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Antrag der Verwaltung - 1243/2019
Grunddaten
- Betreff:
-
CO2-Kompensationsleistungen für Flugreisen
- Status:
- öffentlich (Drucksache abgeschlossen)
- Drucksachenart:
- Antrag der Verwaltung
- Federführend:
- Büro des Stadtpräsidenten
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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Erledigt
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Hauptausschuss
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Vorberatung
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Feb 12, 2020
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Erledigt
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Ratsversammlung
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Entscheidung
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Feb 20, 2020
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Antrag
Antrag:
Die Landeshauptstadt Kiel kompensiert die CO₂-Emissionen durch Flüge, die in ihrem Auftrag entstehen, jeweils zur Hälfte über Zertifikate der Atmosfair gGmbH und des MoorFutures Projekts in Schleswig-Holstein.
Die Berechnung der CO₂-Emissionen erfolgt über den Emissionsrechner der Atmosfair gGmbH.
Die Finanzmittel werden in den Haushalt des Büros des Stadtpräsidenten eingestellt. Die CO₂-Emissionen werden ab sofort und rückwirkend bis zum 01. Januar 2017 kompensiert.
Sachverhalt/Begründung
Begründung:
Auftrag der Ratsversammlung
Mit Beschluss der Ratsversammlung vom 19.04.2018 Drucksache (0312/2018) erhielt die Verwaltung den Auftrag, fort an und rückwirkend ab 1. Januar 2017 CO₂-Kompensationszahlungen für alle Flüge, die in ihrem Auftrag unternommen werden, zu leisten. Die Verwaltung wurde gebeten, ein Konzept zu erstellen und darzulegen wie diese Zahlungen möglichst nutzbringend im Sinne des Klimaschutzes in Gemeinschaftsprojekte in und mit Kieler Städtepartnern und -freundschaften investiert werden können.
Bei der Recherche zu diesem Auftrag wurde deutlich, dass es sich um eine komplexe Materie handelt. Die Forderung, CO₂-Kompensationszahlungen in Klimaschutz-Projekte in und mit Kieler Städtepartnern zu investieren, lässt sich nicht so einfach realisieren wie zunächst angenommen.
Festlegung des Begriffes „CO₂-Kompensation“
Der Begriff CO₂-Kompensation ist festgelegt: CO₂-Kompensation heißt, dass an einer anderen Stelle konkret dieselbe Menge CO₂ eingespart wird, die der oder die Kund*in oder Verbraucher*in – etwa indem ein Flugzeug genutzt wird – verbraucht. Die CO₂-Einsparung geschieht über Klimaschutzprojekte vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern. Für eine Tonne CO₂-Einsparung gibt es ein Zertifikat. Diese Zertifikate werden im Rahmen des freiwilligen Emissionshandels gehandelt. Um sicherzustellen, dass auch tatsächlich eine CO₂-Einsparung durch das Projekt stattfindet, muss gewährleistet sein, dass ein Projekt nur aufgrund der aus dem Emissionshandel erzielten Gelder umgesetzt werden kann. Man spricht daher vom Kriterium der Zusätzlichkeit und dem Ausschluss von Doppelzählungen. Um diese und weitere Qualitätsmerkmale – wie Transparenz, Prüfung durch Dritte, nachhaltige Verankerung vor Ort durch Einbeziehen der ansässigen Bevölkerung, langfristige CO₂-Bindung - zu gewährleisten, gibt es unabhängige Gütesiegel.
Der strengste verfügbare und weltweit führende Zertifizierer für Klimaschutzprojekte ist der sogenannte Gold Standard, der 2003 vom World Wide Fund for Nature (WWF) und anderen Umweltverbänden entwickelt wurde. Das Gold Standard Zertifizierungsverfahren ist komplex und kostspielig; bereits bei der Projektplanung und dem Projektdesign gilt es, entsprechende Prüfkriterien zu erfüllen. Zertifiziert werden können Projekte im Bereich Energieeffizienz (wie beispielsweise Energiesparöfen, Windkraft, Wasserkraft, Biogas und Biomasse und Solarenergie).
Bisher noch keine tatsächliche „CO₂-Kompensation“ über Kieler Partnerschaftsprojekte möglich
Aktuell führt die Landeshauptstadt Kiel gemeinsam mit der Partnerdistriktverwaltung in Moshi District ein Projekt zum Wiederaufbau einer brachliegenden Baumschule in der Stadt Himo durch. In der Baumschule werden Baumsetzlinge herangezüchtet und ab einer robusten Größe in der Region gepflanzt werden. Das Projekt beinhaltet auch die weitere Pflege der gepflanzten Bäume und Überwachung ihres Wachstums mit Hilfe eines zu entwickelnden Baumkatasters.
Das Projekt wird einen wichtigen Beitrag zum tansanischen 1,5 Millionen Bäume-Plan leisten: Vor dem Hintergrund der Übernutzung des Baumbestandes in Tansania hat die Nationalregierung das Ziel ausgesprochen, dass jeder Distrikt jedes Jahr 1,5 Millionen Bäume zum Klima-, Umwelt- und Erosionsschutz pflanzen soll.
Projekte, die bestehende Wälder sichern oder zur Aufforstung beitragen, können zum Klimaschutz beitragen, denn Bäume entziehen der Atmosphäre CO₂ - wobei die Menge an gebundenen CO₂ je nach Baumart sehr variiert. Auf dem Markt der freiwilligen CO₂-Kompensation gibt es auch Waldschutz- oder Baumaufwuchs-Projekte, die Gelder aus Kompensationszahlungen nutzen und Zertifikate ausstellen Dies wird jedoch kritisch gesehen und einige Organisationen wie Atmosfair und der Zertifizierer Gold Standard sprechen sich dagegen aus, Aufforstungs- und Waldprojekte über freiwillige CO₂-Kompensation zu finanzieren. Dahinter steht das Problem der „Dauerhaftigkeit“: Ein Wald muss mindestens 50, wenn nicht 100 Jahre bestehen, um eine nennenswerte Klimaschutzwirkung auch dann noch zu haben, wenn der Wald danach wieder abgeholzt wird oder sonst wie verschwindet. Kein Projektbetreiber oder Klimaschutzstandard kann aber garantieren, in fünf Jahrzehnten noch zu existieren, gerade angesichts unsicherer Marktbedingungen für die CO₂-Kompensation.
So wünschenswert es auch wäre, zusätzliche, flexibel einsetzbare Gelder für die Weiterentwicklung des gemeinsamen Baumschulenprojektes der Landeshauptstadt Kiel und der Verwaltung von Moshi District zur Verfügung zu haben, muss doch klar festgestellt werden: Eine tatsächliche CO₂-Kompensation der Dienstreisen der Kieler Verwaltungsmitarbeiter*innen kann über dieses Projekt nicht erfolgen, da dieses nicht entsprechend zertifiziert ist. Die Gold Standard Zertifizierung wäre für dieses Projekt nicht umsetzbar, da es kein Energieeffizienz-Projekt ist.
CO₂-Kompensation über anerkannte gemeinnützige Organisationen leisten
Es gibt eine Vielzahl an Organisationen, die im Rahmen des freiwilligen Emissionshandels Kompensationen anbieten, indem sie Zertifikate aus Klimaschutzprojekten handeln. Einen herausragenden Ruf genießt die gemeinnützige Organisation Atmosfair, die in einer Analyse der Stiftung Warentest Finanzen (03/18) Testsieger wurde. Die Klimaschutzprojekte bei Atmosfair sind zum Großteil Gold Standard zertifiziert. Eine Reihe an Städten wie beispielsweise München, Düsseldorf und Tübingen kompensieren ihre Dienstreiseflüge direkt über Atmosfair. Auch die Bundesregierung kompensiert einen Teil ihrer Dienstflüge über Klimaschutzprojekte von Atmosfair. Für Kiel interessant ist zudem, dass einer der drei Schirmherren von Atmosfair der Kieler Professor Dr. Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung ist.
Inzwischen gibt es auch einige wenige Klimaschutzprojekte in Deutschland, die vom Ratgeber des Bundesumweltamtes zur freiwilligen Kompensation von CO₂-Emissionen aufgeführt werden. Dazu zählt die Organisation MoorFutures, die Moore in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein wiedervernässt. Moore sind die größten und effektivsten Kohlenstoffspeicher auf der Erde: sie speichern doppelt so viel Kohlenstoff in ihren Torfen wie in den Wäldern weltweit enthalten sind. Wird Torf entwässert, wird der Kohlenstoff durch oxidative Prozesse vor allem als Kohlendioxid emittiert: aus dem CO₂-Speicher wird eine Treibhausgasquelle.
Die Wiedervernässung von Mooren mit Hilfe von MoorFutures vermindert deren Ausstoß an Treibhausgasen. Zudem wird ein weiterer Nutzen für den Naturschutz erfüllt – wie zum Beispiel die Verbesserung der Wasserqualität und des Wasserhaushaltes, den Erhalt von seltenen Pflanzen- und Tierarten sowie die Wahrung einer einzigartigen Kulturlandschaft.
Partner*innen von MoorFutures sind in Schleswig-Holstein die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein, deren Tochterstiftung „Ausgleichsagentur“, die Christian-Albrechts-Universität sowie das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Umwelt, Naturschutz und Digitalisierung. Die Zertifikate können direkt online gekauft werden. Ein Zertifikat für das Projekt in Schleswig-Holstein kostet 64 Euro und kompensiert eine Tonne CO₂.
Zusammenfassung
Eine tatsächliche CO₂-Kompensation kann nur erfolgen, in dem in Klimaschutzprojekte mit sehr hohem Standard investiert wird. Ein solches Projekt haben die Landeshauptstadt Kiel und ihre Partnerstädte zurzeit nicht. Die Verwaltung hat sich daher entschieden, die über einen von der Organisation Atmosfair bereitgestellten CO₂- Rechner ermittelten Kompensationsgelder zur Hälfte in Klimaschutzprojekte von Atmosfair und zur Hälfte in das schleswig-holsteinische Wiedervernässungsprojekt von MoorFutures fließen zu lassen.
Auf diese Weise findet eine konkret nachweisbare, tatsächliche CO₂-Kompensation statt. Zudem unterstützt die Landeshauptstadt Kiel damit sowohl eine nachhaltige Entwicklung in Ländern des globalen Südens als auch konkreten Klimaschutz in Schleswig-Holstein.
Vision für die Zukunft
Vorausgesetzt, die personellen und finanziellen Kapazitäten sind vorhanden, könnte Kiel mittelfristig dem Beispiel Hamburgs folgen: Die Hansestadt entwickelt derzeit in Kooperation mit Atmosfair ein nach dem Gold Standard zertifiziertes Projekt – eine Kompostierungsanlage – in der Partnerstadt Dar es Salaam, in das die CO₂-Kompensationszahlungen der Hamburger Verwaltung zukünftig fließen sollen.
Auch für Kiel wäre es denkbar, ein weiteres Projekt mit Moshi District und weiteren Kooperationspartnern wie Atmosfair, Kieler Nichtregierungsorganisationen und Kieler Unternehmen zu entwickeln, das von Anfang an eine Gold Standard Zertifizierung anstrebt und somit nachweislich CO₂ bindet. Hierfür bieten sich zum Beispiel Energiesparöfen- oder Kompostierungsprojekte an, für beides bestünden erste Anknüpfungspunkte in der Partnerschaft zwischen Kiel und Moshi District. Entscheidend wäre dabei, dass auf den Bedarf der Partnergemeinde eingegangen wird.
Mit einem entsprechenden Gold Standard zertifizierten Klimaschutzprojekt wäre es möglich, den durch Dienstreisen der Stadtverwaltung verursachten CO₂-Ausstoß nachweisbar zu kompensieren. Ein solches Projekt würde sich auch dazu anbieten, das Thema Klimaschutz in Kiel noch größer zu denken und den Masterplan 100 % Klimaschutz zu ergänzen.
Dr. Ulf Kämpfer