Infosystem Kommunalpolitik
Geschäftliche Mitteilung - 1062/2021
Grunddaten
- Betreff:
-
Handwaschbecken in Klassenräumen – Stellungnahme der Verwaltung
- Status:
- öffentlich (Drucksache abgeschlossen)
- Drucksachenart:
- Geschäftliche Mitteilung
- Federführend:
- Immobilienwirtschaft
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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Erledigt
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Ausschuss für Schule und Sport
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Kenntnisnahme
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Nov 11, 2021
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Dec 9, 2021
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Erledigt
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Bauausschuss
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Kenntnisnahme
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Dec 2, 2021
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Sachverhalt/Begründung
- 1 -
Auf Wunsch aus dem Ausschuss für Schule und Sport und bezugnehmend auf den Antrag zur Durchführung eines Pilotprojektes an der Friedrich-Junge-Schule (Drs. 0876/2021) nimmt die Verwaltung Stellung zur aktuellen Diskussion um die Errichtung bzw. den Erhalt von Handwaschbecken in den Klassenräumen der Kieler Schulen.
Handwaschbecken in Klassenräumen gelten als technische Einrichtungen, die den Vorgaben der bundesweit gültigen Empfehlungen des AMEV (Arbeitskreis Maschinen- und Elektrotechnik staatlicher und kommunaler Verwaltungen) unterliegen. Hier gilt aktuell die durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat veröffentlichte AMEV-Empfehlung „Sanitäranlagen 2021“ mit Stand vom 01. April 2021 (Link: Sanitäranlagen 2021 (amev-online.de)). Zudem sind die Anforderungen der Trinkwasserverordnung (TrinkwV) und verschiedener technischer Regeln (u.a. DIN, VDI, DVGW) zu beachten und einzuhalten.
Die AMEV-Empfehlungen, die Trinkwasserverordnung und die technischen Regeln sind darauf ausgerichtet, gesundheitliche Gefahren durch die Verunreinigung, speziell Keimbelastungen des Trinkwassers zu verhindern. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Vermeidung des sogenannten „Stagnationswassers“ in Leitungssystemen, das durch eine nicht ausreichende Nutzung der vorhandenen Zapfstellen bzw. fehlenden regelmäßigen Wasseraustausch in den Leitungen verursacht wird. Stagnationswasser fördert insbesondere auch die Bildung von Legionellen, die entgegen einer langläufigen Auffassung auch in Kaltwasserleitungen auftreten können, wenn sich diese durch die Umgebungstemperatur erwärmen.
Vor dem Bau und dem Betrieb ist daher bereits in der Planung der Trinkwasseranlagen eine bedarfsorientierte Optimierung des Trinkwassernetzes und der vorzuhaltenden Trinkwasserzapfstellen vorzunehmen. Das heißt, dass eine strenge Bedarfsanalyse zur Minimierung der Zapfstellenanzahl durchzuführen ist, um eine regelmäßige Wasserabnahme an allen Zapfstellen zu gewährleisten.
Die aktuelle AMEV-Empfehlung Sanitäranlagen 2021 gibt für Schulen die Ausstattung mit einem Waschtisch je 80 – 100 Schüler*innen als Richtwert vor. Ob und inwieweit in der diesjährigen Aktualisierung der Empfehlung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ggf. zusätzliche Anforderungen abgewogen wurden, lässt sich anhand der verfügbaren Quellen nicht nachvollziehen.
Grundsätzlich ist der gegebene Richtwert daher auch für die Kieler Schulbauvorhaben anzuwenden und jede darüberhinausgehende Ausstattung sorgsam zu überprüfen.
Zitat AMEV-Empfehlung:
„Forderungen der Nutzer bzw. Bedarfsträger, die über normale Standards hinausgehen, sind stets auf ihre Berechtigung und/oder Plausibilität zu prüfen und ggf. zurückzuweisen. Ebenso sind die Auflagen und Forderungen der Genehmigungs-, Zustimmungs- und/oder Aufsichtsbehörden insbesondere bezüglich des Umwelt- und Arbeitsschutzes kritisch zu prüfen.“
Unter diesem Aspekt ist auch die Empfehlung der Unfallkassen, dass jeder Klassenraum mit einem Handwaschbecken ausgestattet sein sollte, zu betrachten. Dieser sollte und kann nur gefolgt werden, wenn die Umsetzung tatsächlich auch unter einwandfreien hygienischen Bedingungen möglich ist.
An verschiedenen Beispielen im Bestand, aber auch aktuellen Planungs- und Bauvorhaben lässt sich nachvollziehen, dass bei den Kieler Schulen bereits eine über die AMEV-Empfehlung hinausgehende Ausstattung erfolgt, wenn hierfür ein Bedarf gegeben ist und die Umsetzung unter Einhaltung der technischen Vorgaben erfolgen kann. Wesentliche Merkmale sind hierbei ebenfalls eine absehbare regelmäßige Nutzung und kürzeste Wege für die Trink- und Abwasserleitungen durch die räumliche Nähe zu den zentralen Ver- und Entsorgungssträngen.
- Flächendeckende Ausstattung von Klassenräumen
Die flächendeckende Ausstattung der Klassenräume mit Handwaschbecken ist offenkundig ein weit über die AMEV-Empfehlungen hinausgehender Bedarf, der, die Berechtigung und/oder Plausibilität vorausgesetzt, auf eine technisch unbedenkliche Umsetzbarkeit aber auch die damit verbundenen wirtschaftlichen Aspekte zu überprüfen ist.
Technische Umsetzbarkeit
Die dezentrale Ausstattung und Versorgung der Räume widerspricht den Grundzügen einer Optimierung auf das notwendige Mindestmaß und hebelt damit auch die positiven hygienischen Effekte aus, die durch diese erreicht werden können. Um bei der Vielzahl der Zapfstellen und den erwartungsgemäß langen Leitungswegen einen regelmäßigen Wasseraustausch zu gewährleisten, wäre der Einsatz von Selbstspüleinrichtungen denkbar, wie sie bereits auch schon in verschiedenen Liegenschaften zum Einsatz kommen. Hierzu ist jedoch anzumerken, dass diese Anlagen erfahrungsgemäß keine uneingeschränkte Sicherheit bieten, da unbemerkte technische Ausfälle nicht auszuschließen sind. Diesem Risiko ist im Einzelfall und wäre dann auch flächendeckend durch regelmäßige Funktionskontrollen entgegenzuwirken. Zudem ist, auch aus ökologischen Gesichtspunkten, zu bedenken, dass bei langen Leitungswegen, wie sie z.B. in der Versorgung von Klassenzeilen der Schroeder-Schulen notwendig wären, entsprechend große Spülmengen notwendig sind, um einen vollständigen Wasseraustausch zu gewährleisten.
Das Amt für Gesundheit in Kiel nimmt zu der Problematik wie folgt Stellung:
„Seitens des Gesundheitsamtes werden vorhandene Waschbecken im Zusammenhang mit der derzeitigen Pandemie für die Händehygiene durchaus befürwortet. Eine neue Errichtung, außerhalb dieser aktuellen Anforderung wird vom Gesundheitsamt, mit Verweis auf die Risiken der Trinkwasserhygiene, nur als sinnvoll erachtet, wenn eine regelmäßige Nutzung garantiert wird. In der Praxis werden vorhandene Waschbecken oftmals nicht genutzt ist. Das Ergebnis sind Beeinträchtigungen der Trinkwasserqualität.
Automatische Spüleinrichtungen können zwar einen regelmäßigen Wasseraustausch erfüllen, zeigen sich in der Praxis jedoch oft als fehlerträchtig und sind von den Nutzern oftmals als störend beschrieben. Die Anforderungen an die Händehygiene können grundsätzlich mit Desinfektionsspendern, auch mit milden Reinigungsmitteln, gewährleistet werden.“
Laut Information des Gesundheitsamtes hat sich der flächendeckende Einsatz von endständigen Selbstspülarmaturen in sensiblen Bereichen (z.B. Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime) bislang nicht durchgesetzt.
Wirtschaftliche Aspekte
Neben den zusätzlichen Investitionskosten sind insbesondere auch die Folgekosten zu berücksichtigen. Mit der Ausweitung der technischen Anlagen erhöht sich auch der finanzielle und personelle Aufwand, der für die Unterhaltung, Wartung und ggf. Instandsetzung der Anlagen, und in dem speziellen Fall auch die regelmäßigen Funktionskontrollen aufzubringen ist.
Fazit
Ausgehend von den grundsätzlichen technischen und hygienischen Anforderungen und vor dem Hintergrund der nicht auszuschließenden Risiken, die auch durch einen erhöhten wirtschaftlichen Aufwand voraussichtlich nicht vollends ausgeräumt werden können, wird empfohlen, die flächendeckende Installation von Handwaschbecken in den Klassenräumen der Kieler Schulen nicht weiter zu verfolgen.
Es sollte weiterhin individuell geprüft und entschieden werden, wie eine bedarfsorientierte und ggf. auch über die AMEV-Empfehlungen hinausgehende Ausstattung im Einklang mit den technischen und hygienischen Anforderungen und größtmöglichem Ausschluss von Risiken umgesetzt werden kann.
- Prüfung eines Pilotprojekts an der Friedrich-Junge-Schule
Grundschule
Grundlagen und Planungsstand
Gemäß der AMEV-Empfehlung mit einem Waschtisch je 80 – 100 Schüler*innen wäre der Bedarf für die 208 Schüler*innen der Grundschule mit 3 Waschtischen gedeckt.
Die aktuelle Planung sieht vor, dass nach der Sanierung 10 Waschtische für Schüler*innen und 7 Waschtische für Erwachsene zur Verfügung stehen. Dieses über die Empfehlung hinausgehende Angebot kann aufgrund kurzer Anbindungswege an die vollständig neu zu errichtenden Trink- und Abwassernetze umgesetzt werden.
Flächendeckende Ausstattung der Klassenräume
Die flächendeckende Ausstattung würde eine vollständige Erneuerung der Leitungsnetze bis in die Klassenräume erfordern, die technisch jedoch nicht bzw. nur unter Inkaufnahme unkalkulierbarer statischer Risiken umsetzbar wäre.
Die langgestreckten Klassenzeilen mit dem zusätzlichen eingewachsenen Baumbestand lassen keine ausreichende neue Leitungsverlegung für das Abwasser in den direkt angrenzenden Außenbereich vor den Zeilenbauten zu. Der Einbau neuer Leitungen zur Entwässerung müsste deshalb unterhalb der vorhandenen Bodenplatten im Inneren des Objektes erfolgen. Dies wäre nur mit teilweisem Rückbau der inneren Betonsohlen und dem Durchstoßen der am Rande verlaufenden Fundamente umsetzbar. Die bestehenden Bodenplatten übernehmen jedoch tragende Funktionen für das auf ihnen ruhende Mauerwerk. Ein Eingriff könnte theoretisch nur mit erhöhtem auch finanziellen Aufwand, insbesondere für erforderlichen Sicherungsmaßnahmen erfolgen, ohne dass die Risiken vollständig zu kalkulieren und zu beherrschen wären.
Fazit
Aufgrund der baulichen Gegebenheiten und Risiken sollte eine Ausstattung der Klassenräume mit Handwaschbecken grundsätzlich nicht verfolgt werden.
Die Frage nach den Handwaschbecken in den Klassenräumen in der Friedrich-Junge-Grundschule ist in der jüngsten Vergangenheit bereits breit und auch öffentlich diskutiert worden.
In einem zuletzt unter der Moderation des Schulrates geführten Gespräch zwischen der Verwaltung und der Schulgemeinschaft konnten lösungs- und sachorientiert die jeweiligen Argumente ausgetauscht werden. Von den Beteiligten wurde im Gesprächsverlauf anerkannt, dass für diesen konkreten Fall der Friedrich-Junge-Grundschule keine einfache Lösung aus dem Dilemma zwischen den restriktiven Anforderungen der Trinkwasserverordnung, den baulichen Gegebenheiten und den Bedarfsvorstellungen der Schule gegeben ist. Die Beteiligten haben miteinander vereinbart, in Anerkennung der schwierigen Situation miteinander im Austausch zu bleiben und innerhalb dieses Rahmens Möglichkeiten auszuloten.
Gemeinschaftsschule
Grundlagen und Planungsstand
Nach den Anforderungen der AMEV wären für 468 Schüler*innen die sanitären Bedarfe mit 6 Waschtischen erfüllt.
Der aktuelle Stand der Planung sieht folgende Ausstattungen vor:
Ausstattung für Schüler*innen: 23 Waschtische, dezentral, geschossweise
Ausstattung der Fachräume: 19 Waschtischanlagen
Naturwissenschaftliche Fachräume, Lehrküche ebenso wie der Werk- und Kunstraum.
Sporthalle gesondert: 17 Waschtische (+ Duschen, WC-Anlagen, Urinale)
An diesem Standort können die o.g. über die Empfehlung hinausgehenden 36 Waschtische im Rahmen der Neubauplanung durch eine individuell angepasste Lösung geschaffen werden.
Die Planung des System sieht durchgeschliffene Leitungsstränge vor, die zusätzlich jeweils am Leitungsende mit einer Selbstspülautomatik für eine Zwangsspülung versehen werden. Dadurch kann die Anzahl der hier auch lediglich unterstützenden Spülanlagen auf ein handhabbares Maß reduziert werden.
Flächendeckende Ausstattung der Klassenräume
Nach rein baulichen und technischen Gesichtspunkten wäre es im Gegensatz zur Grundschule grundsätzlich denkbar, die Planung für die Gemeinschaftsschule um Waschbecken in allen 20 Klassenräumen zu erweitern. Diese Erweiterung würde aber unter den unter 2. dargelegten Einschränkungen, Risiken und Mehraufwänden erfolgen, so dass die Verwaltung diese nicht empfehlen würde.
Die Umsetzung im Rahmen eines Pilotprojektes wird ebenfalls kritisch gesehen, da für fundierte Erkenntnisse ein deutlich längerer Beobachtungs- und Auswertungszeitraum erforderlich wäre, zumal sich, je nach Bedingungen, Beeinträchtigungen der Trinkwasserhygiene auch erst Jahre nach der Inbetriebnahme zeigen können. Zudem wären nach einer negativen „Testphase“ nicht nur Rückschlüsse für zukünftige Bauvorhaben zu ziehen, sondern auch dem Handlungsbedarf bei der Bestandsanlage nachzukommen. Da eine Stilllegung von Zapfstellen entsprechend negative Auswirkungen auf den Wasseraustausch des gesamten Netzes hätte, wäre mindestens ein Teilrückbau, wenn nicht der Neuaufbau der Trinkwasserversorgung erforderlich.
- Gesamtfazit
Die Ausstattung der Klassenräume mit Handwaschbecken wird unter Pandemiebedingungen subjektiv als förderlich für die Handhygiene wahrgenommen, hat aber offenbar keinen Eingang in die aktuellen Empfehlungen der AMEV für die Sanitärausstattungen der Schulen gefunden. Dementgegen wird der Trinkwasserhygiene ein hoher Stellenwert beigemessen, der sich entsprechend in den Regelwerken niederschlägt.
In der Abwägung empfiehlt die Verwaltung daher, die grundsätzlich flächendeckende Ausstattung der Klassenräume nicht, auch nicht als Pilotprojekt, weiter zu verfolgen, sondern weiterhin in der Einzelfallbetrachtung den bestmöglichen Einklang zwischen der Bedarfsorientierung und der Gewährleistung der Trinkwasserhygiene zu finden und umzusetzen.
Doris Grondke
Stadträtin
