Nachhaltiges Kiel

Wir machen Zukunft

In Kiel gibt es viele engagierte Menschen, die sich mit guten Ideen und viel Tatendrang dafür einsetzen, dass unsere Fördestadt nachhaltig und zukunftsfähig wird.

Jeden Monat stellen wir eine*n Kieler Zukunftsmacher*in in einem Kurzinterview vor. Sie kennen Leute, die unbedingt dazugehören? Dann lassen Sie uns das gerne wissen.

Dezember 2021 Frauke Wiprich - Leiterin Internationales & Nachhaltigkeit

Frau mit kurzen braunen Haaren vor einer Wiese
Frauke Wiprich, Foto: Viktoria Micheel

Was hat Dich nach Kiel geführt?

Bei mir müsste die Frage eher lauten: Was hat Dich zurück nach Kiel geführt? Geboren in Kiel, aufgewachsen in Altenholz, wollte ich nach dem Abi unbedingt weg aus der „spießigen Provinz“. Daher ging es zunächst fürs Grundstudium nach Mainz und anschließend nach Hamburg, wo ich mein Diplom in Politikwissenschaft machte. 

Es folgten ein paar spannende Monate im Libanon und in Marseille, bevor es mich für ein Jahrzehnt nach Berlin verschlug. So nach und nach meldeten sich die norddeutschen Wurzeln: Meine Sehnsucht nach der Ostsee, nach etwas Entschleunigung und kurzen Wegen im Familien-Berufsalltag wuchs. 

Seit 2017 bin ich mit meiner Familie zurück in der Heimat und bereue die Rückkehr in keiner Weise, im Gegenteil: Gerade in Pandemiezeiten ist es ein großes Glück, im entspannten Kiel zu wohnen, das im Übrigen in den vergangenen zwei Jahrzehnten sehr an Attraktivität gewonnen hat - wie ich finde.

Was genau machst Du?

An meinem Weg zeigt sich sehr gut, wie das Thema Nachhaltigkeit in Kommunen in den letzten Jahren immer wichtiger geworden ist. So hat meine zunächst zeitlich befristete, vom Bund finanzierte Projektstelle bei der Stadt - mit dem Ziel, die Sustainable Development Goals auf lokaler Ebene bekannt zu machen - mich in einen Bereich geführt, der heute die Nachhaltigkeit im Titel trägt: Seit 2020 leite ich im Büro des Stadtpräsidenten den Sachbereich „Internationales und Nachhaltigkeit“. Der Job ist sehr spannend und das Beste daran ist der große Gestaltungspielraum und das tolle Team.

Meine Kolleg*innen und ich kümmern uns einerseits um die Schärfung des internationalen Profils der Stadt und um die Ausgestaltung der 13 internationalen Städtepartnerschaften Kiels. Das reicht von Verwaltungsaustauschen mit Brest und Aarhus über die Organisation von (virtuellen) Delegationsreisen nach San Francisco bis hin zu Entwicklungsprojekten wie die Wiederinbetriebnahme einer Baumschule in Moshi District in Tansania. 

Ein jährliches Highlight ist das „Internationale Städteforum“ zur Kieler Woche, zu dem unsere Partner*innen aus aller Welt kommen und gemeinsam aktuelle städtische Herausforderungen diskutieren. Dieses Jahr fand das Forum nur virtuell statt, wir hoffen, dass wir uns im Sommer 2022 wieder in Präsenz austauschen können, diesmal zur Frage, wie nachhaltige und zukunftsfähige Mobilität in Städten vorangebracht wird.

Beim zweiten Thema in unserem Bereich, Nachhaltigkeit, geht es vor allem darum, die SDGs hier in Kiel bekannt zu machen und auf lokaler Ebene umzusetzen. Dafür arbeiten wir sehr interdisziplinär zusammen mit anderen Ämtern und Dezernaten in der Verwaltung, wie zum Beispiel dem Bildungsmanagement, dem Umweltschutzamt und dem Amt für Finanzen. 

Und auch die Kooperationen mit der Kieler Zivilgesellschaft sind vielfältig. Es macht viel Freude und ist motivierend, zu sehen, dass die Nachhaltigkeitsszene in Kiel weiterwächst und immer mehr Unterstützung erfährt. Ich selbst sehe mich auch ein bisschen als „Lobbyistin für Nachhaltigkeit“ innerhalb der Stadt.

Welche SDGs sind von Deinem Engagement besonders berührt?

Im Moment arbeiten wir gerade intensiv zu den Themen Bildung für nachhaltige Entwicklung (SDG 4) und öffentliche Beschaffung (SDG 12) und selbstverständlich spielt das Partnerschaftsziel (SDG 17) in meinem Bereich eine große Rolle.

Aber vor allem nutzen wir die UN-Agenda 2030 und die SDGs als Referenzrahmen, zum Beispiel um die vielfältigen Nachhaltigkeitsaktivitäten und Projekte, die die Stadt bereits umsetzt, darzustellen.

Die SDGs sind nicht perfekt. Auch sie lösen die massiven Zielkonflikte nicht - zum Beispiel zwischen dem erklärten Ziel, das Wirtschaftswachstum zu steigern und gleichzeitig die natürlichen Ressourcen wie Böden und Wasser sowie das Klima zu schonen. Auch gibt es keinen Sanktionsmechanismus, der in Kraft tritt, falls die Ziele von Staaten nicht eingehalten werden. Somit sind sie eigentlich ein zahnloser Tiger.

Was für mich aber entscheidend ist: mit der Agenda 2030 und den 17 SDGs haben 193 Regierungen dieser Welt - und damit so unterschiedliche Länder wie Saudi-Arabien, Mexiko, Simbabwe und Deutschland - sich klar dazu bekannt, dass der gängige Entwicklungsweg so nicht fortgesetzt werden kann. Dieses Bekenntnis, diese Selbstverpflichtung, nehmen wir zur Grundlage für unsere Arbeit.

Die Hocker mit den Sustainable Development Goals im Alten Rathaus
Stefanie Skuppin und Frauke Wiprich, Foto: Landeshauptstadt Kiel

Warum findest du Nachhaltigkeit wichtig?

Unser globales, kapitalistisches Wirtschaftsmodell zerstört die Ökosysteme und führt nicht zu sozialer Gerechtigkeit (auch wenn die öko-soziale Marktwirtschaft in Deutschland versucht, die negativen Folgen abzumildern).

Wir brauchen dringend eine weltweite sozial-ökologische Transformation, wenn wir diesen Planeten erhalten und mit knapp acht Milliarden Mitweltbürger*innen in Frieden und Wohlstand leben möchten. Und diese Transformation müssen wir von den Regierungen - die sich dazu schon mehrfach bekannt haben! - und der Wirtschaft einfordern und zudem selbst aktiv werden. 

Die Städte können - vorausgesetzt sie sind mit genügend Ressourcen und Handlungsspielräumen ausgestattet - hierzu einen ganz entscheidenden Beitrag leisten. Und deshalb ist es gut, dass Kiel zu den Vorreitern gehört und den richtigen - weil einzigen - Weg einschlägt.

Natürlich geht es bei einer solch umfassenden Transformation auch um knallharte Zielkonflikte. Zum Beispiel benötigen wir dringend mehr bezahlbaren Wohnraum, können aber nicht weiter jeden Tag 52 Hektar Land in Deutschland für Häuser, Gewerbe und Straßen zu betonieren. 

Das heißt für mich zum Beispiel, die Zeit für Neubauviertel mit Einfamilien- und Doppelhäusern am Stadtrand ist passé, stattdessen brauchen wir wo immer möglich Innenverdichtungen in der Stadt (die allerdings auch wiederum im Zielkonflikt mit dem Erhalt und der Förderung von Grünflächen stehen…).

Und mit Blick auf die Mobilitätswende ist klar, dass der Ausbau vom ÖPNV und von Fuß- und Radwegen natürlich auf Kosten des Platzes für Autos geht. Ich frage mich manchmal, woher eigentlich die Vorstellung kommt, man habe das Recht darauf, den öffentlichen Raum kostenfrei mit privaten Eigentum vollzustellen (auch wenn ich selbst genau das noch tue). 

Insofern finde ich es sehr gut, dass die Stadt die Mobilitätswende mit einer Vielzahl an Maßnahmen wie der Einführung eines hochwertigen ÖPNV-Systems, dem Parkraumkonzept oder dem konsequenten Ausbau der Velorouten und Mobilitäts-Sharing-Angebote in Angriff nimmt. 

Von mir aus dürfte es gerne noch schneller vorangehen, ich freue mich schon jetzt auf die Zeit, wenn ich als Fußgängerin und Radfahrerin in Kiel mehr Platz habe und sich mein Blick statt auf Blechkisten auf Grünflächen, Bäume, breite Wege, verweilende Mitbürger*innen oder die Förde richtet.

In Kiel gibt es eine lebendige, sehr engagierte Zivilgesellschaft. Es ist schließlich kein Zufall, dass wir als erste Landeshauptstadt den Climate Emergency ausgerufen haben, die erste Zero Waste City in Deutschland sind und zunehmend als Meeresschutzstadt wahrgenommen werden. 

Den politischen Druck, den Bewegungen wie Fridays for Future erzeugen, braucht es, damit die Politik sich traut, „mutige“ Entscheidungen für die sozial-ökologische Transformation zu treffen. Mich macht es immer wütend, wenn die Verantwortung auf die Verbraucher*innen abgeschoben wird mit der Aussage, die Menschen wollen halt billige Lebensmittel, billiges Fliegen, dicke SUVs fahren und ständig neue Klamotten kaufen.

Ich erwarte von der Politik, dass sie Standards so setzt und Subventionen so lenkt, dass ich mir, wenn ich als Konsumentin unterwegs bin, keine Gedanken mehr machen muss, wie das Produkt, dass ich kaufe, hergestellt wurde. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass dabei weder Natur noch Ökosysteme zerstört wurden, dass keine Menschen ausgebeutet und keine Tiere gequält wurden.

Solange dies aber noch kein allgemeiner Standard ist, müssen wir selbst genau hinschauen beim Einkaufen. Gemeinsam mit dem Umweltschutzamt treiben wir deswegen auch das Thema faire und ökologische öffentliche Beschaffung bei uns in der Stadtverwaltung voran.

Projektteam in Moshi District in der Himo Tree Nursery
Frauke Wiprich mit den Mitarbeiter*innen der Baumschule in Moshi District

Kiel 2030 - was ist Deine Vision für unsere Stadt?

Kiel im Jahr 2030 ist im ganzen nordeuropäischen Raum bekannt als progressive und zugleich entspannte Stadt, die anderen ein Vorbild dafür ist, wie die sozial-ökologische Transformation unaufgeregt und zum Nutzen und unter Beteiligung der Bürger*innen gelingt.

Die Tram ist früher als geplant in Betrieb genommen und wird von allen Kieler*innen gefeiert, ebenso wie die ersten zwei elektrischen, autonomen Fähren aus dem CAPTN Kiel Projekt, die Ost- und Westufer schnell und unkompliziert miteinander verbinden

Das Ziel des Masterplans Mobilität der KielRegion für 2035, den Anteil des motorisierten Individualverkehrs auf 26 Prozent des Verkehrsaufkommens zu senken, ist bereits jetzt dank der kostenfreien Tram und des massiven Ausbaus der Rad- und Fußwege übererzielt: Die Kieler Bevölkerung geht zu 80 Prozent zu Fuß, fährt Rad oder nutzt den ÖPNV. Staus sind kein Thema mehr.

Zentrale öffentliche Plätze wie der Blücher, Exer und Wilhelmsplatz sind zum Teil entsiegelt, begrünt und bieten eine super Aufenthaltsqualität für die Anwohner*innen – egal ob alt oder jung. Zwar ist ein Teil der Plätze weiterhin Autos vorbehalten, aber nur noch denen von Car-Sharing-Unternehmen.

Ein echtes Highlight ist die autofreie Kiellinie, die gemeinsam mit den Kieler*innen neu gestaltet wurde und gerade den europäischen Preis für Sustainable Urban Design einheimsen konnte. Hier tummeln sich Jogger*innen, Rad- und Skateboardfahrer*innen; von den Holzstegen springen Schwimmer*innen ins frische Nass; die Fördebalkone werden von Yogagruppen für die morgendliche Praxis genutzt; Kitagruppen testen die vielen neuen Spielgeräte und Yachtbesitzer*innen genießen den Blick auf das Treiben von Deck aus.

Dank der KiWoG und einem konsequenten sozialen Wohnungsbau ist es gelungen, das Problem des Mangels an genügend bezahlbaren Wohnraum in Kiel in den Griff zu bekommen. Weitere Erleichterung verspricht hier für die Zukunft Holtenau-Ost, wo gerade mit dem ersten Bauabschnitt begonnen wird. Aber auch in der Innenstadt hat sich im Bereich Wohnen in den vergangenen Jahren einiges getan, vor allem im Bereich der Innenverdichtung: Garagenanlagen und Kfz-Werkstätten in den Hinterhöfen sind verschwunden, stattdessen gibt es neuen Wohnraum und grüne Gemeinschaftsgärten.

Die Kinderarmut und soziale Segregation ist deutlich geringer als noch vor einem Jahrzehnt. Hierfür ist vor allem das auf nationaler Ebene eingeführte bedingungslose Grundeinkommen verantwortlich. Aber ergänzend haben viele lokale Maßnahmen zu weniger Armut und mehr Chancengleichheit in Kiel geführt, dazu zählen zum Beispiel die zusätzlichen heilpädagogischen Kräfte für Kitas und Schulen mit besonderem Bedarf und die intensive Jugendarbeit.

Im ehemaligen Geomar-Gebäude auf dem Westufer steht ein großes Ereignis an: das Meeresvisualisierungszentrum wird in diesem Jahr eröffnet und wird den Standort Kiels als Meeresschutzstadt weiter stärken. Das niedrigschwellige und für die breite Öffentlichkeit zugängliche multimediale Angebot zielt darauf ab, die Faszination der Meere zu zeigen und für den Schutz der Meere zu sensibilisieren.

 Es ist eine Freude, im Jahr 2030 in Kiel zu leben : )


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