ZERO.WASTE.CITY.
Zero Waste Erfahrungsbericht

Zero Waste leben? Ja! Aber wie?

Die Teilnehmerin und drittplatzierte der Zero Waste-Haushalts-Challenge Lina K. hat ihre ersten Schritte in einem Bericht festhalten.
Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

Die Teilnehmerin Lina K. mit Ihrem Zero Waste-Korb
 

Kann ich Zero Waste leben? Ein Selbstversuch von Lina K.

 

Hinter leuchtenden Zapfsäulen verbirgt sich Putzmittel, aus blechernen Behältern fließt Olivenöl und in einer Büchse findet sich Mehl. Bei „Unverpackt“ können sich die Kund*innen ihre Lebensmittel in mitgebrachten Behältern selbst abfüllen. Eine Kundin ist die 25-jährige Studentin Lina. Verpackungsfrei einkaufen und damit nur ein Glas Müll im Jahr sammeln wie die Influencerin Bea Johnson — dieses Ziel schien ihr bis dato weit weg.

Doch dann meldet sie sich bei einer Challenge der Stadt Kiel an, um sich vier Wochen lang bewusst mit dem Thema Zero Waste in den Bereichen Küche, Bad und Konsum zu beschäftigen. Auf manches achtet Lina bereits: Sie lebt vegan, kauft vieles gebraucht und nutzt waschbare Wattepads sowie Wachstücher. Jedoch scheiterte ein müllfreies Leben bisher an dem alltäglichen Aufwand und ihrer eigenen Bequemlichkeit. Mit der Challenge startete sie einen neuen Versuch.

Warum Zero Waste wichtig ist

Zero Waste ist eine Lebenseinstellung und weltweite Bewegung gegen verschwenderischen Konsum. Der Begriff bedeutet übersetzt Null Abfall - nicht gerade motivierend, findet Lina. “Die Vorstellung, dass gar keine Abfälle mehr generiert werden, ist zwar überaus wünschenswert, aber aus heutiger Perspektive leider ebenso utopisch“, so die stellvertretende Projektleiterin Selina Kahl von Zero Waste City Kiel. Das Ziel ist also zunächst weniger Müll zu produzieren.

In Deutschland kommt jede*r durchschnittlich auf eine halbe Tonne Abfall im Jahr. Ein Großteil davon ist Restmüll. Es kommen unter anderem Glas, Papier und Plastik, sowie Lebensmitteabfälle hinzu. Ein Blick in den Mülleimer zeigt — von der Dose Kokosmilch, über die Nudelpackung, bis hin zur Hafermilchtüte — die meisten Lebensmittel sind bei Lina verpackt. „Jede*r in Schleswig-Holstein sammelt etwa 85 Kilogramm Verpackungsmüll in einem Jahr“, offenbart Charlotte Winter von Zero Waste City Kiel. Mit einem nachhaltig geplanten Einkauf sei der Großteil vermeidbar.

Lina hätte nie gedacht, dass ihr Einfluss als einzelne Person so groß sein kann. Schließlich entsteht ein Großteil des Abfalls bereits bei der Produktion in der Industrie. Doch sie möchte auch Teil der Lösung sein und nicht Teil des Problems. Ihr erstes Ziel ist also, gemeinsam mit ihrem Freund Erik im „Unverpackt“ -Laden einzukaufen.

Verschiende Produkte in Mehrwegverpackungen

Der erste Einkauf im Unverpackt-Laden

Bisher hat Erik Müsli und Sojaschnetzel in Großpackungen gekauft, ansonsten ist Zero Waste in der Küche Neuland für ihn. Erik ist stets offen für Neues, das ist in seinem Beruf als Informatiker auch erforderlich. Von sich aus wäre der 27-Jährige jedoch nicht zu „Unverpackt“ zu gegangen.

Beim Betreten des Ladens ist Erik angenehm überrascht: „Das ist kein vier Quadratmeter kleiner Tante-Emma-Laden. Hier ist einiges an Auswahl vorhanden und ich habe meine Ruhe beim Einkauf.“ Neugierig schaut er sich um und bleibt bei der Snackabteilung stehen. Anders als im Supermarkt ist nicht ein ganzes Regal voll mit Keksen zu sehen. Zur Entscheidung stehen ein paar Sorten. Erik greift zu den Schokoladenkeksen.

Nachdem sie ihre mitgebrachten Schraubgläser abgewogen haben, kann es losgehen. Deckel auf, Glas unter den Behälter, Trichter dazwischen halten und Hebel drücken: Die Haferflocken stürzen lawinenartig aus dem Behälter und fliegen in alle Richtungen. Beim zweiten Versuch probieren sie das Abfüllen zu zweit. Erik hält vorsichtig das Glas, Lina betätigt den Kipphebel. Nun fließen die Flocken gemächlich ins Glas. Er lächelt zufrieden. Erik stellt die Gläser mit Haferflocken, Seitanpulver, Hirse und Schokoladenkeksen auf die Waage an der Kasse. 25 Cent pro 100 Gramm kosten die Haferflocken, mehr als er sonst im Supermarkt bezahlt. Vieles ist hier Bio-Markenware und so erklärt sich der Preisunterschied zu den konventionellen oder Bio-Hausmarken im Supermarkt. Ihm fiel jedoch auf: “Ich kann genau die Menge Mehl kaufen, die ich für mein Rezept für Seitanwürstchen brauche, und das günstiger als in anderen Läden.”

Mehl im Glas

Ein Blick auf den Kassenbon zeigt dennoch, das kann nicht immer der Wocheneinkauf werden. Klar, jede Kaufentscheidung ist auch ein Stimmzettel. Aber für viele, wie auch für sie, ist es ein Privileg bei „Unverpackt“ und nicht im Discounter einzukaufen, findet Lina.

Lebensmittelabfälle vermeiden

Vom Einkaufszettel fehlen noch ein paar Teile wie Salat und Radieschen, welche sie auf dem Wochenmarkt einkaufen. Wenn dort etwas übrigbleibt, retten Aktivisten des Vereins Foodsharing die Reste vor der Tonne. Die ehrenamtlichen Retter holen das Essen auch von Supermärkten und Kantinen ab und verteilen es danach an soziale Einrichtungen oder Privatpersonen. Auf diese Weise bekommen Lina und Erik noch ein Kilo Spargel geschenkt.

Gerade Obst und Gemüse sowie Zubereitetes landen sonst häufig im Müll. Meistens werden Lebensmittel weggeworfen, weil sie verdorben sind, zu viel gekocht wurde oder sie zu lange herumlagen. Von den 75 Kilogramm Lebensmittelabfällen pro Person im Jahr sei knapp die Hälfte vermeidbar, so Winter.

Abfallstation eines Unverpacktladens

Lina wirft häufiger etwas weg als ihr lieb ist. Als Allergikerin reagiert sie schneller auf herumstehendes Essen und nicht immer findet sich rechtzeitig ein*e Abnehmer*in über Foodsharing. Eine genaue Essensplanung ist daher besonders wichtig. 

Nicht nur Einkauf und Planung sind für die Müllvermeidung relevant. Auch die richtige Lagerung und anschließende Verwertung von Resten sind wichtig. Zurück zu Hause legt Lina also Salat und Radieschen in eine Schüssel mit Wasser in den Kühlschrank. Sogar ein paar Tagen später bleibt das Gemüse so knackig.

Kleine Erfolge machen den Unterschied

Eine Woche später landet wieder ein Kartoffelnetz und verpackte Haferflocken auf dem Laufband. Ihr Ziel zwei Produkte in der Küche umzustellen, hat Lina bereits erreicht. Im Alltag ist es eben einfacher Spülpulver als Ersatz für die Flasche und wiederverwendbare Backfolie zu kaufen, als jede Woche Hafermilch selbst herzustellen.

Den eigenen Konsum überdenken

Nachdem Lina ihren Einkauf von Lebensmitteln hinterfragt hat, geht es in Woche zwei der Challenge um Kleidung und Konsum. Refuse, reduce, reuse, recycle, rot – das sind die fünf Bausteine von Zero Waste. Nach diesem Prinzip sollten wir damit beginnen, überflüssigen Müll wie Werbeprospekte oder Strohhalme abzulehnen. Dann sollten wir unseren Konsum reduzieren. Schließlich hängt allein 40% unserer Kleidung ungenutzt im Schrank.

Grund genug ihren Besitz unter die Lupe zu nehmen und mit Hilfe der Aufräumcoachin Adriana Szymanska auszusortieren. Als selbstständige Coachin unterstützt sie Menschen dabei, ihr Zuhause auszusortieren und neu zu ordnen.

In ihrer Hand hält Lina eins von zwei bunten Strandtüchern. “Eigentlich brauche ich das eine nicht...”, überlegt sie laut und legt es zur Seite. “Am besten fragst du dich nicht :“Brauche ich das?”, sondern: "Möchtest du das mit in die Zukunft nehmen?“, rät Adriana. Anders als die bekannte Aufräum-Expertin Marie Kondo, hält sie nichts von der Leitfrage “Macht es dich glücklich?”. Die Faszienrolle in Linas Hand könne auch einfach funktional sein.

Nach zwei Stunden atmet Lina tief durch. Alles steht nun an seinem Platz und ist nach Bereichen geordnet: Die Faszienrolle steht bei den anderen Sportsachen, die Bastelsachen sammelt sie in einem alten Schuhkarton. Statt extra neue Behälter für ein Ordnungssystem zu kaufen, kann sie so wiederverwenden, was sie bereits besitzt, rät Adriana. Auch ein Kleid und einen Bezug kann sie nach einer Reparatur bei der Schneiderei weiter nutzen.

Lina blickt auf die bisher aussortieren Teile aus ihrem Schrank. Einfach in den Müll schmeißen kommt für sie nicht in Frage und einiges kann repariert werden. Bei anderen Dingen gelte das Sprichwort “One man’s trash is another man’s treasure“, meint Adriana. Oft sei es einfacher etwas zu tauschen oder weiterzugeben in dem Wissen, dass sich andere über die alten Teile freuen. Aus ihrer Erfahrung weiß Adriana: “Es kann auch sehr befreiend sein, Dinge loszulassen und wegzugeben”.

Aussortierte Jeans und Oberteile

Nun mit einem bevorstehenden Umzug fällt Lina das leichter als im Alltag. Ein Fächer landet in der “zu verschenken”-Kiste, einige Bücher stellt Lina in den Bücherschrank in ihrer Straße und ein paar Geräte verkauft sie auf dem Flohmarkt oder online. Kleidung und alles, das übrigbleibt, spendet sie dem Kieler Second-Handladen Glückslokal.

Ressourcen im Kreislauf bewahren

Den Abfall, der nach diesen Schritten noch anfällt, recycelt Lina - ganz nach dem Zero Waste Prinzip. Somit können die Ressourcen in einer Kreislaufwirtschaft erhalten bleiben. In Deutschland wird viel recycelt: Die Quote bei Glas und Papier liegt bei 80 Prozent, während Kunststoffe deutlich weniger recycelt werden. Vieles wird jedoch nicht für die aufwendige Herstellung einer neuen Verpackung genutzt, sondern exportiert oder downgecycelt. Downcycling bedeutet, dass das Material verwertet und in ein Produkt mit weniger Qualität verwandelt wird. So wird zum Beispiel ein Pullover zum Putzlappen downgecycelt.
Während bei den Altkleidern eine Hälfte Wiederverwendung findet, werden die anderen 50% downgecycelt. Kaputte Kleidung und Schuhe werden somit ebenfalls wiederverwertet. Dies funktioniert jedoch nur, wenn die Bürger*innen richtig trennen. Der erste Gang nach der Aufräumsession geht also zum Müll. Lina fischt ihre abgelaufenen Sneaker aus dem Restmüll und wirft sie in den Altkleidercontainer — wieder etwas gelernt.

Lernerfolge durch die Zero Waste-Challenge

Am Ende der Challenge hat sie zwar nicht alles im Alltag übernommen, aber sich angeeignet richtig auszusortieren, Gemüse besser zu lagern und ein paar nachhaltigere Alternativen zu verwenden. Und Lina stellt fest: Das, was sie durch Foodsharing, achtsamen Konsum und Wiederverwendung spart, kann sie für hochwertigere Produkte und Lebensmittel ausgeben.
Mit ihrem Engagement hat Lina den dritten Platz bei der Zero Waste Challenge gewonnen. Sie wünscht sich jedoch, dass es mehr politische Vorgaben gäbe, außer verbotene Plastikstrohhalme. So könnte das müllfrei leben nicht zur Challenge, sondern zur Normalität werden.