Wissenschaftspreis 2021
Medizinerin Prof. Dr. Daniela Berg

Mit dem Kieler Wissenschaftspreis 2021 wurde die Neurologin Prof. Dr. Daniela Berg von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ausgezeichnet.

 

Die Preisträgerin im Interview

Es war eine wirkliche Berufung. Ich bin angefragt worden, mich auf die W3-Professur für Neurologie zu bewerben. Zunächst konnte ich mir dies gar nicht vorstellen. Ich hatte eine große Arbeitsgruppe in Tübingen mit mehreren umfangreichen und über viele Jahre angelegten Studien, für die ich verantwortlich war. Und auch als Familie fühlten wir uns – mein Mann, unsere beiden Jungs und ich – in Tübingen sehr wohl.
Ich bin in Bonn geboren, habe aber den Großteil meiner Schulzeit in Süddeutschland (Nähe des Bodensees) verbracht, in Würzburg studiert und einige Jahre gearbeitet, bevor mein Mann und ich nach Tübingen zogen. Meine Vorstellung von Kiel war, dass es nicht nur weit im Norden liegt, sondern dort auch meist regnet und dunkel ist.

Mein Mann hat mich dann aber für eine Bewerbung ermutigt und mir wurde klar, dass exzellente Kollegen/innen in Tübingen die begonnene Arbeit gut weiterführen können. Und so habe ich mir gesagt: „O.K., ich bewerbe mich, wenn es klappt, ist es eine wirkliche Berufung“. Und es hat geklappt – das Verfahren war wirklich ausgesprochen angenehm – und so habe ich die Berufung angenommen. Ich bin wirklich sehr dankbar und glücklich mit dieser Entscheidung. Meine Arbeit macht mir viel Freude, die Arbeit in Tübingen geht sehr gut weiter (wir haben von Kiel aus sehr erfolgreiche Kooperationen) und meine Familie und ich fühlen uns ausgesprochen wohl hier. Heute weiß ich – es ist nicht immer dunkel und es regnet auch nicht immer im Kiel. Im Gegenteil, viele Sommertage sind „unschlagbar“ und vor allem schätzen wir die Art der Menschen hier im Norden sehr. Der Norden ist uns eine wirkliche Heimat geworden.

Zunächst bin ich auf den Lehrstuhl für Neurologie berufen worden, d.h. ich bin für Forschung und Lehre in der Neurologie verantwortlich und leite die Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel. All diese Aufgaben lassen sich natürlich nur mit einem guten Team bewältigen, und das haben wir hier!

Mein Forschungsschwerpunkt sind neurodegenerative Erkrankungen – also Krankheiten, bei denen Nervenzellen im Gehirn zu Grunde gehen und es somit zu bestimmten Auffälligkeiten kommt, z.B. zu einer Demenz bei Alzheimer oder Bewegungsstörungen bei Parkinson. Im Speziellen beforsche ich mit unserer Arbeitsgruppe die Parkinsonerkrankung, insbesondere die Früherkennung und frühe Therapie. Wir konnten zu dem Verständnis beitragen, dass der Krankheitsprozess bei Parkinson schon Jahre bis Jahrzehnte im Körper der Betroffenen besteht, bevor erste Auffälligkeiten wie Verlangsamung, Steifigkeit oder Zittern auftreten. Wenn diese Bewegungsstörungen auftreten, hat sich der Krankheitsprozess in der Regel schon in weiten Teilen des gesamten Nervensystems und Gehirns ausgebreitet und viele Nervenzellen sind bereits zu Grunde gegangen. 

Ein früheres Erkennen und damit auch frühere Therapiemöglichkeit könnte diese Ausbreitung und damit den Nervenzelluntergang verlangsamen, vielleicht sogar stoppen. Dafür braucht es sogenannte „Biomarker“, d.h. Auffälligkeiten, wie klinische Symptome die darauf hinweisen, dass bestimmte Teile des Nervensystems betroffen sind, krankheitstypische Ablagerungen in der Haut oder anderen Organen oder Veränderungen im Blut, die anzeigen, dass Menschen sich in dieser Frühphase befinden. Daran forschen wir. Wir haben zum Beispiel ein Ultraschallmerkmal entwickelt, das auf eine Veranlagung für Parkinson hinweist und mit einer internationalen Arbeitsgruppe ein Modell etabliert, mit dem die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch sich in der Frühphase der Parkinsonerkrankung befindet, berechnet werden kann. 

In unserer Arbeitsgruppe begleiten wir Menschen, bei denen bestimmte Symptome wie z.B. eine Traum-Schlaf-Störung (REM-Schlaf-Verhaltensstörung) darauf hinweisen, dass eine solche Frühphase vorliegen könnte. Ferner führen wir klinische Studien durch – z.T. mit neuen Medikamenten - die den Krankheitsprozess aufhalten sollen, wenn bereits eine Parkinsonerkrankung besteht, oder auch bezüglich Lebensstil-Änderungen, die einen positiven Einfluss auf einen frühen Krankheitsverlauf haben können. Hierzu gehören u.a. körperliche Aktivität und Ernährung.

In unserer Gesellschaft nehmen neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer zu, weil wir das Privileg haben, immer älter zu werden und mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit für eine derartige Erkrankung steigt. Aber es sind nicht nur ältere Menschen betroffen. Gerade Parkinson kann auch Jüngere betreffen, die noch ganz im Berufsleben stehen, Kinder großziehen und bei denen die Diagnose einer derartigen chronischen Erkrankung den Alltag substantiell verändert. 

Wir wissen heute, dass bestimmte Lebensstilfaktoren, wie körperliche Aktivität und eine leichte, polyphenolhaltige Ernährung (d.h. eine eher mediterrane Kost mit viel Obst, Gemüse, guten Ölen etc.) sich positiv auf die Nervenzellen auswirkt. Hier können Ansätze für eine allgemeine Prävention liegen. Darüber hinaus können die Erforschung spezifischer Zusammenhänge, z.B. Erkenntnisse über genetische Unterformen der Erkrankung oder über die Interaktion des Darm-Mikrobioms und des Gehirns zu neuen Therapien beitragen, die an der individuellen Ursache der Erkrankung ansetzen.

Jeder Mensch möchte möglichst gesund älter werden. Wir versuchen mit unserer Forschung dazu beizutragen.

Ich freue mich RIESIG darüber und fühle mich ganz besonders geehrt, wenn ich die Reihe derjenigen großen Wissenschaftler und Künstler sehe, an die dieser Preis bisher verliehen wurde. Für diese große Ehre und Auszeichnung möchte ich mich von ganzem Herzen bedanken!

Aber ich bin auch überrascht worden. Zunächst natürlich durch den freundlichen Anruf des Stadtpräsidenten, Herrn Torvar, dann aber auch durch die Tatsache, dass gerade ich für den Preis ausgewählt wurde. Es gibt ja viele sehr gute Wissenschaftler hier in Kiel.

Mit dem Gedanken „warum ich?“ habe ich über die vielen großartigen Menschen nachgedacht, die mich auf meinem Weg begleitet haben und begleiten. Gute Wissenschaft kann meiner Einschätzung nach nur in gutem Miteinander gelingen. Ich hatte und habe das Privileg mit vielen exzellenten Wissenschaftlern aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammenarbeiten zu dürfen, dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Und so beinhalten Erfolge in der Wissenschaft für mich natürlich gute Ideen, aber vor allem auch ein gemeinsames Verfolgen dieser Ideen und Visionen, das Einbringen von jeweiligen Stärken, Kritikfähigkeit und tatsächlich auch sehr viel Arbeit. Thomas Edison, ein großer Physiker, soll gesagt haben, dass Genialität zu 1Prozent aus Inspiration und zu 99 Prozent aus Transpiration (also Schwitzen) besteht. Da ist sicher viel dran, auch wenn Wissenschaft für mich wie sicher auch für viele andere ebenso Freude und Spaß bedeutet. Es ist einfach großartig, spannenden und wichtigen Fragen nachgehen zu können! 

Ich selber habe auch den Anspruch, mit Wissenschaft nicht nur wichtige Zusammenhänge aufzudecken und neue Möglichkeiten zu schaffen, sondern vor allem Umstände besser zu machen. Das gilt in der Medizin natürlich für eine bessere Diagnosestellung und Behandlung von Erkrankungen, das gilt aber auch für den Umgang miteinander und bei uns Ärzten natürlich für den Umgang mit den Patienten, d.h. es müssen immer auch ethische Aspekte berücksichtigt werden. Und es gilt für die Fragen und Zielrichtungen der Forschung an sich. Um bei den großen Physikern zu bleiben, möchte ich hier auf Alber Einstein verweisen, der ermutigt haben soll, nicht danach zu streben ein erfolgreicher sondern ein wertvoller Mensch zu werden. In der Wissenschaft haben wir eine große Verantwortung, dessen müssen wir uns immer bewusst sein.

Somit beinhaltet der Kieler Wissenschaftspreis für mich neben der großen Freude über die Wertschätzung unsere Arbeit auch die Erinnerung an die Verantwortung, unsere eigenen wissenschaftlichen Arbeiten und natürlich auch die Arbeit des Gesamtteams unserer Klinik für Neurologie sowie die Projekte, in die wir sonst involviert sind, gut voran zu bringen und somit weiter zu guter Wissenschaft beizutragen.

Oh – das ist eine große Frage, die ich nicht einfach und umfassend beantworten kann. Lassen Sie mich vielleicht drei Aspekte herausgreifen.


1) Meine Wünsche für die Wissenschaft in der Medizin:

In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind wir in der Medizin immer weiter in kleinste Details der Funktionsweise von Körperzellen und ihren Bestandteilen im gesunden und kranken Zustand vorgestoßen. Unglaubliche Fortschritte in diesen Bereichen ermöglichen Krankheiten besser zu verstehen und zu behandeln. Das ist sehr wichtig und wertvoll!
Der Mensch, sei er gesund oder krank, ist aber viel mehr als die regelrechte Funktion von Zellen. In der Komplexität, die jedes individuelle menschliche Leben als Leib-Seelische-Einheit ausmacht, spielen sehr viele Faktoren eine Rolle. Das bemerkt ja auch jede/r, wenn er/sie darüber nachdenkt, welchen Einfluss z.B. Stress auf Wohlbefinden bzw. Krankheitsentstehung hat. Neben dem so wichtigen Verständnis der Funktion und Interaktion kleinster Körperbestandteile wünsche ich mir, dass es mehr Raum für Forschung gibt, die den „ganzen Menschen“, im Blick hat, also organ- und krankheitsübergreifend ansetzt. In unserer immer älter werdenden Bevölkerung ist dies besonders wichtig und beinhaltet auch, dass wir präventiv und integrativ denken. Präventiv bedeutet zu handeln, bevor ein Problem auftritt, für uns in der Neurologie heißt dies, das Gehirn zu schützen, bevor es geschädigt wird.

Hierfür müssen zum Beispiel Forschungsansätze ermöglicht werden, die lange Beobachtungszeiträume und auch Lebensstiländerungen beinhalten. Integrativ bedeutet u.a., dass es ein Miteinander verschiedener Disziplinen geben muss, um der Komplexität des Menschen gerecht zu werden. Dieses Miteinander ist nicht selbstverständlich – Rahmenbedingungen und Ressourcen müssen hierfür vorgehalten werden. Im Grunde ist unser gegenwärtiges System eher ein „Krankheits-“ als ein „Gesundheitssystem“. Mein Wunsch ist, dass wir neben dem Verstehen und Behandeln von Krankheiten einen Schwerpunkt auf die Förderung von Gesundheit legen – hierfür brauchen wir die genannte präventive und integrative Vorgehensweise.


2) Meine Wünsche für die Wissenschaft in Kiel allgemein:

Wie in der Medizin scheint es mir für die gesamte Wissenschaft essentiell, integrativer und stärker fächerübergreifend zu denken. Ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderungen der Zukunft nur meistern werden, wenn wir die aktuellen Probleme aus verschiedenen Perspektiven verstehen und dann gemeinsam angehen. Auch hierfür müssen Rahmenbedingungen und Ressourcen vorgehalten werden.

Darüber hinaus wünsche ich mir, dass die sehr gute Wissenschaft in Kiel national und international noch mehr wahrgenommen wird. Es entspricht meiner Wahrnehmung nach nicht dem sehr sympathischen norddeutschen Naturell, Erfolge lautstark zu verkünden. Ich wünsche mir, dass durch Stärkung des Miteianders verschiedener Disziplinen und durch nachhaltige Unterstützung der Wissenschaft durch die Politik, die Wissenschaft in Kiel noch mehr Leuchtkraft erhält und somit auch weitere Ressourcen nach Kiel und Schleswig-Holstein fließen, um diese voran zu bringen.


3) Mein Wunsch für Kiel:

Es gibt viele Bereiche, in denen Kiel leuchtet, sei es der THW, die aufstrebenden Störche, die Beiträge zum Schleswig-Holstein Musikfestival, die so beliebte Kieler Woche… Ich wünsche weiterhin viel Erfolg und Freude in diesen und vielen anderen Bereichen und vor allem, dass Kiel dabei seine besondere Identität bewahrt und behält. Besonders wichtig aber ist mir, dass Kiel als Hauptstadt des Landes zwischen den Meeren seine großen Möglichkeiten, die Zukunft nachhaltig zu gestalten, sieht und wahrnimmt. Es gibt hier sehr viele gute Ansätze. Mein Wunsch ist, dass diese weiter verfolgt und ausgebaut werden.

Prof. Dr. Daniela Berg  - Klick auf das Bild öffnet das Video in einer eigenen Ansicht

Foto: Maximilan Hermsen / UKSH


Ehrung hervorragender wissenschaftlicher und innovativer Leistungen

Die Landeshauptstadt zeichnet mit den Preisen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aus, deren Wirken in besonderer Beziehung zu Kiel oder zu Schleswig-Holstein steht und die sich hervorragende Verdienste, auch über das Land hinaus, erworben haben.

Der Kieler Wissenschaftspreis wurde erstmals im Jahr 2001 an den Pathologen und Anatomen Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karl Lennert verliehen. Seitdem wird der Preis im jährlichen Wechsel mit dem traditionellen Kieler Kulturpreis vergeben, der bereits seit 1952 existiert.

Seit 2017 wird der Wissenschaftspreis ergänzt durch den Innovationspreis für herausragende Erfindungen und wissenschaftlich basierte Startup-Geschäftsmodelle.

Die Preisträger*innen werden vom Kultur- und Wissenschaftssenat der Landeshauptstadt Kiel vorgeschlagen. Entschieden wird die Preisvergabe durch die Kieler Ratsversammlung.