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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung - 0674/2020

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Beratungsfolge

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Antrag

 

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Sachverhalt/Begründung

  1. Ausgangslage

 

Nach dem Ratsbeschluss 0259/2020 soll die Stadtverwaltung ein Verfahren schaffen, durch das Menschen mit Hörbehinderung barrierefreien Zugang zu Informationen im Katastrophenfall erhalten. Beispielhaft wurden Evakuierungen und der Ausbruch von Feuer genannt. Primär soll dafür ein Telefon-Gebärdensprach-Dolmetschdienst (TGD) geprüft werden. Zum einen in Form einer befristeten Hotline und zum anderen für die alltägliche telefonische Kommunikation.

 

Ein TGD ermöglicht es gehörlosen Menschen via Videokonferenz mit einem/einer Gebärdensprachdolmetscher*in zu kommunizieren, der/die als Mittler*in zwischen den Gesprächsteilnehmenden fungiert.

 

  1. Barrierefreie Informationen für Menschen mit Hörbehinderung

 

Viele Menschen, die von Geburt an gehörlos sind, haben Schwierigkeiten, Texte zu lesen und zu verstehen. Ihre Muttersprache ist die Gebärdensprache, die sich in Satzbau und Grammatik erheblich von der Schriftsprache unterscheidet. In Kiel leben zum aktuellen Zeitpunkt 205 Menschen mit dem Merkzeichen Gl (gehörlos) in ihrem Schwerbehindertenausweis (Stand Juni 2020).

 

Für die Erstellung der Geschäftlichen Mitteilung wurden aufgrund ihrer Zuständigkeiten das Amt für Brandschutz, Rettungsdienst, Katastrophen- und Zivilschutz sowie das Bürger- und Ordnungsamt einbezogen. Das Jobcenter Kiel wurde zu den bisherigen Erfahrungen mit dem TGD befragt. Zudem wurde der Gehörlosenverband Kiel ebenso wie der Beirat für Menschen mit Behinderung um eine Stellungnahme gebeten.

 

Das Amt für Katastrophenschutz führt aus, dass die im Beschluss genannten Beispiele einer Bombenentschärfung oder der Corona-Pandemie definitionsgemäß nicht unter den Begriff „Katastrophe“ fallen. Eine Katastrophe ist eine größere Gefährdungs- und Gefahrenlage, die mit der vorgehaltenen Gefahrenabwehr (Feuerwehr, Rettungsdienst, Polizei) nicht angemessen bewältigt werden kann.[1]  Im Katastrophenschutz und besonderen Gefährdungslagen werden Warnungen in Form einer einseitigen Kommunikation ausgesprochen. Für solche Warnungen befürwortet das Amt Gebärdensprachvideos statt eines TGD.

 

Das Bürger- und Ordnungsamt erklärt, dass innerhalb eines Jahres durchschnittlich vier Bombenentschärfungen stattfinden. Dabei wird im Radio, Fernsehen, Internet, der Presse, auf Twitter, Instagram und Facebook über die Bombenentschärfung sowie die damit verbundenen Evakuierungsmaßnahmen informiert. Weiterhin werden Handzettel an die betroffenen Haushalte verteilt. Neben einem ausführlichen Text gibt es im unteren Abschnitt des Handzettels einen QR-Code, der zu www.kiel.de führt. Im Februar wurden die Evakuierungshinweise auf www.kiel.de ergänzt. Für Menschen mit Hörbehinderung ist die E-Mail-Adresse ordnungsamt@kiel.de eingerichtet worden.

 

TGD - Befristete Hotline

In der Stellungnahme des Gehörlosenverbandes Schleswig-Holstein, die der Beirat für Menschen mit Behinderung unterstützt, wird erklärt, dass Hörende immer die Möglichkeit haben, sich telefonisch bei der Verwaltung Informationen und Auskünfte einzuholen. Dies soll auch für gehörlose Einwohner*innen ermöglicht werden. Sollte eine befristete Hotline – wie während der Corona-Pandemie    für hörende Menschen eingerichtet werden, soll eine solche auch für hörbehinderte Menschen nutzbar sein. Dafür wird das Dienstleistungsunternehmen Tess Relay empfohlen.

 

Ein dTGD in Form einer befristeten Hotline könnte über den Dienst Tess Relay zur Verfügung gestellt werden. Da der Begriff „Katastrophenfall“ für Kiel zu eng gefasst ist, müsste eine Entscheidung getroffen werden, wann ein solcher Dolmetschdienst erforderlich ist. Möglich wäre die Erstellung eines Szenarien-Katalogs von Situationen, die es erforderlich machen, alle Kieler*innen zu informieren.

 

Auf telefonische Nachfrage erklärt das Unternehmen, dass eine Einrichtung des Dienstes theoretisch für einen Monat möglich wäre. Jedoch nimmt die technische Einrichtung, je nach Auslastung des Unternehmens, 3-4 Wochen in Anspruch. Tess empfiehlt für solche Situationen auf den Dienst generell zu verweisen.

Für die private Nutzung von Tess durch gehörlose Menschen fällt keine Grundgebühr an und eine Anmeldung ist kostenlos. Nur die Gebärdensprach-Dolmetschkosten in Höhe von 0,14 € pro Minute sind zu entrichten. D.h. es besteht jederzeit die Möglichkeit, die Verwaltung zu kontaktieren. Auch Notrufe sind über den Dienst Tess kostenfrei möglich.

 

TGD - Alltägliche Kommunikation

Nach dem Ratsbeschluss soll neben einer befristeten Hotline auch ein TGD für die alltägliche telefonische Kommunikation geprüft werden. „Alltägliche Kommunikation“ wird als Kommunikation mit der Verwaltung in Verwaltungsangelegenheiten ausgelegt, ähnlich dem Servicetelefon für Hörgeschädigte des Jobcenters. Mehr als 50 Prozent aller Jobcenter bieten das Servicetelefon für Hörgeschädigte an, u. a. auch das Jobcenter Kiel. Von Montag bis Freitag von 08:00 bis 18:00 Uhr kann das Servicetelefon für die Anrufenden gebührenfrei über Tess Relay Dienste genutzt werden. Das Jobcenter Kiel erklärt, dass das Servicetelefon wenig genutzt werde. Oft werde auf Präsenz-Dolmetscher*innen zurückgegriffen.

 

Durch einen Link auf der Internetseite der Stadt Kiel könnte die erforderliche Software von den Nutzer*innen kostenfrei heruntergeladen werden. Mit dieser wird eine telefonische Kommunikation über Gebärdensprache oder mit Schriftdolmetscher*innen ohne weitere Gebühren für die Anrufenden ermöglicht. Es kann ausschließlich eine zentrale Rufnummer der Stadt Kiel angerufen werden. Eine Weiterleitung zu den zuständigen Mitarbeitenden ist möglich.

Für die Bereitstellung des TGD über Tess Relay Dienste fällt eine Grundgebühr von 500 € pro Monat an, also 6.000 € in einem Jahr. Die Kosten pro Gespräch belaufen sich auf 1,70 € pro Minute. Zusätzlich gibt es eine einmalige Einrichtungsgebühr i. H. v. 2.500 €.

 

Gebärdensprachvideos

Aufgrund der im Ratsbeschluss beispielhaft aufgeführten Situation „Evakuierung“ wurde die Firma VerbaVoice kontaktiert. Die Firma schlägt vor, ein Grundvideo mit festen Informationen für sich wiederholende Ereignisse zu erstellen. Die sich ändernden Informationen, wie z. B. Zeitpunkt, Ort und Radius bei einer Bombenentschärfung, erscheinen in Textform als Untertitel. So muss nicht für jede Evakuierung ein neues Video produziert werden. Die hinterlegte Textdatei für den Untertitel kann einfach und schnell durch die Stadt geändert werden. Das Grundvideo mit den Basisinformationen kann vorbereitet und im Akutfall mit aktuellen Informationen gespeist werden. Eine Seite mit 1.500 Zeichen ergibt ein Video von ca. 3 Minuten. Die Kosten betragen 349 € zzgl. MwSt. Ein Untertitel wird zusätzlich berechnet.

Dies bietet eine vorausschauende, einfache und kostengünstige Möglichkeit, Menschen mit Hörbehinderung wichtige Informationen schnell auf der Internetseite der Stadt Kiel zugänglich zu machen. Weiterhin entspricht das Verfahren einer einseitigen Kommunikation, wie sie durch das Fachamt empfohlen wurde.

 

  1. Fazit

 

Der Ratsbeschluss fordert ein Verfahren, mit dem Menschen mit Hörbehinderung barrierefreien Zugang zu Informationen im „Katastrophenfall“ erhalten. Ein differenzierter Szenarien-Katalog soll dafür erarbeitet werden.

 

Vorrangig sollte laut Beschluss der Einsatz eines TGD geprüft werden. Eine solche befristete Hotline kann die gewünschten Anforderungen nicht erfüllen: ihre Einrichtung dauert 3-4 Wochen und nur eine Ansprechperson kann von den Dolmetscher*innen angerufen werden. Gerade in einer Akutsituation mit verstärkten Anrufaufkommen kann die Erreichbarkeit mit einem Telefonanschluss nicht sichergestellt werden.

 

Ein TGD für die „alltägliche Kommunikation“ mit der Verwaltung – außerhalb einer besonderen Situation oder eines Katastrophenfalls – kann auch nicht befürwortet werden. Die Kosten sind schwer zu kalkulieren, da die Anzahl der Anrufenden nur geschätzt werden kann. Selbst ohne Anrufende betragen die Kosten für das erste Jahr 8.500 € (500 € pro Monat zzgl. 2.500 € Einrichtungsgebühr), danach 6.000 € pro Jahr. Weiterhin kann nur eine Person bei der Stadt Kiel von den Dolmetscher*innen angerufen werden und muss ggf. an die zuständigen Kolleg*innen weiterleiten. Das System eines TGD ist zurzeit weder für eine Ausnahmesituation geeignet noch für die alltägliche Kommunikation zu empfehlen.

Für Gespräche mit der Verwaltung können weiterhin, wie bisher auch, Präsenz-Dolmetscher*innen gebucht werden. Die Kosten übernimmt das jeweilige Amt.

 

Auch ist zu berücksichtigen, dass bereits ein telefonischer Zugang für gehörlose Menschen besteht. Hörbehinderte Menschen können den TGD der Firma Tess privat nutzen. Für sie fällt keine Grundgebühr an und von den Anrufenden sind nur die Gesprächskosten von 0,14 € pro Minute zu entrichten. Es könnte ein Hinweis auf www.kiel.de veröffentlicht und auf den kostenpflichtigen Dienst aufmerksam gemacht werden.

 

Um dem Antrag, mehr Informationen für Menschen mit Hörbehinderung zugänglich zu machen, gerecht zu werden, empfiehlt die Verwaltung Gebärdensprachvideos mit aktuellen Inhalten auf www.kiel.de. Das Angebot der Firma VerbaVoice bietet Grundvideos in Gebärdensprache mit Untertitel für sich wiederholender Ereignisse an. Die Kosten belaufen sich auf 300-400 € pro dreiminütigem Video. Neben Informationen über bevorstehende Evakuierungen können auch weitere Gebärdensprachvideos entwickelt werden. Aktuell bieten sich Informationen über die Situation um COVID-19 an.

 

Zusätzlich sollte ein Rahmenvertrag zwischen der Landeshauptstadt Kiel und Gebärdensprachdolmetscher*innen geschlossen werden. Diese könnten u.a. bei Pressekonferenzen und zu aktuellen Situationen übersetzen sowie zu Terminen in den Ämtern gebucht werden. Neben kulturellen Veranstaltungen, Großveranstaltungen sowie den Ausschuss-, Ortsbeirats- und Beiratssitzungen steigt täglich der Bedarf an Gebärdensprachdolmetscher*innen für eine inklusive Gesellschaft.

 

In Vertretung

 

 

 

 

Christian Zierau

Stadtrat

 

 


[1] https://www.bbk.bund.de/SubSites/Kritis/DE/Servicefunktionen/Glossar/Functions/glossar.html?lv2=4968594

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Beschlüsse

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Oct 22, 2020 - Ausschuss für Soziales, Wohnen und Gesundheit - vertagt

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Nov 3, 2020 - Innen- und Umweltausschuss - zur Kenntnis genommen

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Nov 26, 2020 - Ausschuss für Soziales, Wohnen und Gesundheit - zur Kenntnis genommen