Kieler Erinnerungstag:30. März 1957
Die letzte Fahrt der Kieler Postpferde

Am 30. März 1957 waren die gelben Postwagen mit Fähnchen und Girlanden geschmückt, und auch die Pferde waren mit Blumen bekränzt: Zum letzten Mal fuhr die Paketpost mit Pferdegespannen durch Kiel. Viele Bürger waren zum Paketpostamt am Hauptbahnhof gekommen, um mit Streicheln und Zuckerstücken von den Pferden Abschied zu nehmen, ging doch eine Ära zu Ende. Oberpostsekretär Schröder in historischer Postillion- Uniform blies vom Bock des mit Schimmeln bespannten ersten Wagens auf einem alten Posthorn zur letzten Fahrt.

Bis zu diesem 30. März 1957 wurde die Paketpost mit 13 Pferdewagen zugestellt, die ein- oder zweispännig gezogen wurden. Dafür gab es 17 Pferde, die nur für die Post dienten. Zu Weihnachten wurden Bauernpferde hinzugemietet, oder Fuhrunternehmer Neelsen half aus. Von Hassee bis zur Wik, von Hasseldieksdamm bis Dietrichsdorf reichte der Bezirk der Pferdepostfuhrwerke für die Paketzustellung. An jeder Haltestelle der Pferdepost warteten die Kieler auf ihre Pakete und Päckchen.

Schon in den 1930er Jahren sollte die Zustellung motorisiert werden. Aber die Oberpostdirektion in Kiel lehnte mit der Begründung ab, dass es hier mehrere steile Straßen gebe, die den Autos nicht zuzumuten seien. 1957 aber war es so weit. Zwölf Schnelllaster mit einer Ladefäghigkeit von 3/4 t und vier größere LKW ersetzten die Postgespanne. Die Kostenersparnis betrug 50 000 DM im Jahr. Kiel war damit die vorletzte Stadt in der Bundesrepublik, die ihre Paketpost umstellte. Nur noch in Wuppertal wurden die Pakete per Pferd zu den Empfängern gebracht.

Auf „Höllen- und Teufelswegen“: Mit der Post unterwegs

Vor knapp 200 Jahren beförderte die Post nicht nur Briefe, Pakete und Waren, sondern auch Fahrgäste, natürlich mit Pferden, Wagen, Kutschen. Um 1835 galt in und um Kiel das dänische Postwesen. Im Postkontor von Kiel waren nur zehn Personen angestellt: ein Postmeister, ein Postbevollmächtigter, drei Postschreiber, ebenso viele Briefträger, ein Litzenbruder (Träger) und ein Wagenmeister.

Die Beförderung von Sendungen und Personen vergaben die dänische und auch die herzogliche Post an private Fuhrleute, die sich zu sog. „Fuhrrollen“ zusammenschlossen, die ähnliche Funktionen wie die Zünfte hatten. In Kiel wurde diese Rolle 1698 durch neun Bürger gegründet. Die Neuaufnahme eines Mitgliedes bedurfte der Zustimmung des Kieler Bürgermeisters und des Rates. Den Fuhrdienst übten die Mitglieder hauptsächlich im Nebenerwerb aus, da zwischen den einzelnen Fahrten Tage und Wochen vergingen, weil sie streng der Reihe nach vergeben wurden. Den Fahrdienst selbst versahen Knechte. Die Genehmigung der einzelnen Fuhren durch Ausgabe von Passierscheinen war Aufgabe des königlichen Postmeisters.

Um 1800 gab es in Schleswig-Holstein 45 Poststationen, in denen in jeder Nacht zumindest „eine Laterne, eine Person zum Empfang bei der Hand und ein warmes Zimmer anzutreffen sein“ sollte. Meistens waren die Poststationen aber ansehnliche Gasthäuser, wo die Reisenden und der Postillion sich ausruhen und übernachten konnten. Eine regelmäßige Rast auf Reisen war aber vor allem auch für die Pferde notwendig, die ausruhen, fressen und saufen mussten.

Reisen mit der Post und Brief- und Paketbeförderung waren nur selten und auf wenigen Strecken möglich. Einmal in der Woche fuhr ein Postwagen von Altona nach Apenrade, von Altona nach Husum und zweimal in der Woche von Kiel über Preetz, Plön, Segeberg, Oldesloe, Ahrensburg, Wandsbek nach Altona. Die Wagen waren meistens offen, sog. Stuhlwagen oder holsteinische Kürwagen, ungefedert, mit Seitenwänden aus Korbgeflecht. Wenn man Glück hatte, gab es ein Verdeck zum Hochklappen. Briefe und Pakete waren mit einer Decke oder einem Leder geschützt. Die Fahrt von Altona nach Kiel dauerte von morgens 6 Uhr bis 11 Uhr nachts. Schneller ging es nur mit der sehr viel teureren Extrapost.

Die Reise mit der Postkutsche in ungefederten Wagen und auf unbefestigten, holperigen, löcherigen und z. T. aufgeweichten Wegen war ein abenteuerliches und anstrengendes Unternehmen. Zur Orientierung im Lande dienten hohe Pfähle, die später durch Baumpflanzungen, die Chausseebäume, ersetzt wurden. Hofrat Meyer aus Offenbach, der 1830 seine Tochter in Kiel besuchte, schreibt über seine Fahrt: „Sobald man von Lübeck in das Holsteinische kommt, werden die Wege so schlecht, dass ich sicher glaube, es sind die schlechtesten, die in ganz Deutschland existieren. Um ein halbes Jahrhundert ist man hier im Wege- und Chausseebau zurück und jetzt erst fängt man an, von Altona nach Kiel eine Chaussee zu machen. Wem sein Leben und sein Wagen lieb ist, der fahre um Gottes willen nicht über Ahrensböck nach Plön. Es ist ein wahrer Höllen- und Teufelsweg, auf welchem man jeden Augenblick in Gefahr ist, Hals und Beine zu brechen.“

Mit der Einweihung der mit Pflastersteinen befestigten Chaussee Kiel-Altona am 1. Januar 1832 brach in Schleswig-Holstein eine neue Zeit an. Die Fahrten wurden schneller und bequemer. Am Anfangspunkt der Chaussee in Kiel, an der Gabelung der Landstraßen nach Altona und Lübeck, wurde ein Rondell mit einem Obelisken angelegt, der heute noch steht und an den Bauherrn erinnert: FRIDIRICUS VI HANC VIAM STERNENDAM CURAVIT, MDCCCXXX (Friedrich VI. hat für den Bau dieser Straße gesorgt, 1830). Eine Reihe von Meilensteinen auf der Strecke Kiel-Altona zeigten die jeweilige Entfernung nach Kiel bzw. nach Altona an. Ein Halbmeilenstein aus dieser Zeit befindet sich auch noch vor der Amtsverwaltung Molfsee.

Durch die Eröffnung der Eisenbahnstrecke Kiel-Altona 1844 und bald weiterer Strecken erhielt die Pferdepost eine starke Konkurrenz. Die Brief- und Paketpost konnte jetzt auch als Bahnpost aufgegeben werden. In preußischer Zeit seit 1867 und der Reichsgründung 1871 entstand ein leistungsfähiges Postwesen, u. a. in Kiel 1867 die Oberpostdirektion. Die Postzustellung erfolgte nun auch auf den Dörfern zweimal täglich, wobei die Ortsbriefträger auf ihren regelmäßigen Dienstgängen die Pakete mitnahmen.

Die letzte Postfuhrhalterei in Kiel

Im Jahre 1889 übernahm der Fuhrwerksbesitzer Ferdinand Jansen im Auftrage der damaligen Kaiserlichen Oberpostdirektion die vertragliche Versorgung der Postfuhrgeschäfte der Station Kiel. Die Posthalterei bestand aus sechs Pferden und vier Postillionen, Unterkünften und Stallungen befanden sich im Eckhaus Schülperbaum/Walkerdamm. Mit dem rasanten Wachstum Kiels als Stadt der Marine und der Werften erhöhte sich der Postverkehr und damit auch der Bestand an Pferden und Postillionen. Um größere Unterkunftsräume zu schaffen, erwarb Ferdinand Jansen 1904 das Grundstück Sophienblatt 48a, auf dem ein Wohngebäude, Stallungen für 50 Pferde und drei Wagenhallen gebaut wurden. Das Gebäude befindet sich heute gegenüber dem Parkplatz am Bahnhof. Das nach verschiedenen späteren Veränderungen 1957 umgebaute Stallgebäude dient heute Werkstätten und Lagerräumen. An der Durchfahrt zum Hof ist aber noch der Pferdekopf über dem Posthorn zu bewundern, der auf die ursprüngliche Funktion des Hauses hinweist.

Die zunehmende Ausdehnung der Stadt machte Anfang des 20. Jahrhunderts die geregelte Postzustellung mit Pferd und Wagen notwendig. Der Postfuhrbetrieb gliederte sich jetzt in drei Bereiche: Postbeförderungsfahrten zum Bahnhof, Stadtfahrten zu den einzelnen Postämtern und die Paketzustellung zu den Empfängern. Bei dieser Gliederung blieb es bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. 1930 stellte die Firma Jansen der Post dafür 30 Pferdepostfahrer und 43 Pferde zur Verfügung. Die Pferdewagen dagegen gehörten der Post. Die Fahrer trugen die Postuniform und wurden nach dem Tarifvertrag für Arbeiter der Deutsche Reichspost entlohnt. An eine Motorisierung der Post war während des Krieges nicht zu denken, denn Autos und Benzin wurden vom Militär gebraucht. So erreichte die Postfuhrhalterei ihren Höhepunkt. Sie wurde in der zweiten Generation in der Familie Jansen weitergeführt.

Im Juli 1940 kam der Firmeninhaber Ludwig Jansen mit drei seiner Postillione in den Trümmern seines Stallgebäudes bei einem Luftangriff auf Kiel ums Leben. Seine Frau übernahm die Leitung des Betriebes, unterstützt vom Freund des Ehemannes, dem Fuhrunternehmer Neelsen. Die Arbeit wurde während des Krieges zunehmend schwieriger. So musste die Firma Jansen nach der Zerstörung des Hauptpostamtes in der Jensenstraße die Fahrten zum Knooper Weg, die Versorgung von Dienststellen am Stadtrand, die von den Kraftfahrzeugen der Post nicht mehr versorgt werden konnten, sowie die Fahrten zum Zweigpostamt nach Hassee durchführen, wohin die Wertzeichenstelle ausgelagert worden war. Daher konnten die Pakte im Stadtgebiet Kiel nur noch dreimal in der Woche zugestellt werden.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Schwierigkeiten aber nicht behoben, denn jetzt ging es um die Versorgung der Pferde mit Futtermittel. Als dann sieben Tier durch Erschöpfung starben und die Pferdepostfahrten nicht mehr sichergestellt waren, schaltete die Post die britische Besatzungsmacht ein. Die Engländer zeigten sich bei der Besichtigung der Stallungen entsetzt und versprachen baldige Abhilfe. Bis etwas geschah, waren weitere Pferde verendet.

Die Postautos kommen

Nach der Währungsreform im Juni 1948 veränderte sich die Situation schlagartig. Ein Teil der Bahnhofs- und Abholfahrten von den Stadtpostämtern und die Verteilung der Post auf die einzelnen Postämter wurden auf posteigene Autos umgestellt. Im August konnte die Postfuhrhalterei Jansen in sieben Bezirken der Stadt die Postzustellung wieder täglich übernehmen, während die Außenbezirke nur dreimal wöchentlich bedient wurden. Seit 1950 erhielten die Innenstadtbezirke zweimal täglich Postsendungen mit den Pferdepostwagen. 1955 verschwand die Pferdepost dann in den Außenbezirken der Stadt, auch hier wurden jetzt posteigene Kraftwagen eingesetzt. Nur die Außenbezirke Düsternbrook, Hassee und Ellerbek wurden noch durch die Pferdepost bedient, aber bald war es auch hier vorbei. Der Firma Jansen blieben nur noch die 13 Innenstadtbezirke für ihre Pferdepost. Der Sohn Ludwig Jansen erinnert sich:

„Zwei Jahr lang ging alles seinen ruhigen, gewohnten Gang. Alles war auf eine Kündigung gefasst. Der Futtervorrat wurde nicht höher als unbedingt nötig gehalten. Es wurde viel von einer Kündigung geredet, immer wieder wollten Postangestellte etwas gehört haben. Die Postillione wurden unruhig. Sie suchten sich neue Arbeitsplätze. Keine großen Reparaturen wurden mehr gemacht. Man fragte sich bei jeder neuen Anschaffung, ob es noch nötig wäre. So lebten wir in dauernder Ungewissheit. Die unteren Räume des Stalles, die seit der Kündigung der Außenbezirke leer standen, wurden umgebaut und als Lagerräume vermietet. Kurz nach Weihnachten 1956 kam dann doch die Kündigung. Am 31. März 1957 sollte Schluss sein. Obwohl wir in der Postfuhrhalterei alle darauf vorbereitet waren, erschütterte uns diese Nachricht doch tief. Um nicht alles auf den letzten Tag zu verschieben, fingen wir schon Anfang März an, die alten Rollwagen zu verschrotten und alles aufzuräumen. Dann war es soweit. Die gelben Postwagen wurden zur letzten Fahrt hergerichtet und mit Tannengrün geschmückt. Pferde und Geschirre wurden auf Hochglanz geputzt. So traten sie die letzte Fahrt an.“

Autorin: Christa Geckeler (1937 - 2014)


Literatur

Eckhardt, [Johann] Heinrich

Alt-Kiel in Wort und Bild, Neudruck, Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte Band 62, Neumünster 1975, S. 298 ff.

Frohriep, Monika

Vom Postwagen zur Eisenbahn . Kleine Verkehrsgeschichte Schleswig-Holsteins im 19. Jahrhundert, Heide 1998, S. 17 ff.

Jansen, Ludwig

Die Postfuhrhalterei in Kiel, in: Post- und Fernmeldegeschichte zwischen Nord- und Ostsee, Hrsg.: Bezirksgruppe Kiel der Gesellschaft für deutsche Postgeschichte, Heft 1/1988, S. 231 ff.

Kieler Nachrichten

vom 4. Januar 1950, vom 4./5. September 1954, vom 5. Januar 1987, vom 4. April 1974

Kieler Neueste Nachrichten

vom 6. Dezember 1934, vom 20. Dezember 1936

Nordische Rundschau vom 31. März 1939

Petersen, Johannes

Der Postfuhrdienst in Kiel vor dem Einsatz der Kraftwagen, in: Post- und Fernmeldegeschichte zwischen Nord- und Ostsee, Hrsg.: Bezirksgruppe Kiel der Gesellschaft für deutsche Postgeschichte, Heft 1/1988, S. 218 ff.

Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung

vom 1. April 1957


Abb.: Stadtarchiv, Fotoarchiv Jansen (Gebäudeaufnahmen)


Dieser Artikel kann unter Angabe des Namens der Autorin Christa Geckeler, des Titels Kieler Erinnerungstage: 30. März 1957 | Die letzte Fahrt der Kieler Postpferde und des Erscheinungsdatums 30. März 2007 zitiert werden.

Zitierlink: https://www.kiel.de/erinnerungstage?id=68

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