler Handelshafen war nur von geringer Bedeutung, nicht nur durch das Verhalten der Marine, sondern auch durch lange Diskussionen, zögerliches Verhalten und zu geringe Investitionen in den Hafen durch die Stadtvertretung. Stadt und Hafen wurden von der Marine und den Werften bestimmt.

Autorin: Christa Geckeler (1937 - 2014)


Quellen

Akten zum Hafenprozess der Stadt Kiel (1899-1904), hrsg. von Carl Rodenberg, Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 23, Kiel 1908

Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt Kiel in der Zeit vom 1. April 1896 bis 31. März 1901, Kiel 1902, S. 437 f.

Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt Kiel in der Zeit vom 1. April 1901 bis zum 31. März 1906, Kiel 1907, S. XXV f., S. 304-307

Literatur

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Bestrebungen und Maßnahmen zur Föderung des Kieler Handels in Vergangenheit und Gegenwart (1242-1914), Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 31, Kiel 1922, S. 279-287

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Kieler Stadtporträt 1870/1920. Der Einzug der Moderne im Spiegel der Postkarte, Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 42, Heide 1902, S. 10-14

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Wiker Hafenprozess, in: Kieler Anzeiger, Sonderausgabe 1998

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Kiel und die Marine, in: Geschichte der Stadt Kiel, hrsg. von Jürgen Jensen und Peter Wulf, Neumünster 1991, S. 273-283

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Bevölkerung, Wirtschaft und Politik im kaiserlichen Kiel zwischen 1870 und 1914, Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 7, Kiel 1978, S. 201-265

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50 Jahr Hafen- und Verkehrsbetriebe. Die Geschichte des Kieler Hafens, Hg.: Hafen- und Verkehrsbetriebe der Landeshauptstadt Kiel, Neumünster 1991, S. 16-45

Zottmann, Anton

Kiel. Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart und die Grundlagen ihres ökonomischen Neuaufbaus, Schriftenreihe der Stadt Kiel, Kiel 1947, S. 8-14

Zeitungen:

Nordische Rundschau

vom 19. November 1935



Dieser Artikel kann unter Angabe des Namens der Autorin Christa Geckeler, des Titels Kieler Erinnerungstage: Oktober 1899 | Beginn des Kieler Hafenprozesses und des Erscheinungsdatums 01. Oktober 2009 zitiert werden.

Zitierlink: https://www.kiel.de/erinnerungstage?id=106

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