Kieler Erinnerungstag:28. Januar 1955
50 Jahre Haus der Heimat

In der Wilhelminenstraße 47/49, gegenüber dem ehemaligen Gebäude der Ingenieurschule, steht das „Haus der Heimat“, das auf Initiative der Heimatvertriebenen gebaut wurde. Vor 50 Jahren, am 28. Januar 1955, fand die feierliche Einweihung unter Beteiligung von Vertretern der Stadt Kiel, des Landes Schleswig-Holstein und der Landsmannschaften statt. Heute kennen nur wenige Kieler dieses Haus. Zur Zeit seiner Entstehung war das allerdings ganz anders.

Schleswig-Holstein ein Flüchtlingsland


Schleswig-Holstein wurde Ende des Zweiten Weltkrieges Zufluchtsland für Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten jenseits der Oder und Neiße. In den letzten Kriegsmonaten 1945 setzte mit dem Vorrücken der Roten Armee eine Massenflucht aus diesen Gebieten nach Westen ein. Ziel der Flüchtlinge war vor allem Schleswig-Holstein aufgrund seiner Seeverbindungen und weil es im Krieg weniger als andere deutsche Gebiete betroffen war. Zu diesen Flüchtlingen kamen dann seit 1946 die Vertriebenen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße, aus Ungarn und der Tschechoslowakei.

Die Bevölkerungszahl war in Schleswig-Holstein im Oktober 1946 seit dem Mai 1939 von 1,5 Millionen auf 2,6 Millionen angewachsen. Das bedeutete eine Zunahme von 67%. Dieser Durchschnittswert verdeckt die realen Verhältnisse. In einigen Kreisen und Städten Schleswig-Holsteins lag der Bevölkerungsanstieg über 100%, in Kiel jedoch war die Einwohnerzahl um 17% gesunken, denn 35% der Häuser waren im Krieg total und 40% mehr oder minder stark zerstört worden. Dennoch lebten in dieser Stadt Flüchtlinge: 1946: 21.800 (10% der Bevölkerung), 1951: 56.810 (22% der Bevölkerung).

Ein Großteil dieser Menschen musste in Lagern oder Nissenhütten unter primitivsten Verhältnissen wohnen. Ganz unzureichend waren die hygienischen Verhältnisse. Ein Anstieg der Säuglingssterblichkeit war die Folge. Ebenso war die Versorgung der Flüchtlinge sehr schwierig, denn die Rationen auf den Lebensmittelkarten reichten zum Leben nicht, und Wertsachen, die man gegen Lebensmittel eintauschen konnte, hatten wenige Flüchtlinge. Die wirtschaftliche Eingliederung der Flüchtlinge bereitete auch große Probleme, denn die Stadt war weitgehend zerstört, hinzu kamen Demontagen und Beschränkungen der Produktionsstätten durch die britische Besatzungsmacht. Die Flüchtlingsfrage wurde für die Stadt zum „vordringlichsten Verwaltungsproblem“, von dessen Lösung „der wirtschaftliche und soziale Friede unserer Heimat in Zukunft abhängen“ werde, so der Kieler Dezernent des Sozialamtes 1946. Auch 1949 lebten die Flüchtlinge und Vertriebenen teilweise noch unter unwürdigen Verhältnissen in den Lagern.


Im Februar 1946 war in Kiel innerhalb des Sozialamtes ein Flüchtlingsausschuss mit Vertretern der Flüchtlinge berufen worden, der die kommunalen Dienststellen in allen Flüchtlingsfragen beraten sollte.

Gründung des Verbandes der Heimatvertriebenen


Schon früh setzte unter den Flüchtlingen und Heimatvertrieben selbst das Bemühen ein, sich zusammenzuschließen. Hatte die Militärregierung noch 1947 solche Vereinigungen verboten, durften sich ab Sommer 1948 Vertriebenenverbände bilden. Diese durften sich aber nicht politisch betätigen. Am 22. August 1948 fand im „Eiderkrug“ die erste Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Ostdeutscher Hilfsgemeinschaften statt. Schon bald nach der Gründung wurde der Zusammenschluss der Kieler Landsmannschaften umbenannt in „Verband der Heimatvertriebenen Kreis Kiel e. V.“(VdH).

Die gute Zusammenarbeit mit der Stadt Kiel fand ihren Niederschlag darin, dass die Beratungstätigkeit für die Flüchtlinge 1949 auf den VdH überging.

Beratertätigkeit des Verbandes der Vertriebenen


Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, die Hab und Gut und ihre Heimat verloren hatten, fanden hier Hilfe im Umgang mit den Behörden und bei der Durchsetzung ihrer gesetzlichen Ansprüche. Sie sollten das Gefühl haben, dass sie mit ihren Sorgen und Nöten nicht allein sind, dass es Menschen gibt, die ihr Schicksal erleichtern.

Beim zehnjährigen Bestehen konnte der VdH auf eine stolze Bilanz zurückblicken. Bis dahin wurden ca. 60 000 Personen, Heimatvertriebene, Flüchtlinge und einheimische Kriegsgeschädigte, mündlich beraten. Weitere 8000 Beratungen erfolgten schriftlich. Der Verband selbst umfasste ungefähr 9000 Mitglieder, gegenwärtig sind es ca. 700.

Heute, nachdem die Eingliederung der Flüchtlinge vollzogen ist, besteht die Beratungsstelle immer noch. Sie ist seit 1988 vor allem für Aussiedler, Zuwanderer und Imigranten deutscher Volkszugehörigkeit zuständig. Da diese zumeist am Anfang wenig Deutsch sprechen, werden ihnen Sprachkurse erteilt, Formulare ausgefüllt, Urkunden übersetzt und in Informationsgesprächen Hilfe zur beruflichen und gesellschaftlichen Orientierung gegeben.

Seit im Jahr 1995 die Fördergelder für die Beratungsstelle von der Landesregierung gestrichen wurden, wird die soziale Einrichtung ausschließlich mit Mitteln aus den Beiträgen der Landsmannschaften - heute sind es sieben von den ursprünglich zehn - sowie durch ehrenamtliche Arbeit getragen.

Das „Haus der Heimat“ wird eingerichtet


Die Beratungsstelle war 1949 zunächst in der Treppenstraße untergebracht, dann in der Waisenhofstraße und später im früheren „kleinen Stadttheater“, dem heutigen Schauspielhaus, seit 1955 im „Haus der Heimat“.

Am 22. Dezember 1953 war auf Initiative des VdH der Grundstein für dieses Haus gelegt und das Gebäude am 28. Januar 1955 eingeweiht worden. Finanziell wurde der Bau des Hauses ermöglicht durch staatliche Stellen und privaten Spenden. So leistete die Landesregierung einen Kostenzuschuss, in allen Landsmannschaften wurden für 1,- DM sogenannte Bausteine verkauft. Die restlichen Mittel wurden durch Hypotheken gedeckt. Die Stadt Kiel verpflichtete sich zum laufenden Unterhalt des Hauses unter der Voraussetzung, dass das Gebäude zum 31.12.1975 in den Besitz der Stadt übergeht. So geschah es am 1. Januar 1976. Die Stadt Kiel bezahlt auch heute alle mit dem Haus zusammenhängenden Kosten und überlässt es dem VdH zur kostenlosen Nutzung.

Das „Haus der Heimat“ enthält zwei Läden und elf Wohnungen, die anfangs die Wohnungsnot der Flüchtlinge lindern sollten, heute aber privat vermietet werden. Im Verwaltungsteil befinden sich Büroräume für die Geschäftsstelle des Verbandes der Vertriebenen, für die Landsmannschaften und die Beratungsstelle. Außerdem sind Jugendräume, Versammlungs- und Konferenzzimmer und eine Bibliothek vorhanden.

In der Urkunde, die in den Grundstein eingemauert ist, steht die dem Haus zugedachte Bestimmung: „Zur Pflege unserer heimatlichen kulturellen Güter, als Zuflucht für die, die des Rates bedürfen, als Stätte der Mahnung und Sammlung für unsere Jugend, als Bekenntnis unseres Willens, der deutschen Einheit zu dienen“.

Das „Haus der Heimat“ war 1955 im Bundesgebiet das erste und einzige Bauwerk dieser Zweckbestimmung.

Darüber hinaus sollte das Haus aber auch gleichzeitig eine Stätte der Begegnung zwischen den einheimischen Bürgern und den Heimatvertriebenen in der Stadt Kiel und beispielgebend für das Land Schleswig-Holstein und das Bundesgebiet sein.

Wohnungsbauprogramm des VdH


Nicht nur das „Haus der Heimat“ wurde auf Initiative des VdH errichtet, sondern der Verband setzte sich auch dafür ein, die Wohnungsnot der Flüchtlinge und Vertriebenen zu lindern. Baumöglichkeiten aber waren nur gegeben, wenn eines der damals in Kiel tätigen Wohnungsbauunternehmen Bauträger wurde. Mit der Unterstützung der Landesregierung fiel die Wahl auf die Wohnungsbaugesellschaft Schleswig-Holstein m.b.H. Trotz großer finanzieller Schwierigkeiten konnten seit 1950 zahlreiche Bauvorhaben durchgeführt werden: in Holtenau in der Gravensteiner-und Richthofenstraße und Waffenschmiede, in Kronshagen, Wellsee, Pries, in der Holtenauer - und Waitzstraße. In den mehrgeschossigen Wohnhäusern wurden auch Ladenzeilen geplant, so dass Kaufleute unter den Vertriebenen wieder ein eigenes Geschäft eröffnen konnten. Durch das Wohnungsbauprogramm des VdH gelang es vielen Flüchtlingsfamilien, nach Jahren des Baracken-und Lagerlebens in eine eigene Wohnung zu ziehen.

Kulturarbeit im „Haus der Heimat“


Bei der Grundsteinlegung für das „Haus der Heimat“ war als eines der Ziele die „Pflege unserer heimatlichen kulturellen Güter“ genannt worden. Daher fanden und finden im Haus in der Wilhelminenstraße Dichterlesungen, Konzerte, Ausstellungen und Vorträge statt, die den Besuchern Wissen über die ehemaligen deutschen Ostgebiete und Schleswig-Holstein vermitteln. Viel Arbeit leisten hierbei die Frauengruppen der Landsmannschaften, die die jeweiligen Ausstellungen betreuen.

Ein Kernstück des „Hauses der Heimat“ ist die Bücherei, die dem kulturellen Erbe der ehemaligen deutschen Ostgebiete gewidmet ist, und deren Bestand aus Privatbesitz und Bibliotkeken ständig erweitert wird. Sie enthält ein großes Angebot an Bildbänden über Städte, Landschaften, Kunst- und Bauwerke, an Karten, geschichtlichen Darstellungen, Sagen, Märchen und auch an Unterhaltungsliteratur.

Diese Bibliothek ist nicht nur den Mitgliedern der Landsmannschaften zugänglich, sondern allen Kielern und Schleswig-Holsteinern, die sich über die Heimatregion der Vertriebenen informieren wollen.

Autorin: Christa Geckeler (1937 - 2014)


Literatur

Zu den Flüchtlingen allgemein:

Carstens, Uwe

Die Flüchtlingslager der Stadt Kiel. Sammelunterkünfte als desintegrierender Faktor der Flüchtlingspolitik, Schriftenreihe der Kommission für ostdeutsche Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde E. V., Band 62, Marburg 1992

Hirsch, Helga

Flucht und Vertreibung – Kollektive Erinnerung im Wandel,

www.bpb.de

/publikationen/7GE5AG,0,0,Kollektive_Erinnerung_im_Wandel.html

Jensen, Jürgen und Peter Wulf (Hg.)

Geschichte der Stadt Kiel, Neumünster 1991

Pohl, Karl Heinrich (Hg.)

Regionalgeschichte heute. Das Flüchtlingsproblem in Schleswig-Holstein nach 1945, Bielefeld 1997


Zum Verband der Vertriebenen:

20 Jahre – Haus der Heimat,

hrsg. vom Verband der Vertriebenen – Vereinigte Landsmannschaften,Kreis Kiel e. V. (VdH), Kiel 1975

30 Jahre Haus der Heimat,

hrsg. vom Verband der Vertriebenen – Vereinigte Landsmannschaften, Kreis Kiel E. V., Kiel 1985

Gedenkschrift. 40 Jahre Verband der Vertriebenen

– Vereinigte Landsmannschaften, Kreis Kiel e. V., Kiel 1995; Maschinenschriftliche Ergänzung von Margarete Beyer, Kiel Januar 2004

Kieler Expreß

vom 2. November 1988

Kieler Nachrichten

vom 29. Januar 1955; 30. Januar 1961; 22. Februar 1965; 29. Januar 1975; 18. September 1978; 6. März 1985; 9. März 1985; 2. November 1988; 19. Dezember 2003

Ostpreußen Gemeinschaft,

Mitteilungsblatt der Ostpreußen-Hilfsgemeinschaft Kreisverband Kiel, Februar 1975

Schleswig-Hosteinische Volks-Zeitung

vom 28. und 29. Januar 1955; 1. Juli 1960, 17. Februar 1965


Dieser Artikel kann unter Angabe des Namens der Autorin Christa Geckeler, des Titels Kieler Erinnerungstage: 28. Januar 1955 | 50 Jahre Haus der Heimat und des Erscheinungsdatums 28. Januar 2005 zitiert werden.

Zitierlink: https://www.kiel.de/erinnerungstage?id=31

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