100 Jahre Kieler Rathaus

Paternoster: Stetiges Auf & Ab

Einleitung

Er arbeitet seit 100 Jahren bei der Stadt, leistet täglich ohne Pause über zwölf Stunden Arbeit und ist eine echte Rarität: der Personen-Umlaufaufzug im Rathaus alias Paternoster. Dieser lateinische Name, zu deutsch „Vaterunser“, lässt sich herleiten vom Rosenkranz, früher auch Paternosterschnur genannt. Die Kabinen des Paternosters, die sich durch zwei versetzte Ketten im ständigen Umlaufbetrieb befinden, ähneln dabei den Perlen der Gebetsschnur.

Sportliche Wagemutige, die eine Rundfahrt nicht scheuen, werden übrigens nicht zum Kopfstand gezwungen: Am oberen und unteren Wendepunkt setzen die Kabinen lediglich an einem Kettenrad um. Statt in senkrechte Richtung fährt die Kabine in diesem Moment fast waagerecht, ehe sie dann im anderen Schacht in entgegengesetzte Richtung weiterfährt.

Für Touristen ist diese Kieler Rundfahrt eine echte Attraktion. Anfangs werden städtische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Umgang mit dem Aufzug beobachtet, schließlich müssen sie für den Einstieg in ein laufendes Fahrzeug neben der nötigen Beherztheit auch etwas Geschicklichkeit aufbringen. Nach gelungenem Einstieg steht danach die Mutprobe an: eine Fahrt durch Dach und Boden. Ein echtes Kiel-Erlebnis! Und dies übrigens schon seit Eröffnung des Rathauses im Jahr 1911. Der damalige Paternoster fuhr vier Stockwerke an.

"Das Herantreten in gewöhnlicher Gangart" wird empfohlen

Im Archiv findet sich dazu nur wenig. In einer internen Schrift des Hochbauamtes vom 8. Juli 1912 wird ein Unfall dokumentiert, der sich durch „beschleunigte Gangart“ eines Mannes in eine Kabine des Paternosters ereignet hat. Bei dem folgenden Sturz gerieten die Beine in den Fahrschacht und wurden durch den Druck der nachfolgenden Kabine verletzt. Danach wurde das „Herantreten in gewöhnlicher Gangart“ empfohlen und das „Nachspringen/Nachsteigen“ verboten. Dies gilt auch heute noch. Während heute außerdem jegliches Befördern von Lasten nicht gestattet ist, wurden mit dem alten Paternoster zumindest Anfang der 1950er Jahre ausnahmsweise Speisen und Geschirr aus dem Ratskeller transportiert.

Aufgrund verschärfter Brandschutzbestimmungen sollte der Umlaufumzug, nachdem er 46 Jahre im Einsatz war, im Jahr 1957 kostspielig renoviert werden. Man entschied sich jedoch für einen Neubau, der gleichzeitig einen besseren Sicherheitsstandard bot und auch ein Stockwerk höher reichte. Nach rund zweimonatiger Bauzeit konnte der Paternoster mit seinen zwölf Kabinen am 16. Mai 1958 in Betrieb genommen werden. Die Volkszeitung titelte damals „Kreislaufstörungen im Rathaus behoben“. Seitdem läuft der Paternoster fast immer rund.

Eine Ausnahmegenehmigung sicherte 1994 dem Rathaus-Paternoster den Fortbestand bis 2004. Aufgrund von Sicherheitsbedenken plante die Bundesregierung ursprünglich deutschlandweit die Abschaltung der Umlaufumzüge. Heute ist der Paternoster endgültig vollgenehmigt. Bis auf einige Zwischenfälle mit Kinderwagen oder Leitern, die in einem Umlaufumzug deshalb auch nicht transportiert werden dürfen, läuft der Paternoster rund. So dreht er Tag für Tag seine Runden im Kieler Rathaus...