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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung - 1032/2023

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Beratungsfolge

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Sachverhalt/Begründung

 

 

 

Basierend auf der städtischen Datenlage informiert das Jugendamt seit 1996 jährlich die Selbstverwaltung über Entwicklungen zur Jugenddelinquenz.

 

 

 

Unter das Jugendgerichtsgesetz (JGG) fällt der Personenkreis der 14- bis unter 21-Jährigen. Anders als in der polizeilichen Kriminalstatistik (Tatortbezug) werden vom Allgemeinen Sozialdienst ausschließlich Personen registriert, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Kiel haben (Wohnortprinzip). Daraus ergeben sich regelhaft abweichende Werte.

Übereinstimmend weisen beide Datenquellen auf einen Anstieg der Jugenddelinquenz hin. Kiel liegt damit im Landes- und im Bundestrend.

 

Ein wesentlicher Indikator ist die Jugendkriminalitätsdichte. In 2022 wurden 5,2 % aller jungen Kieler*innen zwischen 14 und unter 21 Jahren strafrechtlich auffällig. Während bei den Jugendlichen ein deutlicher Anstieg um einen Prozentpunkt zu verzeichnen ist, fällt er bei den Heranwachsenden mit 0,6 % vergleichsweise moderat aus.

 

In absoluten Zahlen wurden im Erhebungsjahr 845 jungen Kieler*innen insgesamt 1529 Straftaten zur Last gelegt. Im Jahr 2021 waren es 1317 Straftaten für die sich 698 junge Menschen verantworten mussten. Das entspricht einem Anstieg um 147 Personen (+ 21 %) und einem Plus von 212 Straftaten (+ 16 %).

Dabei ist der Anteil der jungen Menschen, die sich erstmalig in einem Strafverfahren befinden, gestiegen. Die Anzahl der Anklagen ist leicht gestiegen. Bei den Delikten sind Anstiege bei Diebstahl und Körperverletzung zu verzeichnen. Entsprechend sind in 2022 sowohl Entscheidungen über Diversion[1] als auch gerichtliche Urteile und Beschlüsse leicht gestiegen.

 

Das Deutsche Jugendinstitut München sieht nach Analyse der bundesweit gestiegenen Jugendgewalt unter anderem Hinweise auf “Verschiebe- und Nachholeffekte“. „Das bedeutet, dass Jugendliche, die aufgrund der Einschränkungen der Corona-Jahre, entwicklungstypische Erfahrungen, die Jugenddelinquenz begünstigen, nachholen und somit zwei Alterskohorten gleichzeitig mit entwicklungstypischen delinquenten Verhalten auffallen.“ ( https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/jugendkriminalitaet/Zahlen-Daten-Fakten-Jugendgewalt_Juni_2023.pdf)

Diese seien erklärlich durch pandemiebedingt reduzierte Kontakt- und Erfahrungsmöglichkeiten, die sich insbesondere bei der Gruppe der Jugendlichen zeige. Das bedeute, „…dass durch die Einschränkungen während der Corona-Pandemie die psychische Belastung gestiegen ist und auch die Entwicklung des Sozialverhaltens von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt wurde, so dass in der Folge jugendtypische Peer-Konflikte eher eskalieren könnten.“

 

 

Laut Bundeskriminalamt: „Allerdings sehen wir in der Polizeilichen Kriminalstatistik von 2022 eine Zunahme von Gewaltdelikten wie Raub und Körperverletzung. Diese sind im Vergleich zu 2021 um fast 20 Prozent und zum Vor-Corona-Jahr 2019, also dem Jahr ohne Einschränkungen des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens, um knapp neun Prozent angestiegen. Auch bei Kindern und Jugendlichen haben die Zahlen der Tatverdächtigen zugenommen …“ Zu erwarten sei ein Rückgang nach Pandemieende. Auch das Bundeskriminalamt geht nicht von einem anhaltenden Trend aus. „Ähnliche Anstiege hatten wir auch 2015/2016, die sich nach wenigen Jahren wieder auf das vorherige Niveau normalisierten, was auch aktuell eher wahrscheinlich ist. Diese auffällige Entwicklung ist also nicht alarmierend, muss aber beobachtet werden.“ (https://www.bka.de/DE/Presse/Interviews/2023/230328_InterviewMuenchFunkeMedien.html)

 

Sollte es in den nächsten Jahren zu keinen weiteren gravierenden gesellschaftlich belastenden Ereignissen und Entwicklungen kommen, so sei davon auszugehen, dass sich der Trend im Bereich der Jugendkriminalität reguliere. Dies muss also in allen relevanten Bereichen gut beobachtet werden.

 

Einigkeit besteht bei Expert*innen, dass es gut vernetzt und rechtskreisübergreifend den Ausbau zielgruppenbezogener Präventionsstrategien braucht bzw. diese fortgeführt werden müssen, wo sie gut etabliert sind. Beispielhaft sei dies dargestellt an folgenden Entwicklungen:

  • Kiel investiert in zusätzliche pädagogische Fachkräfte an Schulen und in Kitas. Der erhöhte Mitteleinsatz stärkt das soziale Miteinander.
  • Die konzeptionell vorrangig präventiv ausgerichtete Schulsozialarbeit agiert verstärkt insbesondere an Gemeinschaftsschulen und an Regionalen Berufsbildungszentren intervenierend.
  • Auf Gewaltvorfälle am Bahnhof und in einem RBZ wurde in 2022 umgehend mit erhöhter Jugendsozialarbeit reagiert. Das Projekt des Jugendhilfeträgers Liman „Jugendliche am Bahnhofsvorplatz“ und an der Schule hat zur Beruhigung der Lage beigetragen. Grundsätzlich wurden die Erfolge durch vernetztes Arbeiten aller Beteiligten inkl. der Polizei möglich.
  • Deliktanstiege in Stadtteilen, wie in Suchsdorf, wurde unter anderem durch verstärkte Polizeipräsenz und enge Kooperation mit der Jugendhilfe, begrenzt.

 

 

Das Jugendamt wird die Entwicklungen beobachten und im Bedarfsfall auch weiterhin geeignete

Präventionsstrategien und Projekte installieren.

 

Im Rahmen der JGG-Reform wurde in 2019 die Kooperation der Jugendhilfe im Strafverfahren mit der Polizei und der Justiz im Vorfeld gerichtlicher Verfahren gestärkt. In der Praxis wird damit ein schnelles und jugendgerechtes Agieren befördert.

 

 

 

Renate Treutel

Bürgermeisterin

 

 


[1] Diversion meint Verfahrenseinstellung, die bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen anstelle einer Anklage oder einer Verurteilung erfolgt.

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Anlagen

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