Dorothea Brede

Foto Dorothea Brede
Dorothea Brede | Foto: Familienbesitz*

Geboren am 25. März 1876 in Segeberg

Seit über hundert Jahren ist die Bahnhofsmission vielen Ratsuchenden bei der Ankunft in einer fremden Stadt erste Anlaufstelle.

Dorothea Brede hat in Kiel eine solche Anlaufstelle geschaffen: Bereits 1897 gründet sie die Evangelische Bahnhofsmission im Kieler Hauptbahnhof, und ab 1917 leitet sie sämtliche Bahnhofsmissionen in Schleswig-Holstein.

Dorothea Brede wächst als Tochter eines Seminarlehrers in Segeberg auf, dem heutigen Bad Segeberg. Nach der Ausbildung beginnt sie zunächst eine Tätigkeit als Lehrerin an der Städtischen Höheren Lehranstalt in Kiel.

Im Zuge der Industrialisierung kommen Ende des 19. Jahrhunderts viele, zum Teil unerfahrene Mädchen und junge Frauen vom Land in die Städte, um hier eine Beschäftigung zu finden. Nicht nur Zuhälter und dubiose „Zimmervermittler“ wissen dies auszunutzen. Sie warten auf den Bahnhöfen, um aus der Unerfahrenheit der Mädchen und Frauen Kapital zu schlagen.

Um den gefährdeten Mädchen Hilfe leisten zu können, entsteht im Jahr 1887 in Kiel der Verein der Freundinnen junger Mädchen, der zeitgleich in 27 Ländern gegründet wird. Die entschlossenen Frauen beziehen sich in ihrer Tätigkeit auf den bereits 1877 von der Engländerin Josephine Butler gestarteten Aufruf zur Schaffung einer internationalen Hilfskette gegen sexuelle Ausbeutung.

Als Arbeitszweig des Vereins der Freundinnen junger Mädchen entsteht auf Initiative Dorothea Bredes die Kieler Bahnhofsmission. Dorothea Brede leitet von Beginn an diese Institution, die ihre Arbeit zunächst in einem kleinen Raum des Bahnhofsgebäudes verrichtet.

Das Anliegen des Vereins, nämlich der Schutz gefährdeter Mädchen und junger Frauen, kann durch die Bahnhofsmission konkret umgesetzt werden. Die Anwesenheit der Helferinnen direkt am Kieler Hauptbahnhof ermöglicht rechtzeitige Hilfestellung und gegebenenfalls seriöse Weitervermittlung.

Die im Wesentlichen von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen getragene Mission hilft Mädchen und jungen Frauen, erste Kontakte zu knüpfen und Arbeit zu finden, begleitet sie ins Stellenvermittlungsbüro oder zu ihrem neuen Arbeitsplatz; auch unerfahrene Reisende werden mit Rat und Tat unterstützt.

Der erste Weltkrieg bringt neue Aufgaben mit sich: Die Kieler Bahnhofsmission wird nun auch als Lazarett genutzt. Zudem werden in den Krieg ziehende oder auf Heimaturlaub fahrende Soldaten versorgt.

Nach und nach entstehen weitere Bahnhofsmissionen in allen größeren Städten Schleswig-Holsteins. Ab 1917 wird Dorothea Brede die Gesamtleitung der Evangelischen Bahnhofsmission in Schleswig-Holstein übertragen. Sie bekleidet dieses Amt rund 40 Jahre lang bis zu ihrem Tod 1958.

Während der Weimarer Republik (1919 bis 1933) dient die Mission vor allem als Volksküche. Dorothea Brede und ihre Kolleginnen bemühen sich aber nicht nur um Beköstigung, sondern auch um Übernachtungsmöglichkeiten für allein reisende junge Frauen, Mädchen und Kinder ohne Unterkunft.

Das anfänglich genutzte Marthaheim und der kleine Raum der Bahnhofsmission im Kieler Hauptbahnhof reichen jedoch bei weitem nicht mehr aus. Dorothea Brede kämpft viele Jahre für die Errichtung eines Mädchenheimes in Kiel, was jedoch an Geldmangel scheitert.

Nach wie vor trägt sich die Bahnhofsmission durch Spendengelder und ehrenamtliche Arbeit.

Im Zuge des Gleichschaltungsgesetzes wird die Arbeit der Evangelischen Bahnhofsmission von den Nationalsozialisten immer mehr erschwert und schließlich verboten. Trotz des Verbotes gelingt es Dorothea Brede mit Hilfe des Kirchlichen Dienstes für die wandernde Gemeinde, die Arbeit der Bahnhofsmission unter anderem Namen fortzuführen.

Ihrem unermüdlichen Einsatz und Durchhaltevermögen ist es zu verdanken, dass diese Institution auch während der Kriegsjahre auf den Bahnhöfen Flensburg, Husum, Rendsburg, Eckernförde, Kiel, Neumünster und Lübeck ihren Dienst tun kann.

zerstörter Hauptbahnhof
Wiederaufbau des zerstörten Kieler Bahnhofs 1949 - 1950 | Foto: Magnussen/Stadtarchiv Kiel

Gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs beginnen die unentgeltlich tätigen Helferinnen, unter primitiven und widrigen Bedingungen die Räumlichkeiten der Bahnhofsmission im zerbombten Kieler Hauptbahnhof wieder aufzubauen, während die eigentliche Arbeit der Mission weiterläuft:

AussiedlerInnen, Flüchtlingen und Gastarbeitern werden Erstkontakte und Orientierungshilfen ermöglicht, Nichtsesshaften warmes Essen gegeben oder Schularbeitenhilfe für Fahrschüler angeboten. Flüchtlinge und Heimkehrer bzw. deren Angehörige werden betreut, wenn sie vergeblich auf vermisste Freunde und Verwandte warten. Da Dorothea Brede 1945 von der britischen Militärregierung in die erste ernannte Stadtvertretung berufen wird, überträgt sie die Leitung der Kieler Bahnhofsmission an die Gewerbeoberlehrerin Erika Rabe.

Als CDU-Ratsfrau arbeitet Dorothea Brede bis Oktober 1946 in den Ausschüssen für Wohnungsfragen, für soziale Verwaltung und Flüchtlingsfragen sowie im Fachausschuss beim Amt für Familienfürsorge. Von März 1946 bis Februar 1948 sitzt sie im Entnazifizierungsgremium und im Entnazifizierungsausschuss Stadtverwaltung.

Dass die einzelnen Bahnhofsmissionen in Schleswig-Holstein beide Weltkriege überstanden haben und ihre Arbeit in vollem Umfang kontinuierlich leisten konnten, ist hauptsächlich Dorothea Bredes Initiative und ihrem hohen persönlichen Einsatz zu verdanken. Für ihren selbstlosen Dienst an hilfebedürftigen Menschen wird sie in den 50er Jahren sowohl mit dem Bundesverdienstkreuz als auch mit der Wichern-Plakette der Inneren Mission ausgezeichnet.

Sie stirbt am 31. Oktober 1958 in Kiel im Alter von 82 Jahren.



(aus: Nicole Schultheiß: "Geht nicht gibt's nicht ..."
24 Portraits herausragender Frauen aus der Kieler Stadtgeschichte. Kiel 2007)


2009 beschloss die Ratsversammlung, im Neubaugebiet Steenbeker Weg Straßen nach herausragenden Kieler Frauen zu benennen. Eine von ihnen heißt Dorothea-Brede-Weg.

* Das Portrait von Dorothea Brede stellte uns ihr Großneffe Reinhard Brede im März 2012 zur Verfügung.