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Interfraktioneller Antrag - 0457/2023
Grunddaten
- Betreff:
-
Rehabilitation der in Kiel verbrannten Hexen
- Status:
- öffentlich (Drucksache abgeschlossen)
- Drucksachenart:
- Interfraktioneller Antrag
- Federführend:
- Ratsfraktion Klima, Verkehr & Meer
- Beteiligt:
- Ratsfraktion DIE LINKE
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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Erledigt
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Ratsversammlung
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Entscheidung
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May 11, 2023
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May 12, 2023
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Erledigt
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Kulturausschuss
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Entscheidung
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Jun 27, 2023
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Antrag
Antrag:
Die Ratsversammlung stellt fest, dass die Stadt Kiel in der frühen Neuzeit Menschen strafrechtlich verfolgt hat, die sich dem Vorwurf der Hexerei ausgesetzt sahen. Ebenfalls in Kiel verfolgte das Gericht des Amts Kiel in Verantwortung des Herzogs von Schleswig-Holstein-Gottorf Beschuldigte aus den Amtsdörfern im Kieler Umland.
Die städtischen Gerichte, die sich aus Ratsherren zusammensetzten, sahen sich zuständig, den Vorwurf der Hexerei zu verfolgen, durch Androhung und Einsatz von Folter Geständnisse zu erzwingen, Todesurteile zu fällen und grausame Hinrichtungen durch Verbrennung vollziehen zu lassen. Diesen Verfahren waren in Kiel von 1530 bis 1676 mindestens 29 Menschen ausgesetzt, 28 Frauen und ein Mann. Von ihnen wurden 23 nachweislich aufgrund des Vorwurfes der Hexerei auf dem Scheiterhaufen hingerichtet.
Für die Ratsversammlung der Stadt Kiel bestehen keinerlei Zweifel, dass die Verurteilungen nach heutigen Maßstäben unrechtmäßig waren. Die städtischen Gerichte des 16. Und 17. Jahrhunderts haben den Opfern der Hexenprozesse schwere körperliche und seelische Qualen zugefügt und großes Leid über ihre Familien gebracht.
Die Ratsversammlung beauftragt die Verwaltung weiterhin ein Konzept für ein würdiges Gedenken an die Opfer der Kieler Hexenprozesse zu entwickeln und dieses der Ratsversammlung zur Beschlussfassung vorzulegen.
Sachverhalt/Begründung
Begründung:
Die Kieler Hexenprozesse sind seit der Chronik des Bürgermeisters Asmus Bremer (um 1711) bekannt und wurden wissenschaftlich bereits 1981 durch die Historikerin Dagmar Unverhau im Rahmen einer Ausstellung des Stadtmuseums aufgearbeitet. Dagmar Unverhau listet 34 Beschuldigte auf, gegen vier von ihnen wurde jedoch ausdrücklich kein Prozess eröffnet, in einem weiteren Fall ist nur das Urteil bekannt, nicht jedoch die Gründe der Anklage. Bei vier der verbleibenden 29 Angeklagten in Hexenprozessen ist das Urteil nicht bekannt. Eine weitere Frau wurde 1668 der Stadt verwiesen, weil sie sich als Heilerin und Wahrsagerin betätigt hatte. Jenseits der Stadtgrenze wurde sie von einem Mob gesteinigt, die Stadt verfolgte die Täter strafrechtlich. Damit lassen sich 23 Personen nachweisen, die die Stadt durch Feuertod wegen Hexerei hingerichtet hat. Mit einer Dunkelziffer ist zu rechnen.
Der Antrag geht ursprünglich auf eine Anregung des „Arbeitskreises Hexenprozesse“ zurück, der sich mit der Frage nach der Erinnerung an die Hexenprozesse 2015 an den Oberbürgermeister gewandt hat. Die Frage nach den Urteilen in Hexenprozessen ist dabei keine juristische, sondern eine historische. Die städtischen Gerichte bewegten sich in ihrer Urteilsfindung innerhalb der Rechtspraxis des 16. Und 17. Jahrhunderts. Diese Rechtspraxis entspricht heutigen Maßstäben nicht. Das wird in den Hexenprozessen besonders offenbar, weil hier Geständnisse, zum Teil unter Folter, für ein Delikt erpresst wurden, welches es objektiv nicht gibt.- Die Frage nach der Schuld der städtischen Verantwortlichen ist jedoch eine historische, sie muss aus der Zeit beantwortet werden.
Die Hexenprozesse wurden durch weite Teile der Bevölkerung getragen. Eliten in Verwaltung, Kirche und Wissenschaft propagierten den Hexenglauben und setzten die Verfolgung durch. Zweifel entstanden nur am Verfahrensablauf, nicht am Delikt selbst. Friedrich Spee griff in seinem bekannten Werk „Cautio Criminalis“ (1631, deutsche Übersetzung 1647) die Folter als Prozesswerkzeug an, nicht aber den Glauben an Hexen als solchen. Schuld bemisst sich an der Lebenswelt der Verantwortlichen. Was war ihnen bekannt und welche Spielräume hatten sie? Historisch ist jeder Fall anders zu bewerten. So ist 1666 ein Fall belegt, in dem sich der Rat der Stadt weigerte eine Anklage wegen Zauberei zu verfolgen. Der Rat begründete die Entscheidung gegenüber Herzog Christian-Albrecht damit, dass die Anklägerin übel beleumundet sei. Hier zeigt sich, dass zu dieser Zeit eine Abwägung möglich war. Eine solche Abwägung unterblieb jedoch 1668 und 1676, als das städtische Gericht erneut Todesurteile wegen Hexerei fällte.
Die Landeshauptstadt Kiel kann die Verantwortung der städtischen Gerichte für die Urteile benennen. Die Landeshauptstadt Kiel kann an die Opfer der Hexenverfolgung in Kiel erinnern und ein tiefes Bedauern zum Ausdruck bringen. Diesem Ziel dient der Antrag.
Ratsherr Rudau
Ratsfraktion Klima Verkehr & Meer
Ratsherr Gernhuber
Ratsfraktion DIE LINKE
Anmerkung: Dieser Antrag basiert in seinen Grundzügen auf einem Entwurf des Kulturreferats (von Rainer Pasternak).