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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung - 0584/2017

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Beratungsfolge

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Antrag

 

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Sachverhalt/Begründung

Zusammenfassung

 

Zum 01.01.2017 wurden die Pflegestärkungsgesetze (PSG) II und III umgesetzt. Während der Schwerpunkt des PSG II in den Änderungen der Pflegversicherung des Sozialgesetzbuches XI (SGB XI) und den dortigen Leistungsverbesserungen liegt (Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade (PG)), passt das PSG III die Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII den neuen Regelungen der Pflegeversicherung an.

 

Die neue Gesetzgebung hat tief sowohl in die Systematik der Pflegeversicherung als auch der Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII eingegriffen.

Die wesentlichen Auswirkungen auf die Landeshauptstadt Kiel als Sozialhilfeträger, die jetzt nach den ersten Monaten der neuen gesetzlichen Grundlagen sichtbar werden, sind im Folgenden dargestellt.

 

Grundlegende Auswirkungen

 

Es geht im PSG III im Wesentlichen darum, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue Begutachtungsverfahren auch im Anwendungsbereich des SGB XII verbindlich zu implementieren. Parallel sind alle Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII jetzt eigenständig erfasst und neu strukturiert worden. Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff soll der Zugang zur Pflege erheblich erleichtert und körperliche wie psychische sowie kognitive Beeinträchtigungen gleichermaßen berücksichtigt werden.

 

Mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes in das SGB XII wurden neue Leistungen (pflegerische Betreuungsleistungen) erforderlich, welche den festgestellten Bedarfen der Menschen entsprechen, die in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt sind oder sonstige psychosoziale Probleme haben.

 

Diese pflegerischen Betreuungsleistungen umfassen Unterstützungsleistungen zur Bewältigung und Gestaltung des alltäglichen Lebens im häuslichen Umfeld. Insbesondere sind Unterstützungsleistungen bei der Bewältigung psychosozialer Problemlagen oder Gefährdungen oder bei der Orientierung, der Tagesstruktur, der Kommunikation, der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte und bedürfnisgerechter Beschäftigungen im Alltag gemeint.

 

Nach den ersten Monaten der praktischen Anwendung des neuen Begutachtungssystems ist zu beobachten, dass rein körperlich eingeschränkte Menschen im Vergleich zum alten Verfahren einen Nachteil bei der Einstufung in die Pflegegrade zu haben scheinen. Neufälle mit rein körperlichen Einschränkungen kommen bisher selten in den PG 2, mit dem sie umfassende Leistungen erhalten nnen.

 

Der erleichterte Zugang zur Pflege mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff im Sozialhilferecht scheint somit in einigen Fällen fraglich. Konnte der Sozialhilfeträger bis Ende 2016 alle festgestellten, notwendigen Bedarfe der Leistungsberechtigten auch unterhalb der damaligen Pflegestufe 1 mit dem sogenannten erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff decken, so ist das jetzt nicht mehr möglich. Ein Beispiel:

 

Eine Frau von 85 Jahren ohne Pflegstufe aber mit geringem Pflegebedarf aufgrund ihres Alters, konnte bis Ende des Jahres 2016 täglich die Unterstützung beim Aufstehen, Waschen und Ankleiden erhalten. Die Kosten für diese Leistungen beliefen sich auf ca. 490 € monatlich. Nach dem neuen Begutachtungsverfahren erhält diese Dame den Pflegegrad (PG) 1, mit dem sie ausschließlich über limitierte Leistungen verfügt. Sie erhält einen Entlastungsbetrag von maximal 125 € monatlich. Diese Summe deckt den benötigten Bedarf, der in der Vergangenheit geleistet wurde, nicht ab. Eine Besitzstandregelung sieht das SGB XII nicht vor. In diesem und in ähnlichen Fällen übernimmt das Amt für Soziale Dienste nach eingehender Prüfung zur Vermeidung unbilliger Härten die bisherigen Leistungen als Alternativlösung nach § 73 SGB XII weiter. Dies  geschieht vor allem unter dem Gesichtspunkt der Stärkung der ambulanten Versorgung in der eigenen Häuslichkeit zur Vermeidung der stationären Unterbringung. Dieses Vorgehen wird auch vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung mit seinen Empfehlungen zur Umsetzung der Pflegestärkungsgesetze II und III angeregt. (Ist als Anlage beigefügt).

 

Es handelt sich um ca. 120 Fälle mit einem finanziellen Aufwand von ca. 300 € durchschnittlich pro Monat, so dass sich ein Jahresaufwand in Höhe von ca. 430.000€ ergibt, von dem das Land der Landeshauptstadt Kiel 72,5% erstattet.

 

Somit ist ein erleichterter Zugang zur Pflege durch den PG 1 nicht wahrnehmbar; er wirkt eher wie eine Art Vorstufe eines „echten“ Pflegegrades.

 

Eine weitere grundlegende Auswirkung ist die neu in das SGB XII aufgenommene Verpflichtung des Sozialhilfeträgers, den pflegerischen Bedarf der Leistungsberechtigten zu ermitteln und festzustellen. Dabei wurde offen gelassen, mit welchem Personal und damit verbundener Qualifikation und Methoden diese Feststellung getroffen werden soll. Das bleibt den Kommunen überlassen. Die Landeshauptstadt Kiel hat seit 2014 vier Pflegefachkräfte in der Fachabteilung, die den pflegerischen Bedarf ermitteln und feststellen nnen.

 

Personelle Auswirkungen

 

Mit dem PSG II und III erhalten die Sozialhilfeträger neu abzudeckende Aufgabenfelder und Inhalte der Leistungen der Hilfe zur Pflege. Diese müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rechtssicher erbringen. Alle Vordrucke und Bescheide zur abschließenden Bearbeitung werden aktualisiert, das Fachverfahren OPEN Prosoz musste angepasst werden und die neuen gesetzlichen Inhalte müssen verinnerlicht werden. Das bedeutet neben den laufenden Aufgaben eine erhebliche Mehrbelastung für alle Mitarbeitenden. Das Amt für Soziale Dienste prüft zurzeit, ob diesbezüglich Stellenplananträge erfolgen müssen.

 

 

Finanzielle Auswirkungen

 

Die finanziellen Auswirkungen des PSG II und III sind nicht abschließend darstellbar. Schon der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag haben vor der Einhrung der Pflegestärkungsgesetze ausgeführt, dass die finanziellen Folgen für die Träger der Sozialhilfe nicht absehbar sind. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger rechnet nicht mit der in der Gesetzesbegründung dargestellten finanziellen Entlastung der Sozialhilfe. Trotzdem kann festgehalten werden, dass einige Leistungsberechtigte in stationärer Betreuung durch die Überleitungen in den nächst höheren Pflegegrad die damit verbundenen die erhöhten Leistungen der Pflegeversicherung, aus dem Leistungsbezug des Sozialhilfeträgers ausgeschieden sind. Ebenso erhalten Leistungsberechtigte im laufenden ambulanten Hilfebezug durch die Überleitungen in die nächst höheren Pflegegrade höhere Leistungen durch die Pflegeversicherung, die nicht mehr durch den Sozialhilfeträger nach dem SGB XII gedeckt werden müssen. Inwieweit die Kosteneinsparungen in 2017 durch die neuen pflegerischen Betreuungsmaßnahmen wieder eingefangen werden, ist aktuell nicht bezifferbar.

 

Fazit

 

Die Einführung des neuen Pflegeberftigkeitsbegriffes in die Sozialhilfe ist ein wichtiger Baustein zur Vereinheitlichung der unterschiedlichen Leistungsträger in der Pflege. Ob der Zugang zur Pflege wirklich vereinfacht wurde, um einen längeren Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu realisieren, ist aktuell nicht vorhersehbar. Ebenso ssen wir weitere Erkenntnisse darüber abwarten, ob das neue Begutachtungssystem wirklich gleichberechtigt körperliche, kognitive und psychische Einschränkungen bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit becksichtigt.

 

 

 

 

Gerwin Stöcken

Stadtrat

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Anlagen

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Beschlüsse

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Jun 29, 2017 - Ausschuss für Soziales, Wohnen und Gesundheit - zur Kenntnis genommen