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Geschäftliche Mitteilung - 0233/2023
Grunddaten
- Betreff:
-
Einrichtung des Kieler Flughafens für emissionsfreie Antriebe
- Status:
- öffentlich (Drucksache abgeschlossen)
- Drucksache freigegeben:
- 16.03.2023
- Drucksachenart:
- Geschäftliche Mitteilung
- Federführend:
- Eigenbetrieb Beteiligungen der Landeshauptstadt Kiel
Beratungsfolge
| Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
|---|---|---|---|---|
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●
Erledigt
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Wirtschaftsausschuss
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Kenntnisnahme
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Mar 29, 2023
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Sachverhalt/Begründung
- 1 -
Der Wirtschaftsausschuss der Landeshauptstadt Kiel hat die Beschlussfassung zum Antrag mit dem Thema „Flughafen Holtenau für emissionsfreie Antriebe einrichten“ Drs. 0877/2022 in seiner Sitzung am 30.11.2022 zurückgestellt und um eine Geschäftliche Mitteilung zu der Thematik gebeten.
Die Luftfahrt steht vor einem elementaren Wandel. Nachdem bereits in den vergangenen Jahrzehnten die Emissionen pro Passagier und Kilometer kontinuierlich gesunken sind, versprechen neue Flugzeugkonzepte weitere Reduzierungen bis hin zu einer emissionsfreien Luftfahrt. Emissionsärmere Biokraftstoffe, synthetische Kraftstoffe sowie E-fuels finden bereits heute Anwendung und werden den konventionellen Kraftstoffen beigemischt. Aufgrund der hohen Kosten fällt dieser Anteil derzeit noch gering aus. Um den ökologischen Fußabdruck der weltweiten Luftfahrt kleiner ausfallen zu lassen, soll der Anteil Alternativkraftstoffe zukünftig deutlich erhöht werden, womit durch Skaleneffekte auch Kostenabsenkungen verbunden sind.
Die Realisierung einer effizienten, leisen und klimaverträglichen Luftfahrt lässt sich nach aktuellem Stand allerdings nur mit neuen Antriebskonzepten realisieren. Hierbei werden elektrische und hybride Flugzeugantriebe eine wesentliche Rolle spielen. Derzeit beschäftigen sich weltweit mehrere hundert Unternehmen mit diesem Thema.
Vor dem Hintergrund, dass rd. die Hälfte aller Flugstrecken global weniger als 800 Kilometer betragen und sich diese Entfernungen perspektivisch mit diesen Antrieben zurücklegen lassen, gibt es ein enormes Potenzial, die Umweltauswirkungen des Fliegens zu verringern.
Die Transformation der Luftfahrt zu einem klimafreundlichen Verkehrsträger findet aufgrund der technischen Gegebenheiten zuerst auf dezentralen Flugplätzen statt. Der Kieler Flughafen hat sehr gute Voraussetzungen, um an dieser Entwicklung teilzuhaben.
Je nach Reichweite der in der Entwicklung befindlichen Fluggeräte lässt sich wie folgt unterscheiden:
- Urban Air Mobility („Urbane Luftmobilität“):
- Ziel: Transportsysteme sollen insbesondere in den städtischen Luftraum integriert werden. Transporte von Menschen und Gütern sollen insbesondere in Ballungsräumen und zu schwierig zu erreichende Destinationen emissionsarm beschleunigt werden. Auch sind Zubringerdienste zu z.B. Verkehrsflughäfen denkbar.
- Es sind vor allem elektrische Lufttaxis vorgesehen, insbesondere solche, die senkrecht starten. eVTOL (Akronym aus electric Vertical Take-Off and Landing aircraft) ist ein elektrisch angetriebenes Fluggerät, das senkrecht starten und landen kann.
- Außerdem sollen zukünftige Flugtaxen in der Lage sein, vordefinierte Routen autonom und ohne einen Piloten fliegen zu können.
- Je nach Hersteller geht man von Reichweiten von 35 – 250 km aus.
- Prominente Beispiele für Flugtaxen, die es bereits heute gibt:
- Reichweite: zunächst ca. 100 km
- Passagiere: 4
- Geschwindigkeit: bis zu 250 km/ h
- Antrieb: elektrisch
Cityairbus (https://www.airbus.com/en/innovation/zero-emission/urban-air-mobility/cityairbus-nextgen)
- Reichweite: zunächst ca. 80 km
- Passagiere: 4
- Geschwindigkeit: ca. 120 km/ h
- Antrieb: elektrisch
- Zulassungen durch die Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) und erste kommerzielle Einsatzfähigkeit werden ab 2025/2026 erwartet.
- Ein autonomer Betrieb wird erst deutlich später - aufgrund von technischen Zulassungen und notwendigen Regelungen im Luftraum - möglich sein.
- Regional Air Mobility („regionale Luftmobilität“)
- Allein in der Bundesrepublik Deutschland gibt es mehr als 400 Flugplätze, die einzigartig dicht aneinander liegen und von einem Großteil der Bevölkerung über kurze Distanzen erreicht werden können.
- Die vorhandene Infrastruktur der regionalen Flugplätze im In- und Ausland ermöglicht kurze Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, die die Reisezeit erheblich reduzieren und perspektivisch mit einem elektrisch/hybrid angetriebenen Fluggerät zurückgelegt werden können.
- Prominente Beispiele für elektrisch angetriebene Regionalflugzeuge:
- Reichweite: zunächst ca. 250 km geplant
- Passagiere: zunächst 4 - 6
- Geschwindigkeit: ca. 250 - 300 km/ h
- Antrieb: elektrisch
- Geplante Markteinführung in Europa ab 2024 / 2025
Eviation Alice (https://www.eviation.com)
- Reichweite lt. Hersteller: zunächst ca. 450 km (später rd. 800 km geplant)
- Passagiere: zunächst 9 zzgl. 2 Piloten
- Geplante Reisegeschwindigkeit bis zu 480 km/ h
- Antrieb: elektrisch
- Geplante Markteinführung in Europa ab 2026
- Jungfernflug: September 2022
- Markt: u.a. hat DHL 12 Exemplare der Frachtversion bestellt
- Medium to Long Haul („Mittel- bis Langstrecke“):
- Rein elektrisch angetriebene Flugzeuge finden auf der Langstrecke aufgrund der hohen Leistungsanforderungen und der vergleichsweise geringen Speicherkapazität der Batterien in den nächsten Jahren (noch) keine Anwendung.
- Weltweit finden Forschungen zu hybrid-elektrischen Antriebskonzepten statt. So untersucht z.B. das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Kooperationspartnern auf Basis einer Dornier Do 228, welche technologischen Anforderungen erforderlich sind, um perspektivisch Reichweiten bis zu 2.000 km in Verbindung mit größeren Passagierzahlen zu realisieren.
Aufgrund seiner geographischen Lage und den technischen Voraussetzungen eröffnen die oben unter 1. und 2. dargestellten Entwicklungen in der Luftfahrt ein enormes Potential für den Kieler Flughafen.
Flugtaxen könnten Kiel z.B. mit der Metropolregion Hamburg verbinden oder Zubringerdienste zu überregionalen Verkehrsflughäfen leisten.
Durch den Einsatz von elektrischen Regionalflugzeugen mit Reichweiten von (zunächst) rd. 400 bis 600 km lassen sich zukünftig diverse Ziele in Deutschland (Luftlinie z.B. Kiel – nach Berlin 300 km; nach Frankfurt 490 km; nach Dortmund 360 km; nach Hannover 220) und in Europa (Luftlinie z.B. Kiel – nach Danzig 550 km; nach Prag 550 km; nach Kopenhagen 220 km; nach Amsterdam 409 km) elektrisch erreichen. Die in Kiel vorhandene Start- und Landebahn mit einer Länge von rd. 1.200 m stellt hierbei keine Einschränkung dar, da die für den Regionalverkehr in der Entwicklung stehenden Flugzeugtypen mit deutlich kürzeren Runways auskommen.
Um langfristig, auch für obige Entwicklungen, zukunftsfähig zu sein, hat die FLUGHAFEN KIEL GmbH diverse technische Erneuerungen in die mittelfristige Investitionsplanung 2023 – 2027 aufgenommen, deren Umsetzung z.T. bereits begonnen hat. Wesentliche Bausteine zur Realisierung eines sicheren Flugbetriebes – auch für elektrische oder hybrid angetriebene Flugzeuge – sind neben der Start- und Landebahn die Flugsicherungsanlagen und die Systeme der Anflugbefeuerung.
Kern der Flugsicherungsanlagen in Kiel ist das Instrumentenlandesystem, welches wetterunabhängige Präzisionsanflüge ermöglicht. Da die Komponenten des Systems veraltet sind und an die vorgeschriebenen Anforderungen angepasst werden müssen, wird seit 2022 in eine Erneuerung investiert. Die geplanten Gesamtausgaben für das System bis 2024 betragen 3.550 TEUR.
Auch die Hochleistungsanflugbefeuerungsanlage, die eine weitere wesentliche Komponente eines Präzisionsanflugverfahrens ist, hat ihre technische Lebensdauer erreicht und wird mit einem siebenstelligen Investitionsvolumen ausgetauscht. Im Zuge dieser Maßnahmen wird am Flughafen flächendeckend ein Glasfasernetz installiert.
Neben den bereits projektierten und aus flugtechnischen Gründen erforderlichen Großinvestitionen, ist auf dem Südgelände des Flughafens auf einer Fläche von rd. 100.000 m² bis 2025 die Errichtung einer Photovoltaikanlage (PV-Anlage) mit einem Investitionsvolumen i.H. v. rd. 8.000 TEUR geplant. Für die Flughafen GmbH stellt die (Eigen-)Stromerzeugung aus Photovoltaik eine optimale Voraussetzung dar, um elektrische / hybride Fliegerei in Kiel zu etablieren. Nur wenn der für den elektrischen Flugzeugantrieb benötigte Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, kann man von emissionsarmen Antrieben sprechen.
Mit der geplanten PV-Anlage lassen sich mehr als 8.000.000 Kilowattstunden elektrische Energie pro Jahr produzieren, die perspektivisch Betreibern von elektrisch angetriebenen Flugzeugen entgeltlich zur Verfügung gestellt werden sollen. Zur Untersuchung der flugbetrieblichen, technischen, juristischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat die Flughafen GmbH im Dezember 2022 eine Machbarkeitsuntersuchung beauftragt, deren Ergebnisse bis Mai 2023 erwartet werden, die auch der Vorbereitung eines notwendigen B-Planes dient. Bei Realisierung der PV-Anlage werden benötigte Leitungswege sowie die Ladeinfrastruktur für elektrische Fluggeräte vorbereitend berücksichtigt.
Flugbetrieblich sind für Elektroflugzeuge - neben den ober dargestellten Maßnahmen - aus heutiger Sicht keine weiteren Anpassungen am Kieler Flughafen erforderlich.
Sollten Elektro-Flugzeugbetreiber entsprechende Bedarfe formulieren oder Kiel als Basis für eine Flugzeugflotte in Erwägung ziehen, ist in Abhängigkeit zur Wirtschaftlichkeit ein Neubau von Hangarflächen mit integrierter Ladeinfrastruktur zu prüfen.
Dr. Ulf Kämpfer
Oberbürgermeister
