Kieler Erinnerungstag:August 1909
Die Fassade des Warleberger Hofs wird um 5m zurückversetzt

2001 stand zur Verwunderung der Kieler Passanten vier Meter vor dem Eingang des Warleberger Hofes ein hohes Aluminiumgerüst mit der Fotorekonstruktion des Eingangsportales. Das Stadtmuseum wollte mit dieser Aktion anlässlich der Ausstellung „ Das alte Kiel um 1900 auf alten Photographien“ darauf aufmerksam machen, dass der Warleberger Hof ursprünglich fünf Meter weiter in die Dänische Straße hineingereicht hatte. Wegen der Verbreiterung der Straße wurde die Eingangsfront 1909 einfach um fünf Meter zurückversetzt.

Kiel braucht ein leistungsfähiges Straßennetz

Kiel war 1865 preußischer Flottenstützpunkt, 1867 Kriegshafen des Norddeutschen Bundes, 1871 Reichskriegshafen geworden und hatte sich dadurch zur Marine- und Werftstadt entwickelt, die um 1900 schon über 100 000 Einwohner hatte.

Während neue Stadtteile entstanden, wandelte sich die Altstadt zur City mit modernen Warenhäusern und Dienstleistungsbetrieben aller Art. Die engen Straßen und kleinen Häuser waren dafür wenig geeignet, ebenso die Zuwegung über den Kleinen Kiel. Der Zugang zur Altstadt wurde z. B. durch die neue Holstenbrücke zwischen dem Kleinen Kiel und dem Bootshafen erleichtert. Die ursprüngliche Bootsverbindung über den Kleinen Kiel zur Fährstraße/Legienstraße zunächst durch eine Holzbrücke, 1909 durch einen Damm ersetzt. Für die Modernisierung der Straßenverhältnisse in der Altstadt kann die Dänische Straße als Beispiel herangezogen werden.

Gefährliche Straßenverhältnisse in der Dänischen Straße

Im September 1908 schrieb die Kieler Zeitung: „Einer der unzureichendsten Verkehrswege in der der ganzen Stadt Kiel ist seit langer Zeit die Dänischestraße auf ihrer Strecke vom Markt bis zur Burgstraße; und wer heute als Fremder zur lebendigen Tageszeit, wenn die Wagen der elektrischen Straßenbahn hin- und herfahren, diese Straße mit ihrem schmalen Fahrdamm und den stellenweise zum Balanziren nöthigen Bürgersteigen passirt, der mag sich wundern, daß der nimmer rastende Verkehr auf der lebensgefährlichen Bahn sich immer noch verhältnismäßig glatt und ohne wesentliche Unfälle abwickelt. Die Gewohnheit mag hier dem eingeborenen Kieler zu Hülfe kommen.“

Die Dänische Straße, die zu den ältesten Straßen Kiels gehört und seit der Gründung der Stadt 1242 besteht, trug den Namen nach der Richtung, in die sie führte, nach Dänemark. Als verkehrsreiche Geschäftsstraße gewann sie erst durch die Marine an Bedeutung. Pinassen und Barkassen brachten Marineangehörige zu den Schiffsbrücken im Schlossgarten, die von hier aus in die Stadt strömten. Die Dänische Straße war auch die wichtigste Verbindung aus der Altstadt nach Norden zu den Kasernen in der Wik und nach Düsternbrook, wo u. a. die Marineakademie lag. Außerdem kamen die Arbeiter von den Werften auf dem Ostufer mit der Fähre zurück. Ihr Weg führte durch die Dänische Straße zur ihren Wohnungen, die meist am Wilhelmplatz oder an der Gutenbergstraße lagen. Beansprucht wurde die Straße auch durch den Verkehr vom Markt in die obere Brunswiker Straße, denn dieser Weg hatte weniger Steigung als die Falck- und die Dahlmannstraße. Die Verkehrsprobleme in der Dänischen Straße wurden zusätzlich durch die Straßenbahn verstärkt, die durch diesen engen Verkehrsweg hindurchführte.

Historische Bauten müssen der Verbreiterung der Dänischen Straße weichen

Schon 1892 war die Verbreiterung der Dänischen Straße von ursprünglich 6,5 m auf 10,6 m, 1898 dann auf 13 m festgesetzt, 7,8 m für den Fahrdamm und je 2,6 m für die Bürgersteige. Durch neue Fluchtlinien mussten Neubauten bis ca. fünf Meter zurückweichen. Alle Grundstücke wurden angeschnitten, insbesondere die auf der westlichen Seite. Um die Bebaubarkeit dieser Grundstücke zu erhalten, wurden die Eigentümer durch städtischen Grund auf der rückwärtigen Seite entschädigt. Eine rege Bautätigkeit setzte in der Dänischen Straße ein. Die Kieler Zeitung vom 4. Februar 1906 schrieb: „Wohl selten hat sich eine Straße in so kurzer Zeit von Grund auf verändert wie die Dänische Straße. Nachdem in den letzten Jahren hauptsächlich auf der Ostseite alte Häuser durch neue ersetzt wurden, und zwar die Nummern 2-6, 22, 24, 30, 32, 34, und jetzt wieder die Nr. 14, 16 und 36, folgt nun auch die Westseite energisch nach. Auf den Grundstücken 23-29 sind bereits Neubauten errichtet, die Häuser 7, 11, 13 und 15 werden den Sommer auch nicht mehr überleben. Nur über das Haus Nr. 9 ist bestimmtes noch nicht bekannt geworden. Da dem Vernehmen nach aber kürzlich Verhandlungen mit der Stadt auch wegen dieses Hauses gepflogen sind, steht zu hoffen, daß es gleichzeitig mit den übrigen der modernen Zeit zum Opfer fallen wird.“ Und 1907 hieß es: „Die Dänische Straße wahrt ihren Ruf als bautätigste Straße der Altstadt auch ferner.“

Bis 1908 waren fast alle Gebäude zwischen Markt und Burgstraße ersetzt und die historische Bausubstanz beseitigt worden. Diese Veränderung galt für die gesamte Altstadt. Moderne Büro- und Geschäftsbauten waren an Stelle der alten Häuser entstanden. Die Denkmalpflege konnte wenig erreichen.

Der Warleberger Hof kann gerettet werden

Im Dezember 1908 hieß es in der Kieler Zeitung: „Mit der neuen Burghalle, Ecke Dänische Straße und Burg Straße, scheint die Bautätigkeit in der Dänischen Straße ein Ende erreicht zu haben. Das ist bedauerlich. Es gibt dort noch eine Anzahl Häuser, die im Interesse des gerade in der Dänischen Straße stark flutenden Verkehrs in die Straßenfluchtlinie zurückgesetzt werden müßten und zu diesen gehört in erster Linie das alte Anatomie-Gebäude, dessen Zurücktreten in die Straßenflucht den Anliegern schon lange zugesagt ist.“

Das alte Anatomiegebäude war der Warleberger Hof, der seit 1839 der Christian-Albrechts-Universität gehörte. Jahrelange Verhandlungen zwischen ihr und der Stadt Kiel führten dazu, dass der Adelshof aus dem 17. Jahrhundert nicht abgerissen, sondern um ca. fünf Meter zurückgesetzt wurde. Langwierig waren auch die Diskussionen über den Grundstückspreis, die Stabilität und Brauchbarkeit des bestehen bleibenden Teils des Gebäudes und die Kosten für die Änderung der Räume. Im April 1908 schlossen Universität und die Stadt Kiel endlich einen Vertrag, in dem es u. a. heißt: „Die Stadt erhält des Recht und übernimmt die Pflicht, sobald das pharmakologische Institut aus dem Gebäude der alten Anatomie entfernt ist, die Vorderwand dieses Gebäudes in die neue Fluchtlinie auf ihre Kosten zurückzusetzen und zwar in der Art und dem Umfang, wie es von der Kreisbauinspektion Kiel I in dem Bericht vom 12. Juli 1907 an das Universitätskuratorium dargelegt ist. Die Haustür und deren Rahmen bleiben Eigentum der Universität.“

So wurde 1909 der Warleberger Hof um fünf Meter an der Dänischen Straße verkürzt und die Fassade mit Industrieziegeln wieder aufgebaut. Die Naht aus Mörtel hinter den Regenrohren macht die Abtrennung des Gebäudeabschnittes bis heute sichtbar. Das Portal von 1765 blieb aber als Eingang erhalten.

Der Warleberger Hof: der einzige erhaltene Kieler Adelshof

Das Grundstück des Warleberger Hofes hatte der Amtsschreiber Christoph Martens 1616 für seine besonderen Verdienste von Herzog Friedrich III. als steuerfreies Geschenk erhalten. Darüber hinaus belegte er das Grundstück mit der Braugerechtsame, auf die der große Braukeller mit Zisterne und großem Kamin hinweist. Christoph Martens baute hier in unmittelbarer Nähe des Schlosses unter Verwendung älterer Teile ein stattliches Anwesen, das den Vergleich mit den Adelshäusern der Stadt nicht zu scheuen brauchte. Auch gestattete man ihm, eine Wasserleitung vom Schloss zu seinem Grundstück zu legen, was eine hohe Auszeichnung bedeutete.

Der Warleberger Hof war nicht der einzige Freihof in Kiel. Ingesamt gab es hier zu Beginn des 17. Jahrhunderts 77 Freihöfe mit zahlreichen Privilegien. Das bedeutet, dass sich ein großer Teil der Altstadt in der Hand des Adels befand, der außerhalb des städtischen Rechts und der städtischen Verwaltung und Wirtschaft lag. Ständig gab es zwischen dem Adel und dem Rat der Stadt Streit wegen Steuern und Abgaben, denen sich die Adligen zu entziehen versuchten, wegen Schulden in der Stadt, die sie nicht zurückzahlten, wegen Einquartierungen in Kriegszeiten und weil sie außerdem „vielfach Übermut und Gewalt gegen Bürger übten“.

Nach dem Tode Martens waren Adlige Besitzer des Hauses in der Dänischen Straße. 1695 erwarb es Henning von Thienen auf Gut Warleberg, daher der Name Warleberger Hof. Als 1765 Henning Bendix von Rumohr das Gebäude kaufte, ließ er es umgestalten und erweitern, was auch Henning von Thienen schon veranlasst hatte. Rumohr gab dem Haus in etwa das heutige Aussehen. Er ließ den Nordflügel an der Eingangsfront anbauen und schuf den repräsentativen Eingang durch das rundbogige Sandsteinportal mit Rocaillenaufsatz, dessen Kartusche ein R (Rumohr) zeigt.

Seit 1839 befand sich der Warleberger Hof im Besitz der Universität und beherbergte verschiedene Institute, zunächst die Anatomie, dann die zoologische Sammlung, die mineralogische Sammlung und das pharmakologische Institut. Später waren das Museum für Völkerkunde, dann das Theater- und Hebbelmuseum im Warleberger Hof untergebracht. Er wurde nicht Opfer des Abrisses und auch nicht der Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg. So ist der Warleberger Hof heute der einzige erhaltene Adelshof in Kiel.

Das alte Adelshaus wird Stadtmuseum

Nach 1945 war das Medizingeschichtliche Institut im Warleberger Hof untergebracht. Die Stadt plante, dieses alte und für Kiel einzigartige Gebäude kulturell zu nutzen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So fanden Verhandlungen zwischen Stadt, Land und Universität statt, bis im Jahre 1965 die Stadt das Gebäude erwerben konnte, um hier ein Museum einzurichten.

Umbauten und Veränderungen waren nötig. Unangetastet aber blieb der historische Keller mit dem eindrucksvollen Tonnengewölbe, der Herdanlage und der Zisterne. Die Ausstellungsräume im Erdgeschoss wurden mit hölzernen Paneelen, wertvollen Tapeten, Supraporten und prächtigen Stuckdecken versehen, die ursprünglich aus Kieler Häusern des 18. Jahrhunderts stammten und dann ins Thaulow-Museum überführt worden waren.

Am 17. September 1970 wurde der Warleberger Hof als Stadtmuseum eröffnet, in dem auf knapp 500 qm wechselnde Ausstellungen zur Stadt- und Kulturgeschichte stattfinden.

2009 begannen Sanierungsarbeiten an dem einzig erhaltenen Adelshof in Kiel. Es wurden große Mängel an der Statik festgestellt, insbesondere an der Rückfront des Gebäudes. Das Fachwerk und der Dachstuhl mussten zum größten Teil erneuert werden, ebenfalls porös gewordenen Steine in den Außenwänden, wobei die Suche nach geeignetem Ersatzmaterial schwierig war.

Autorin: Christa Geckeler (1937 - 2014)


Quellen

Akte Nr. 26294, Stadtarchiv Kiel

Akte Nr. 58821, Stadtarchiv Kiel

Literatur

Hoff, Adolf

Die Baugeschichte des Warleberger Hofes. Ein Beitrag zur Geschichte des Alt-Kieler Adelshauses, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 37, 1934, S. 88-96

Jensen, Jürgen

Das Kieler Stadt- und Schiffahrtsmuseum, Warleberger Hof und Fischhalle, Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 12, Neumünster 1980, S. 7-10

Jensen, Jürgen

Historischer Stadtbildatlas Kiel. Eine Dokumentation zu den Anfängen der Ortsbild- und Denkmalpflege um 1900, Neumünster 1986

Ranft, Andreas

Der Warleberger Hof: Adel in Kiel, in: Begegnungen mit Kiel. Gabe der Christian-Albrechts-Universität zur 750-Jahr-Feier der Stadt, hrsg. von Werner Paravicini in Zusammenarbeit mit Uwe Albrecht und Annette Henning, Neumünster 1992, S. 83-87

Vollbehr, Friedrich

Die Kieler adligen Freihäuser, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 1, 1877, S. 20-29

Wilde, Lutz

(bearb.): Denkmaltopographie. Landeshauptstadt Kiel, Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 29, S. 194-197

Wulf, Peter

Kiel wird Großstadt (1867 bis 1918), in: Geschichte der Stadt Kiel, hrsg. von Jürgen Jensen und Peter Wulf, Neumünster 1991, S. 210-213

Zeitungen

Kieler Nachrichten

vom 19. März 1970, vom 8. Dezember 1973, vom 5. Juni 1997, vom 8. Februar 2001, vom 19. März 2009

Kieler Zeitung

vom 21. September 1898, vom 4. Februar 1906, vom 24. März 1907, vom 6. Dezember 1908


Dieser Artikel kann unter Angabe des Namens der Autorin Christa Geckeler, des Titels Kieler Erinnerungstage: August 1909 | Die Fassade des Warleberger Hofs wird um 5m zurückversetzt und des Erscheinungsdatums 01. August 2009 zitiert werden.

Zitierlink: https://www.kiel.de/erinnerungstage?id=104

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