Kieler Erinnerungstag:31. Dezember 1909
Der St.-Jürgen-Friedhof

Der St.-Jürgen-Friedhof war ein fast idyllischer Ort und jedem in Kiel bekannt. Er schenkte nicht nur den Toten Frieden, sondern auch den Lebenden, die hierher kamen. Mit seinem Rosenduft, den Linden, die den Kirchhof umgaben, den kiesbestreuten Wegen und den von Efeu bewachsenen Grabhügeln übte er auf die Besucher einen großen Reiz aus.

Der St.-Jürgen-Friedhof war einer der ältesten Kirchhöfe Kiels

Er lag am Sophienblatt bei der St.-Jürgen-Kapelle, weit außerhalb der (Alt-)Stadt, dort, wo sich heute der Parkplatz zwischen dem Bahnhof und der Provinzial-Versicherung befindet. Er war nicht der älteste Friedhof Kiels, denn im Mittelalter wurden die Toten innerhalb der Stadtmauern begraben. Wohlhabende Bürger hatten ihre Grabstätten in der Nikolaikirche, ärmere auf dem Friedhof davor. Im ausgehenden Mittelalter wurde auch gern die Klosterkirche und ihr Kirchhof gewählt.

Der St.-Jürgen-Friedhof war anfänglich der Friedhof für die „Aussätzigen“, d. h. für Leprakranke und anderen Menschen mit ansteckenden Krankheiten, die im angrenzenden St.-Jürgen-Hospital abgeschottet von anderen Kielern lebten. Später wurde der Friedhof auch für die ärmeren Bevölkerungskreise Kiels genutzt. Auch Selbstmördern und Hingerichteten diente er als letzte Ruhestätte, soweit sie nicht unter dem Galgen „verscharrt“ wurden.

Kloster und Nikolaikirchhof waren bald besetzt. Die Anlage eines neuen Friedhofs innerhalb der Stadt unterblieb aus Raummangel und gesundheitlichen Gründen. Moderne hygienische Einsichten führten zu der Forderung, die Toten nicht länger in und um die Kirchen in der Stadt beizusetzen.

Der Arzt Prof. Christian Johann Berger, der am 2. März 1789 starb und am 1. März auf dem St.-Jürgen-Friedhof bestattet wurde, ist wahrscheinlich der erste aus der „guten Gesellschaft“, der hier seine letzte Ruhe fand.

1793 wurde der Friedhof vom Vorstand des St.-Jürgen-Klosters an die Kirchenvorstände der St.Nikolai- und der Heiligen-Geist-Kirche verkauft. Nun besaß Kiel einen außerhalb des städtischen Wohnraums gelegenen kirchlichen Friedhof für die Kieler Stadt- und Landgemeinden. Hier gab es auch eine Leichenhalle, in der die Verstorbenen bis zu ihrer Beisetzung standen. Sie bekamen einen Glockenstrang um die Hand gelegt. Damit hatte es folgende Bewandtnis: Eine Menschenfreundin hatte durch die Stiftung einer Alarmanlage Vorsorge getroffen, dass eventuelle Scheintote sich durch Glockensignale auf schnellstem Wege wieder mit der Außenwelt in Verbindung setzen konnten. Dem Küster, der einen zum Leben erwachten Toten meldete, stand eine Belohnung zu. Die Chronik berichtete allerdings nicht, ob ein solcher Fall eingetreten ist.

Der St.-Jürgen-Friedhof wurde als „Neuer Friedhof“ bezeichnet. Im Jahre 1836 war eine Vergrößerung notwendig. Daher wurde die Fläche des Kirchhofs nach Süden etwa verdoppelt. Schon 1838 sprach man von dem Alten (nördlichen) und Neuen (südlichen) Friedhof. Der Name St.-Jürgen-Friedhof kam erst in Gebrauch, als 1869 der heutige Südfriedhof als Neuer Friedhof eingeweiht wurde. Das starke Anwachsen der Kieler Bevölkerungszahl nach 1865 hatte nämlich weitere Friedhöfe zur Folge, denn die Plätze auf dem St.-Jürgen-Friedhof waren längst alle belegt. Eine weitere Vergrößerung des Gräberfeldes zwischen Sophienblatt und Eisenbahn war nicht möglich. Seit Ende des 19. Jahrhunderts fanden hier keine Beerdigungen in Gemeindegräbern mehr statt, nur noch in denen der Familien. Am 31. Dezember 1909 wurde der Friedhof endgültig geschlossen.

Der Friedhof – eine kulturhistorische Denkmalstätte

Der St.-Jürgen-Friedhof wirkte unbeabsichtigt als Denkmal für Kiels Vergangenheit. Viele Persönlichkeiten, die für Stadt und Land eine bedeutende Rolle gespielt hatten, fanden hier ihre letzte Ruhe: Kaufleute, Künstler, Prediger, Professoren, Kieler Originale und Vorkämpfer der Schleswig-Holsteinischen Erhebung. Unter denen, die man hier bestattete, ist wohl der bekannteste der Balladenkomponist Carl Loewe. Ebenso der in Korsör geborene Dichter Jens Baggesen sowie die Eltern von Uwe Jens Lornsen und die Tochter des Dichters Christoph Martin Wielands, die mit dem Kieler Philosophieprofessor Karl Leonhard Reinhold verheiratet war, hatten auf dem St.-Jürgen-Friedhof ihre Gräber. Als weitere Persönlichkeit sei Claus Harms erwähnt, der zu den bedeutendsten Predigern Schleswig-Holsteins zählte, sowie Professor Thaulow, der Begründer des nach ihm benannten Museums. Aus den Kieler Kaufmannsgeschlechtern sei an Lantzius, Faesch, Schweffel und Howaldt erinnert. Der Adel des Landes war mit klangvollen Namen wie von Bernstorff, von Holstein und Graf Baudissin vertreten. Auch Angehörige der schleswig-holsteinischen Armee von 1848-1850 wurden hier beigesetzt sowie ausländische Offiziere und Soldaten.

Verfallene Gräber, zerbrochene Kreuze, verwitterte Grabsteine

Im Zweiten Weltkrieg wurde die St.-Jürgen-Kirche schwer beschädigt und der Friedhof in ein Trümmerfeld verwandelt. „Den Besucher erfüllt es mit leiser Wehmut, wenn er den Friedhof betritt, von dessen uralten Bäumen nur noch Stümpfe und Wurzeln stehen, während über umgeworfene Grabsteine und Kreuze Gras und Gestrüpp wuchern und über die Gräber und Grüfte, deren Steine mit Kreide beschmiert sind, Kinder toben“, heißt es in einem Bericht in den Kieler Nachrichten nach dem Krieg.

1954 wurden die Reste der Kirche gesprengt, das Friedhofsgelände fiel teils der Straßenverbreiterung des Sophienblattes, teils dem Großparkplatz zum Opfer.

St.-Jürgen-Traditionsstätte auf dem Eichhof

Die Überreste der Toten bettete man auf den Friedhof Eichhof um. Vor der Kapelle unter dem Rasen befindet sich die Sammelruhestätte. Ebenso erhielten 64 Grabdenkmäler und Grabplatten, die unter Denkmalschutz stehen, dort einen neuen Platz. Am 12. Juni 1955 wurde die neue Sammelruhestätte in einer Feierstunde als „Traditionsstätte“ des früheren St.-Jürgen-Friedhofs eingeweiht.

Das Grabmal des dänischen Dichters Baggensen und seines Freundes Reinhold befindet sich außerhalb der großen Ruhestätte unter alten Bäumen. Hier wurde der Dichter während der Kieler Woche 1955 feierlich der Erde wiedergegeben. Die Gebeine des Komponisten Carl Loewe ruhen heute in der Nikolaikirche. Das „Eiserne Kreuz“ als Grabmal für die gefallenen Soldaten der schleswig-holsteinischen Armee 1848/51 steht auf dem Nordfriedhof.

Autorin: Christa Geckeler (1937 - 2014)


Literatur

Albrecht,

Uwe und Anke Feil: Stadtarchäologie in Kiel. Ausgrabungen nach 1945 in Wort und Bild, Neumünster 1996

Erichsen,

Theodor: Aus meiner Vaterstadt, Kiel 1911

Grönhoff,

Johann: Kieler Begräbnisplätze einst und jetzt, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 48 (1953), S. 33-37

Kieler Nachrichten

vom 30. Juni 1954

Kieler Umschau

Nr. 4, 1954

Kühn,

Gustav: Abschied vom St. Jürgenskirchhof, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 48 (1954), S. 45-58

Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung

vom 20. November 1954

Stoltenberg,

G.: Der St. Jürgensfriedhof zu Kiel, in: Heimat, 20. Jg. (1910), S. 105-112, S. 121-128

Stolz,

Gerd. Kleiner Führer über den Kieler Park-Friedhof Eichhof, Kiel 2000


Dieser Artikel kann unter Angabe des Namens der Autorin Christa Geckeler, des Titels Kieler Erinnerungstage: 31. Dezember 1909 | Der St.-Jürgen-Friedhof und des Erscheinungsdatums 31. Dezember 2004 zitiert werden.

Zitierlink: https://www.kiel.de/erinnerungstage?id=27

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