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Geschäftliche Mitteilung - 0354/2023
Grunddaten
- Betreff:
-
Anwendung von Instrumenten des Baulandmobilisierungsgesetzes
- Status:
- öffentlich (Drucksache abgeschlossen)
- Drucksachenart:
- Geschäftliche Mitteilung
- Federführend:
- Stadtplanungsamt
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Erledigt
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Bauausschuss
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Vorberatung
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May 4, 2023
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Sachverhalt/Begründung
- 1 -
Anlass:
Die Ratsfraktion DIE LINKE hat in der Sitzung der Ratsversammlung am 16.03.2023 den folgenden Antrag (DS 0218/2023) eingebracht:
„Die Verwaltung wird gebeten, unter der Voraussetzung, dass Grundstücke auf dem Gebiet der Landeshauptstadt Kiel existieren, bei denen ein Vorkaufsrecht nach § 25, Absatz 1, Nr. 3 Baugesetzbuch (BauGB) begründet werden könnte, der Selbstverwaltung den Entwurf einer entsprechenden Satzung zur Beschlussfassung vorzulegen.
Darüber hinaus wird die Verwaltung gebeten, dem Bauausschuss zu Beginn des zweiten Halbjahres 2023 eine Geschäftliche Mitteilung vorzulegen, die Zusammenstellungen enthält über Grundstücke,
- bei denen ein Vorkaufsrecht nach § 25, Absatz 1, Nr. 3, BauGB begründet werden könnte (sofern eine entsprechende Satzung beschlossen würde),
- bei denen zumindest theoretisch Ausnahmen gemäß § 31, Absatz 3, BauGB möglich wären,
- für die rein rechtlich ein Baugebot nach § 176, Absatz 1, Nr. 3 erlassen werden könnte.“
Der Antrag wurde in den Bauausschuss zur endgültigen Beschlussfassung überwiesen; die Verwaltung wurde gebeten, dort eine Geschäftliche Mitteilung zu der Thematik vorzulegen.
Rechtlicher Hintergrund:
Mit dem am 23.06.2021 in Kraft getretenen Baulandmobilisierungsgesetz wurden zahlreiche neue Regelungen in das Bauplanungsrecht eingeführt, die vor allem der Aktivierung von Bauland und der Sicherung bezahlbaren Wohnraumes dienen sollen. Einige dieser Instrumente sind an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffende Gemeinde durch eine entsprechende Landesverordnung als „Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt“ festgelegt wird (§ 201a BauGB). Das Land Schleswig-Holstein hat eine solche Verordnung im Februar 2023 in Kraft gesetzt; hierin werden 67 Städte und Gemeinden als „Gebiete mit einem angespannten Wohnungsmarkt“ bestimmt, darunter auch die Landeshauptstadt Kiel. Die Verordnung ist bis zum 31.12.2026 befristet.
Zu den Instrumenten der Baulandmobilisierung, die den betreffenden Kommunen hierdurch an die Hand gegeben werden, gehören v.a. erweiterte Möglichkeiten zur Umsetzung von
a) gemeindlichen Vorkaufsrechten (§ 25 Abs. 1 Nr. 3 BauGB),
b) Befreiungen von Bebauungsplanfestsetzungen (§ 31 Abs. 3 BauGB) sowie
c) Baugeboten (§ 176 Abs. 1 Nr. 3 BauGB).
Bewertung und Darstellung des Sachstandes bei der Umsetzung:
zu a) Vorkaufsrecht
§ 25 Abs. 1 Nr. 3 BauGB eröffnet der Gemeinde die Möglichkeit,
- im Geltungsbereich eines Bebauungsplans an brachliegenden Grundstücken oder
- für im Zusammenhang bebaute Ortsteile (§ 34) an unbebauten oder brachliegenden Grundstücken
durch Satzung ihr Vorkaufsrecht zu begründen, wenn die Grundstücke vorwiegend mit Wohngebäuden bebaut werden können. Der Mehrwert dieser Regelung gegenüber der Möglichkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 BauGB besteht somit darin, dass auch unbebaute bzw. brachliegende Grundstücke, die mit Wohngebäuden bebaubar wären, umfasst sind. Ein Grundstück liegt brach, wenn seine Nutzung endgültig aufgegeben oder zumindest langfristig unterbrochen wurde.
Nach dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Bestimmtheitsgebot muss die Satzung eindeutig erkennen lassen, auf welche Flächen sie sich bezieht. Der Erlass einer Satzung, die sich pauschal über das gesamte Stadtgebiet erstreckt, ohne die einzelnen Grundstücke zu benennen, wäre unwirksam. Außerdem darf die Vorkaufsrechtssatzung keine bebauten oder nicht brachliegenden Grundstücke umfassen. Dies hat zur Folge, dass die für die Ausübung des Vorkaufsrechts in Betracht kommenden Flächen vorab aufwändig identifiziert und in der Satzung durch Verweis auf eine Karte, durch genaue textliche Umschreibung oder durch Angabe der Flurstücksbezeichnung benannt werden müssen.
Beispielsweise müsste für jeden betroffenen Bebauungsplan bzw. im Zusammenhang bebauten Ortsteil eine eigene Vorkaufsrechtssatzung erlassen werden. Grundstücke, deren Bebauung erst nach Erlass der Satzung abgebrochen wird oder in Zukunft brachfallen, werden von der Satzung nicht erfasst. Um alle in Frage kommenden Grundstücke im Stadtgebiet zu berücksichtigen, wären somit Dutzende von Satzungen zu erlassen, die zudem regelmäßig geändert werden müssten. Dieser Aufwand ist für die Verwaltung flächendeckend für alle in Frage kommenden Grundstücke im Stadtgebiet derzeit nicht zu bewältigen.
Fazit:
Die Vorkaufsrechtssatzung nach § 25 Abs. 1 Nr. 3 BauGB kann zwar ein geeignetes Instrument zur Aktivierung weiterer potenzieller Wohnbauflächen sein, erweitert den Kreis jedoch tatsächlich nur um - zum Zeitpunkt des Erlasses der Satzung – brachliegende Flächen innerhalb von Bebauungsplangebieten und unbebauten wie brachliegenden Grundstücken innerhalb im Zusammenhang bebauten Ortsteilen nach §34 BauGB, die vorwiegend mit Wohngebäuden bebaut werden könnten. Außerdem werden in der Praxis nicht alle grundsätzlich geeigneten Grundstücke durch Vorkaufsrechtssatzungen erfasst werden können, da das Vorkaufsrecht für Grundstücke, deren Bebauung erst nach Satzungserlass abgebrochen wird oder die nach Satzungserlass brachfallen, erst durch eine Änderung der Satzung begründet werden kann. Bei nach § 61 der LBO SH verfahrensfreien Beseitigungen erhält die Verwaltung in der Regel keine Kenntnis davon, wenn ein Grundstück künftig unbebaut ist. Das Gleiche gilt für das Brachfallen von Grundstücken.
Die Verwaltung schlägt daher vor, in einem ersten Schritt im Rahmen des durch den Bauausschuss beauftragten Flächenmanagements (Drs.-Nr. 0471/2022) herausragende Gebiete zu identifizieren, die aufgrund ihres Anteils an unbebauten bzw. brachliegenden Grundstücken für den Erlass einer Vorkaufsrechtssatzung besonders geeignet erscheinen und für diese den Erlass einer Vorkaufsrechtssatzung vorzubereiten. Die hierfür erforderliche Stelle (Flächenmanager*in) konnte zwischenzeitlich erfolgreich besetzt werden. Die Arbeitsaufnahme erfolgt Mitte des Jahres.
zu b) Befreiungen
Der neue § 31 Abs. 3 BauGB eröffnet bei Wohnungsbauvorhaben die Möglichkeit, Befreiungen von geltenden B-Plan-Festsetzungen auszusprechen, auch wenn die Grundzüge der Planung durch das betreffende Vorhaben berührt werden. Die übrigen Anforderungen an die Erteilung von Befreiungen bleiben hiervon unberührt, insbesondere die allgemeine städtebauliche Verträglichkeit sowie die Wahrung öffentlicher und nachbarlicher Belange.
Theoretisch kann eine solche Befreiung für jedes Grundstück im Geltungsbereich eines rechtskräftigen Bebauungsplanes in Betracht kommen, sofern dort ein (potentiell zulässiges) Wohnungsbauvorhaben umgesetzt werden soll. Dies sind in Kiel schätzungsweise mehrere tausend Grundstücke. Wie viele hiervon für eine Befreiung nach § 31 Abs. 3 BauGB konkret in Betracht kommen könnten, lässt sich nicht einmal ansatzweise ermitteln, denn
- eine Befreiung kann nicht ohne entsprechenden Antrag der Bauwilligen erteilt werden, und es lässt sich nicht annähernd abschätzen, für wie viele Grundstücke ein entsprechendes Antragsinteresse überhaupt besteht;
- über Befreiungen ist von der Bauverwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden; bei wie vielen Grundstücke bei einer entsprechenden Einzelfallbetrachtung potentielle Befreiungsvoraussetzungen vorliegen könnten, ist ebenfalls nicht abschätzbar.
Fazit:
Ungeachtet der Schwierigkeiten einer quantitativen Abschätzung aller in Frage kommenden Anwendungsfälle wird die erweiterte Befreiungsmöglichkeit als ein Instrument zur Beförderung des Wohnungsbaus betrachtet, das bei entsprechender Initiative von Vorhabenträger*innen auch in der LHK zur Anwendung kommen kann. Eine entsprechende Prüfroutine findet bei der Bearbeitung von Bauanträgen in der Bauverwaltung bereits jetzt Anwendung.
zu c) Baugebot:
Bereits seit Inkrafttreten des BBauG 1976 haben Kommunen das Recht, Grundstückseigentümer*innen per Baugebot zu verpflichten, ein Grundstück entsprechend den planungsrechtlich bestehenden Möglichkeiten zu bebauen; dies gilt sowohl im Geltungsbereich rechtskräftiger Bebauungspläne als auch im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Ein solches Baugebot kann von dem oder der betroffenen Grundstückseigentümer*in jedoch abgewendet werden, wenn seine Durchsetzung wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Vor allem aufgrund der hohen Anforderungen an den verwaltungsseitigen Vollzug hatte das Instrument in der Vergangenheit bundesweit keine große Praxisrelevanz. Lediglich einige wenige Städte wie Nürnberg oder Tübingen haben Baugebote eingesetzt.
Die neue Regelung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 BauGB eröffnet die weitergehende Möglichkeit, nicht nur eine planungsrechtlich zulässige Bebauung per Baugebot zu fordern, sondern hierbei auch zu bestimmen, dass ausschließlich Wohnungen zu bauen sind, auch wenn (wie z.B. in einem Mischgebiet) andere Nutzungen ebenfalls zulässig wären, sowie hierbei auch die maximal zulässige Ausnutzung des Bebauungsmaßes vorzugeben. Die Zusatzregelung erweitert somit nicht den Kreis der Grundstücke, für die Baugebote theoretisch erlassen werden könnten, sondern vielmehr den Inhalt und den Umfang möglicher Verpflichtungen, die mit einem Baugebot verbunden werden können.
Um zu ermitteln, für welche Grundstücke der Einsatz eines Baugebotes in Frage kommen könnte, müssten alle bestehenden Grundstücksnutzungen in der LHK parzellenscharf erhoben und mit den jeweils potentiell zulässigen maximalen Ausnutzungsmöglichkeiten abgeglichen werden, und zwar nicht nur in rechtskräftigen Bebauungsplänen, sondern darüber hinaus auch im gesamten unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Allein eine flächendeckende Bestimmung aller nach § 34 BauGB potentiell zulässigen Grundstücksnutzungen ist mit vertretbarem Aufwand nicht zu leisten. Insofern erscheint eine zuverlässige Zusammenstellung aller potentiell betroffenen Grundstücke nicht möglich.
Fazit:
Über Baugebote könnte theoretisch brachliegende oder untergenutzte Grundstücke im Stadtgebiet aktiviert werden. Mit den erweiterten Bestimmungen des Baulandmobilisierungsgesetzes könnte dabei auch sichergestellt werden, dass diese Maßnahmen ausschließlich dem Wohnungsbau zugutekommen. Diese theoretischen Möglichkeiten werden jedoch bei der praktischen Umsetzung weiterhin sehr deutliche Grenzen finden. Es ist anzunehmen, dass eine optimale bauliche Nutzung von Grundstücken in der Regel im wirtschaftlichen Interesse der betreffenden Eigentümer*innen liegt; eine ausbleibende Grundstücksbebauung wird daher zumeist auf bestehende finanzielle Hemmnisse zurückzuführen sein. Diese können jedoch durch ein Baugebot nicht überwunden werden. Die Durchsetzung von Baugeboten gegen den Willen betroffener Eigentümer*innen wird daher in den meisten Fällen auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen; gegen wirtschaftlich nicht leistungsfähige Eigentümer*innen gerichtete Baugebote dürften daher regelmäßig ein untaugliches Mittel zur Planverwirklichung sein. Der Eingriff in die Verfügungsfreiheit über das private Grundeigentum bedürfte dabei einer besonderen Einzelfallabwägung.
Das Instrument des Baugebots wird daher in der Landeshauptstadt Kiel voraussichtlich auch in Zukunft nur in besonderen Einzelfällen Anwendung finden können.
Doris Grondke
Stadträtin
