Infosystem Kommunalpolitik
Geschäftliche Mitteilung - 0603/2020
Grunddaten
- Betreff:
-
Satzung über die Erhebung einer Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen
- Status:
- öffentlich (Drucksache abgeschlossen)
- Drucksachenart:
- Geschäftliche Mitteilung
- Federführend:
- Amt für Finanzwirtschaft
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
---|---|---|---|---|
●
Erledigt
|
|
Innen- und Umweltausschuss
|
Kenntnisnahme
|
|
|
Sep 1, 2020
| |||
●
Erledigt
|
|
Finanzausschuss
|
Kenntnisnahme
|
|
|
Sep 8, 2020
| |||
●
Erledigt
|
|
Ratsversammlung
|
Kenntnisnahme
|
|
|
Sep 17, 2020
|
Sachverhalt/Begründung
- 1 -
Interfraktioneller Antrag (Drs. 0179/2020) vom 21.02.2020:
Die Verwaltung wird um Prüfung und Mitteilung des Ergebnisses bis zur Ratssitzung im Mai 2020 gebeten, ob eine Übertragung der als Anlage beigefügten „Satzung über die Erhebung einer Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen“ der Universitätsstadt Tübingen auf die Landeshauptstadt Kiel möglich und zweckmäßig wäre.
Eine Prüfung bis zur Ratssitzung im Mai 2020 war aufgrund der Corona-Situation nicht möglich, das Prüfergebnis wird hiermit nachgereicht.
1. Rechtliche Betrachtung
Das Rechtsamt der Landeshauptstadt Kiel hat sich mit der Frage befasst, ob die LHK eine kommunale Satzung analog der Tübinger Verpackungssteuersatzung erlassen könne. Im Ergebnis teilt das Rechtsamt mit, dass es nach dortigem Dafürhalten rechtlich möglich ist, eine Verpackungssteuersatzung einzuführen, die Einwegverpackungen besteuert. Schwierigkeiten dürfte die Festlegung des jeweiligen Steuersatzes bereiten, da hier ein angemessener Ausgleich zwischen Lenkungswirkung und dem Eingriff in Grundrechten zu erfolgen hat. Der Steuersatz müsste nochmals Gegenstand einer eigenständigen Prüfung sein. Sie darf nicht höher sein, als sie muss, um den Zweck zu erreichen, jedoch darf sie auch nicht zu niedrig sein, weil sie anderenfalls nicht in der Lage wäre, den angestrebten Zweck zu fördern.
Es sollte allerdings nicht verkannt werden, dass es keine Rechtsprechung zu den veränderten Rahmenbedingungen gibt und einige sich weiterhin auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 07.05.1998 – 2 BvR 1991/95 Rn. 74) berufen werden, nach der die kommunale Steuer der Stadt Kassel auf Einwegverpackungen und Einweggeschirr dem seinerzeit gültigen und mittlerweile umfassend reformierten Abfallrecht des Bundes widerspreche. Darüber hinaus hat der Bund eine Erhebung aufgrund von tatsächlichen Schwierigkeiten in seinem Abfallvermeidungsprogramm aus 2013 ausdrücklich nicht empfohlen. Die Literaturmeinung, dass eine kommunale Verpackungssteuer rechtlich unzulässig ist, wurde prominent insbesondere von Versmann in Jarass/Petersen, Kommentar zum KrWG, 1. Auflage 2014 vertreten. Eine Neuauflage dieses Kommentars existiert nicht. Ob der Verfasser mittlerweile seine Auffassung geändert hat, ist nicht bekannt. Die herrschende Meinung in der Literatur geht jedoch in Übereinstimmung mit dem hiesigen Rechtsamt davon aus, dass die Erhebung einer kommunaler Verpackungssteuer möglich ist (vgl. hierzu Dr. Fehlau, Gutachten über die Möglichkeit einer Besteuerung von PET-Einkaufstragetaschen und Einweggeschirr auf Landesebene, 30.10.2015; Dr. Klingen, Rechtsgutachterliche Stellungnahme zur Zulässigkeit landesrechtlicher Regelungen zur Erhebung einer Sonderabgabe oder einer Verpackungssteuer auf die Abgabe von PET-Einkaufstragetaschen oder Einweggeschirr vom 02.04.2014; Versteyl/Mann/Schomerus KrWG § 33, 2019, Klinger/Krebs ZUR 2015, 664 f. und Kalscheuer/Harding NordÖR 2017).
Im Hinblick darauf, dass einzelne Unternehmenszweige oder Betätigungsfelder nicht mehr wirtschaftlich ausgeübt werden können (z. B. eine Portion Pommes, Verkaufspreis, 2,30 €: 50 Cent für die Pommesschale zuzüglich 20 Cent für die Pommesgabel = bis zu 30 % Aufpreis), besteht ein gewisses Risiko, dass gerichtliche Verfahren gegen die LHK angestrengt werden. Die Erfolgs-aussichten solcher Klagen schätzt das Rechtsamt als eher gering ein, jedoch steht zu befürchten, dass der gesamte Instanzenweg beschritten werden müsste.
Im Hinblick auf die Rechtsrisiken und wegen des Pilotcharakters des Vorhabens sollen die Steuerbescheide in Tübingen unter Vorbehalt erlassen werden. Das bedeutet, dass die Steuerbescheide viele Jahre angreifbar bleiben. Dadurch könnte, so die Ausführungen der Stadt Tübingen, vermieden werden, dass eine große Zahl von Steuerschuldnern Widerspruch gegen die Bescheide einlegt, um in den Genuss einer Rückzahlung zu kommen, falls die Satzung nachträglich für unwirksam erklärt wird. Die Verwaltung der Stadt Tübingen wird diesen Vorbehalt umsetzen und muss das daraus entstehende Rückzahlungsrisiko im Haushalt durch eine zweckgebundene Rücklage abdecken. Dies erweckt den Eindruck, dass die Stadt Tübingen selbst anzweifelt, dass eine derartige Satzung rechtlich „durchsteht“.
2. Umweltpolitische Betrachtung
Das Umweltschutzamt hat nachfolgend Stellung zu einer möglichen Verpackungssteuer genommen:
Viele Betriebe halten „To-Go“-Angebote wie beispielsweise die Pizza im Pappkarton, den Kaffee im Einwegbecher oder den Burger in der Pappbox vor und verwenden hierfür Einwegverpackungen. Aus Gesichtspunkten des Umweltschutzes ist ein Systemwechsel von Einwegartikeln, die nach einmaliger Verwendung entsorgt werden, auf Mehrwegsysteme absolut erstrebenswert und abfallrechtlich geboten.
Zum einen handelt es sich um eine Vergeudung von Ressourcen, wenn Materialien/Produkte nach nur einmaliger Verwendung entsorgt und dann womöglich thermisch verwertet werden. Selbst wenn die Einwegartikel einer getrennt erfassten Wertstoffsammlung zugeführt werden, wird für das Recyceln erneut Energie benötigt. Erneut deshalb, weil schon bei der Gewinnung der entsprechenden Rohstoffe sowie bei der Herstellung, der Verarbeitung und dem Transport von Produkten viel Energie aufgewendet wird. All dieser Energieeinsatz leistet ungewollt einen Beitrag zur Klimaerwärmung. Zum anderen gelangen zu viele Verpackungen, gerade auch von „To-Go“-Produkten, unkontrolliert in die Umwelt und stellen eine Belastung für Fauna und Flora (inklusive der Meeresumwelt) sowie der menschlichen Gesundheit dar. Dieses achtlose Entsorgen von Verpackungen im öffentlichen Raum verschandelt das Stadtbild und erzeugt erhöhte Kosten bei der Abfallentsorgung.
Aus umweltpolitischer Sicht ist daher ein deutlicher Anreiz für eine Reduzierung nicht wiederverwendbaren Verpackungsmülls in Form von „To-Go“-Einwegverpackungen, -geschirr und –besteck zu begrüßen. Deshalb hat die Landeshauptstadt Kiel auf ihrem Weg zur Zero.Waste.City u. a. im September 2019 ein Pfandsystem für Mehrwegbecher unterstützt. Dieses Pfandsystem soll verhindern, dass Einwegbecher direkt nach der Benutzung weggeworfen werden. Getragen wird es von großen und kleinen Bäckereien und ihren Filialen sowie Cafés und Restaurants sowie dem Pfandbecheranbieter ‚Cup&more / tobego‘. Es gibt weit über 100 Annahme- und Abgabestellen in Kiel. Damit ist diese Pfandbecherinitiative zurzeit die größte in Schleswig-Holstein.
Mit der jetzt schon vorhandenen Infrastruktur ist gewährleistet, dass fast Jede*r im Kieler Stadtgebiet einen schnellen Kaffee im Gehen trinken kann, ohne dabei Abfall zu hinterlassen. Die Verbreitung im Stadtgebiet und in der Region ist vorbildlich, es gab vor Ausbruch der Corona-Pandemie auch täglich neue Betriebe, die mitmachen wollten.
Mittlerweile ist rund ein halbes Jahr vergangen und erste Ergebnisse liegen vor. Diese versprechen allerdings nicht den gewünschten Erfolg. Weit weniger als 10 % nutzen die Mehrweg-Kaffeebecher. Das liegt zum einen daran, dass die Becher in den Geschäften eher selten angeboten werden und zum anderen keine besonders große Nachfrage nach dem Produkt herrscht. Eine Verpackungssteuer dürfte dabei hilfreich sein, die Mehrwegbecher gesellschaftsfähiger zu machen, auf Anbieter- wie auch auf Konsumentenseite.
Diese Erfahrungen in Bezug auf die Einführungsprobleme beim Pfandbechersystem dürften auch auf andere Mehrweg-Systeme übertragbar sein. Ganz im Sinne der städtischen Zero-Waste-Initiative hat die Zukunft der Verkaufs-, Transport- und Versandverpackungen dem Mehrwegsystem zu gehören, damit Verpackungen idealerweise wiederverwendbar, zumindest aber vollständig recycelbar und damit weggeworfene Einweg-Verpackungen zukünftig aus dem Stadtbild verbannt sind. Daher wäre eine umfassende Verpackungssteuer auf kommunaler Ebene geeignet, um die entsprechenden Anreize für Systemänderungen zu bieten, solange solche Anreize nicht bereits auf Bundes- oder EU-Ebene geschaffen werden.
3. Finanzielle Betrachtung.
Die finanziellen Auswirkungen einer Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen werden ausgehend von den vorliegenden Daten, Informationen und Kosten aus Tübingen übertragen auf die Landeshauptstadt Kiel geschätzt. Die Stadt Tübingen verfügt über 89.000 Einwohner, während die Stadt Kiel 247.500 Einwohner (Stand 2018) aufweist. Das bedeutet, dass die Einwohnerzahl Kiels das 2,8-fache von Tübingen beträgt. In der nachfolgenden Berechnung wird vereinfacht vom Dreifachen ausgegangen.
Tübingen führt Folgendes aus:
Die Einführung der Verpackungssteuer ist mit Verwaltungsaufwand verbunden. Zuerst müssen alle Betriebe ermittelt und angeschrieben werden, die voraussichtlich von der Steuer betroffen sind. Außerdem müssen Vordrucke für die Steuererklärungen sowie Merkblätter erstellt, die eingehenden Erklärungen geprüft und bearbeitet sowie Steuerbescheide erstellt werden. Die Verwaltung geht daher davon aus, dass über einen Zeitraum von voraussichtlich zwei Jahren zwei Vollzeitstellen (1 x EG 8, 1 x A 10) erforderlich sind. Dies zeigt die Erfahrung aus der Einführung der Zweitwohnungsteuer. Auf längere Sicht wird dann wohl eine Personalstelle (50-100%) ausreichend sein.
Übertragen auf die LHK würde das bedeuten, dass etwa 3 MA EG 8 und 3 MA A 10 (Vollzeitstellen) über einen Zeitraum von voraussichtlich zwei Jahren eingesetzt werden müssen (jährliche Kosten: Mittelwert A 10, ca. 102.300 €; Mittelwert EG 8, ca. 56.300 € => Gesamt-Personalkosten der ersten zwei Jahre, ca. 951.600 €). Hinzu kämen Sachkosten- und Verwaltungsgemeinkosten (Zuschlag ca. 20 %) Während der zweijährigen Einführungsphase ergäben sich Kosten in Höhe von ca. 1.142.000 €, die nach der Einführung der Verpackungssteuer sinken könnten. Tübingen unterstellt, dass die Kosten ab dem 3. Jahr etwa ein Drittel der jährlichen Einführungskosten betragen. Übertragen auf die Landeshauptstadt Kiel würde somit nach der Einführungsphase der jährliche Aufwand etwa 190.000 € betragen.
Die Stadt Tübingen teilt ferner mit, dass die Einnahmen nicht seriös geschätzt werden können. Im HH-Planentwurf der Stadt Tübingen werden daher Einnahmen und Ausgaben in gleicher Höhe angesetzt. Übertragen auf die LHK würden bei gleicher Vorgehensweise in den ersten beiden Einführungsjahren jährlich etwa 571.000 € an Aufwand entstehen (Personalkosten + Sachkosten-/Verwaltungskostenzuschlag). Der Aufwand nach dieser Einführungsphase beträgt jährlich etwa 190.000 €. Eine Kostendeckung würde erfordern, dass jährlich Steuereinnahmen in gleicher Höhe generiert werden könnten. Eine Schätzung der Steuereinnahmen ist nicht möglich.
Gesamtbetrachtung:
Es ist davon auszugehen, dass eine Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen einen Beitrag zur Reduzierung von umweltbelastenden Verpackungen leisten könnte. In welchem Umfang dies jedoch geschehen könnte, ist nicht abzuschätzen. Abgesehen von der verbleiben Restunsicherheit in rechtlicher Hinsicht ist weiterhin zu bedenken, dass bei der Einführung ein langer und möglicherweise kostenintensiver Rechtsweg zu bestreiten wäre. Im schlimmsten Fall müsste die gesamte Verpackungssteuer, die erhoben wurde, ausgekehrt werden. Angesichts des Aufwandes zur Einführung der Verpackungssteuer in Höhe von mehr als 1,1 Mio. € in den ersten zwei Jahren, empfiehlt es sich, zunächst mehrere Jahre die Entwicklung in Tübingen zu beobachten und nach diesem Beobachtungszeitraum erneut die Verpackungssteuer zu thematisieren. Insbesondere während der Corona-Krise sollte davon abgesehen werden, gastronomischen Unternehmern weitere finanzielle Belastungen aufzubürden bzw. in Aussicht zu stellen.
In Vertretung
Gerwin Stöcken
Stadtrat