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Antrag der Verwaltung - 0494/2024
Grunddaten
- Betreff:
-
Projektskizze zur Weiterentwicklung des ehemaligen Marineuntersuchungsgefängnisses in der Wik
- Status:
- öffentlich (Drucksache abgeschlossen)
- Drucksachenart:
- Antrag der Verwaltung
- Federführend:
- Stadtplanungsamt
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Erledigt
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Ratsversammlung
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Entscheidung
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May 16, 2024
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Antrag
Die Verwaltung wird beauftragt, sich mit einer Projektskizze zur Weiterentwicklung des ehemaligen Marineuntersuchungsgefängnisses in der Wik beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung auf das Programm „Förderung von Investitionen in nationale Projekte des Städtebaus“ bis Ende April 2024 zu bewerben.
Die in der Begründung benannten Eckpunkte sind in der Projektskizze zu berücksichtigen.
Sachverhalt/Begründung
Vorbemerkung:
Gemäß Projektaufruf „Förderung von Investitionen in nationale Projekte des Städtebaus 2024“ ist für die Einreichung von Projektvorschlägen in der ersten Phase der „Beschluss eines Gemeinde- bzw. Stadtrats oder eines dafür zuständigen Ausschusses“ erforderlich. Wegen der kurzen Einreichungsfrist der Projektskizze (Abgabe spätestens 30.04.24) war weder eine Vorbefassung im Bauausschuss noch der Ratsversammlung noch des Ortsbeirates Wik mit dem Programmantrag möglich. Der Beschluss erfolgte deswegen durch den Kulturausschuss in der Sitzung vom 23.04.2024 (Drs.0395/2024), der wegen der historisch- und kulturellen Bedeutung der Liegenschaft ein weiteres zuständiges Gremium ist. Im Nachgang wurde im Rahmen der konkreten Antragstellung zusätzlich durch das zuständige Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung überraschend neben der bereits erfolgten Zustimmung des Fachausschusses auch ein Beschluss der Ratsversammlung gefordert. Dieser kann unschädlich bis Anfang Juni 2024 nachgereicht werden. Vor diesem Hintergrund wird der vorgenannte AdV hiermit auch der Ratsversammlung zum Beschluss vorgelegt.
Hintergrund:
Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat im Rahmen des Förderprogramms „Förderung von Investitionen in nationale Projekte des Städtebaus“ am 26. Februar einen Projektaufruf gestartet (Weitere Informationen zum Projektaufruf: www.nationale-staedtebauprojekte.de).
Nationale Projekte des Städtebaus zeichnen sich durch einen besonderen Qualitätsanspruch hinsichtlich des städtebaulichen Ansatzes, der baukulturellen Aspekte sowie der Beteiligungsprozesse aus und verfolgen die baupolitischen Ziele des Bundes. Sie weisen Innovationspotential auf.
Mit dem diesjährigen Projektaufruf werden insbesondere solche Projekte angesprochen, die die Demokratiegeschichte in Deutschland erfahrbar machen und in prozessualer und baulicher Hinsicht Gedenken, Demokratiebildung und Diskurs fördern.
Die einzureichenden Projekte sollen die großen Herausforderungen deutlich machen, vor denen Städte und Gemeinden in Deutschland derzeit stehen, und denen mit einem überdurchschnittlich hohen Fördervolumen zügig begegnet werden soll. Förderfähig sind laut Projektaufruf investive, investitionsvorbereitende und konzeptionelle Maßnahmen mit ausgeprägtem städtebaulichen Bezug. Antragsberechtigt für das Programm sind Kommunen.
Förderprojekte müssen von den betreffenden Kommunen mitfinanziert werden (Ausnahme Landeseigentum). Der Eigenanteil der Kommunen beträgt grundsätzlich ein Drittel der von Bund und Kommune zu tragenden Projektkosten; bei Vorliegen einer Haushaltsnotlage kann sich der kommunale Eigenanteil auf bis zu 10 % reduzieren. Die Haushaltsnotlage (in Schleswig-Holstein als sogenannten Finanzschwäche bezeichnet) ist durch die zuständige Kommunalaufsichtsbehörde zu bestätigen (Anmerkung: Diese wurde wiederholt für Kiel durch die hiesige Kommunalaufsichtsbehörde bestätigt.). Die Finanzierung der Folgekosten (Unterhalt, Betriebskosten etc.) ist sicherzustellen.
Der Projektaufruf des Bundes sieht ein zweistufiges Verfahren vor:
In der ersten Phase ist eine Projektskizze bis zum 30. April 2024 einzureichen. Auf Basis der eingereichten Projektskizzen erfolgt im Juli 2024 die Auswahl der Städte und Gemeinden, die im Anschluss aufgefordert werden, in Abstimmung mit dem BBSR einen Zuwendungsantrag zu erstellen (Phase 2).
Im Rahmen dieser Phase 2 ist auch der kommunale Eigenanteil zu bestimmen (mind. 10% der förderfähigen Kosten, Gesamtinvestitionskosten dürfen maximal 6 Mio. € betragen, womit sich der investive Eigenanteil bei der Anerkennung der Finanzschwäche in dem Förderprogramm auf maximal 600 T€ beläuft). Der Antrag einschließlich der Sicherstellung der Komplementärfinanzierung (außerplanmäßige Ausgabe) ist dann der Selbstverwaltung zur Beschlussfassung vorzulegen.
Anlass:
Aufgrund des inhaltlichen Schwerpunkts des Projektaufrufs möchte sich die Landeshauptstadt Kiel vor dem Hintergrund der Geschichte des Ortes mit der Sanierung und Umnutzung des ehemaligen Marineuntersuchungsgefängnisses in der Rostocker Straße 1 in Kiel/Wik um eine Förderung zur Anschubentwicklung des Projektes bewerben (s.u.). Die Liegenschaft befindet sich seit 2016 im Eigentum der Landeshauptstadt Kiel. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.
Das ehemalige Marineuntersuchungsgefängnis liegt im militärischen Konversionsgebiets-Gürtel rund um den Marinehafen im Marinequartier Wik. Es wurde 1905 als Arrestanstalt errichtet und im Nationalsozialismus erheblich erweitert. Auch das Marinegericht tagte hier. Während des zweiten Weltkrieges wurden insbesondere regimekritische und desertierte Matrosen inhaftiert, die teilweise auf die Vollstreckung des Todesurteils warteten. Bekanntester Fall war U-Boot-Kommandant Oskar Kusch.
Beschlusslage und Förderungsmöglichkeiten:
Eine Befassung der Gremien mit der Liegenschaft erfolgte zuletzt in 2023 im Rahmen der Festsetzung des Sanierungsgebietes „Grüne Wik“ (Drs. 0357/2023) auf Grundlage vorbereitender Untersuchungen (VU) nach § 141 BauGB sowie eines integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzeptes (IEK).
Mit diesem Beschluss wurde die Verwaltung u.a. beauftragt, die Ideenfindung, Sanierung und Umnutzung des ehemaligen Marineuntersuchungsgefängnisses auf Grundlage eines Nachnutzungskonzeptes/ Machbarkeitsstudie gem. Drucksache 1172/2021 einzuleiten und hierfür Städtebaufördermittel zu beantragen. Der Einsatz von Städtebaufördermitteln und die zu fördernden Maßnahmen bestimmen sich dabei nach der Städtebauförderrichtlinie des Landes Schleswig-Holstein (von 2015), wonach in der Regel nur investive Maßnahmen förderungsfähig sind. Zwischennutzungen, temporäre und alternative Entwicklungsformen schließt diese aus. Die Beantragung in die Aufnahme als nationales Projekt des Städtebaus ermöglicht hingegen einen wesentlich weiter gefassten Förderumfang, weshalb vorgeschlagen wird, über das in der Drucksache 1172/2021 beschriebene Verfahren hinaus einen eigenständigen, innovativen und prozessual angelegten Diskussions- und Entwicklungsprozess zur Grundlage der Bewerbung zu machen. Dieser Ansatz soll der besonderen Geschichte des Ortes gerecht werden.
Eckpunkte der zu erarbeitenden Projektskizze:
Das Marineuntersuchungsgefängnis ist im Gefüge des Ortsteils Wik von unterschiedlichsten Zeitschichten, Bedeutungsebenen und Nutzungen geprägt. Angefangen von seiner Entstehung im Kontext von Kiels Ernennung zum Reichskriegshafen im Jahr 1871 über seinen Ge- und Missbrauch durch den Nationalsozialismus bis hin zu seiner heutigen unmittelbaren Nachbarschaft zu einem der zentralen Unterkünfte für Geflüchtete in der Technischen Marineschule, steht das Marienuntersuchungsgefängnis wie wenige andere Orte für die ganze Breite der Verhandlung von Recht und Unrecht. Die Initiative Marineuntersuchungsgefängnis (IMUG) fasst dies treffend zusammen: „Gerichte, Justiz, Gefangene, Urteile, Marinerecht und auch Todesstrafen – das Gebäude repräsentiert wie kein anderes die Historie des Rechts in gleich vier Systemen: Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Diktatur und Bundesrepublik.“ (www.marineuntersuchungsgefaengnis-kiel.de).
Vorgeschlagen wird dazu ein experimenteller Prozess mit einer schrittweisen Erarbeitung zur Bedeutung des Ortes, dem Umgang und Lehren der Geschichte und seiner zukünftigen Rolle. Im räumlichen Fokus zwischen lokaler, historischer (Demokratie-)Geschichte und internationaler, aktueller Flüchtlingskrise bildet der Ort selbst mit seiner Geschichte den Raum für die Fragen seiner historischen wie zeitgenössischen Bedeutung, seiner zukünftigen Rolle und Perspektiven.
Konkret bedeutet dies, dass das Marineuntersuchungsgefängnis vor Ort in mehreren Etappen über die kommenden Jahre mit einem interdisziplinären Team aus Geschichte, Planung, Denkmalpflege und Kultur gemeinsam mit der Öffentlichkeit analysiert werden soll, um Perspektiven seiner Nutzung zu entwickeln. Flankiert wird dieser Prozess durch fundierte Untersuchungen zu einzelnen Fachthemen wie Bausubstanz, Statik und Denkmalschutz, die weiteres Wissen zu Möglichkeiten der behutsamen Veränderung/Neuerfindung des Gebäudes geben. Die Forschung ist dabei nicht alleine analysierend beschreibend, sondern soll durch aktive gestalterische und räumliche Interventionen und Pioniernutzungen von Innen- und Außenräumen neue Möglichkeiten erproben und öffnen. Dazu sollen einzelne Räume des Gebäudes oder Freiflächen zusammen mit Initiativen und Öffentlichkeit erkundet, erprobt und genutzt werden. Obgleich sich der Prozess durch eine große methodische und diskursive Offenheit auszeichnet, ist es Ziel, über kurzzeitige Zwischennutzungen hinaus semi-temporäre und dauerhafte bauliche Ertüchtigungen umzusetzen. Im Ergebnis werden so in Teilen erste investive Maßnahmen mit konkreten Nutzungen auf Basis einer angewandten Machbarkeitsstudie realisiert, die – sofern sie dauerhaft funktionieren – in eine zu erarbeitenden Nutzungs- und Betreiberkonzeption überführt werden. Für andere räumliche Bereiche, die in diesem Prozess noch nicht in eine dauerhafte Bespielung überführt werden konnten, wird nur das Nutzungs- und Betreiberkonzept erarbeitet, so dass es zukünftig zu einer gesamthaften Nutzung, Sanierung und Neuerfindung des Ensembles aus Historie, Denkmal und Freiflächen führt.
Für diesen Prozess ist es erforderlich eine geeignete Arbeitsgemeinschaft von Planer*innen, und Architekt*innen unter Hinzuziehung von Fachleuten für beispielsweise die historische und denkmalpflegerische Expertise zu finden. Daneben sind personelle Ressourcen und auch ein Umsetzungsbudget für Zwischennutzungen und Aktionen sowie den Diskurs vor Ort erforderlich. Zur Konkretisierung und abschließenden Definition der Aufgabenstellung sowie zur Beratung bei der Durchführung des voraussichtlich erforderlichen europaweiten Ausschreibungsverfahrens soll ein beratendes Verfahrensmanagement beauftragt werden.
Der Prozess soll durch ein Begleitgremium aus Vertretern der Politik, Verwaltung und den Initiativen vor Ort (z.B. Maritimes Viertel – Kultur am Kanal e.V., Initiative Marineuntersuchungsgefängnis Kiel, Mahnmal Kielian e.V.) flankiert werden.
Beteiligung der Gremien
Wegen der kurzen Einreichungsfrist der Projektskizze (Abgabe spätestens 30.04.24) ist weder eine Vorbefassung im Bauausschuss noch des Ortsbeirates mit dem Programmantrag möglich. Es erfolgt die direkte Beteiligung des Kulturausschusses der wegen der historisch- und kulturellen Bedeutung der Liegenschaft ein weiteres zuständiges Gremium ist.
Die notwendige Bereitstellung der Haushaltmittel würde erst nach Aufnahme in das Förderprogramm erfolgen. Die Bereitstellung der kommunalen Eigenanteile ist durch den Rat zu beschließen.
Nach erfolgreicher Bewerbung ist gegebenenfalls eine Umpriorisierung bei Projekten erforderlich, sofern eine vakante Stelle im Stadtplanungsamt nicht besetzt werden kann, da aktuell keine ausreichenden Personalkapazitäten für die Bearbeitung des Projektes bereitstehen. Sofern das Projekt nicht zur 2. Phase zugelassen wird oder keine Berücksichtigung bei der finalen Auswahl durch den Fördergeber findet, ist das in der Drucksache 1172/2021 beschriebene Verfahren weiter zu verfolgen.
Die Verwaltung wird die eingereichte Projektskizze den politischen Gremien (Bau- und Kulturausschuss sowie Ortsbeirat) in Form einer Geschäftlichen Mitteilung vorlegen und über den weiteren Verlauf des Verfahrens berichten.
Der Ortsbeirat Wik erhält den Antrag der Verwaltung zur Kenntnis.
gez. Doris Grondke
Stadträtin für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt