Nachhaltiges Kiel

Menschenrecht ist weiblich

Ab jetzt ist es amtlich! Gewalt gegen Frauen ist kein Nischenthema mehr. Schleswig-Holstein ist das erste Bundesland, das mit der Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention beginnt. Wir sind verpflichtet, daran mitzuwirken. Und Kiel kommt der Verpflichtung selbstverständlich nach.

Warum ist die Stadt zuständig?

„Die Verwirklichung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein wesentliches Element der Verhütung von Gewalt gegen Frauen.“ (Präambel der Istanbul-Konvention).

Die Istanbul-Konvention macht deutlich: Ungleiche Machtverhältnisse und strukturelle Benachteiligung sind der Nährboden für Gewalt. Kiel hat sich mit dem Bekenntnis zu den UN-Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 auch dem Thema „Geschlechtergerechtigkeit“ verschrieben.

Das SDG 5 zielt darauf, alle Formen der Diskriminierung von Frauen und Mädchen zu beenden. Ein spezielles Augenmerk liegt dabei auf der Aufklärung über den Zusammenhang zwischen Diskriminierung und Gewalt sowie auf dem Abbau von struktureller Benachteiligung als Ursache von Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

In Kiel sind wir noch lange nicht am Ziel

Nur weil es in anderen Ländern dieser Erde schlimmer ist, heißt es noch lange nicht, dass bei uns alles gut ist. Kinderheirat und Genitalverstümmelung sind in Kiel zum Glück nicht an der Tagesordnung. Anders als in manch anderen Ländern des globalen Südens. Dass wir in Kiel aber nie mit diesen Themen zu tun hätten, stimmt auch nicht. Mädchen, die davon betroffen sind, finden Hilfe und Zuflucht im Autonomen Mädchenhaus Kiel.

Doch auch wenn in den vergangen Jahrzehnten einiges an Positivem erreicht wurde, werden Mädchen und Frauen in Deutschland strukturell weiter benachteiligt: So haben etwa 25 Prozent der Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexuelle Gewalt in der Beziehungspartnerschaft erlebt. Das ist auch in Kiel ein Problem.

Im internationalen Vergleich fällt Deutschland vor allem durch den hohen Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen auf, der seit 2002 stets zwischen 21 und 23 Prozent liegt. Zudem kommt auf 13 Männer in den Vorständen deutscher börsennotierter Unternehmen gerade mal eine Frau.

Beim von der Heinrich-Böll-Stiftung durchgeführten Genderranking deutscher Großstädte 2017 nimmt Kiel mit Platz 19 eine Position im ersten Drittel ein. Zwei der fünf Kieler Dezernate, das Baudezernat und das Bildungsdezernat, werden von Frauen geleitet und der Frauenanteil in der Ratsversammlung beträgt 32,08 Prozent.

Bei den kommunalen Unternehmen in Kiel gibt es dagegn dringenden Nachholbedarf: nur drei von 26 Spitzenjobs sind mit Frauen besetzt. Damit sind nur 11,5 Prozent der Geschäftsführungen oder Vorstände kommunaler Unternehmen der Landeshauptstadt in weiblicher Hand. Zum Vergleich: in Berlin sind 40,3 Prozent der Spitzenjobs bei kommunalen Unternehmen mit Frauen besetzt.

Workshop gendergerechte Sprache im Rathaus
Teilnehmer*innen des Workshops zur Einführung der gendergerechten Sprache im Rathaus - Foto: LH Kiel, Christiane Buhl

Das tut die Stadt – Gerechtigkeit für Frauen

Beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss jede Organisation ihren eigenen Weg und ihr eigenes Tempo finden. Hier geht die Landeshauptstadt Kiel als Arbeitgeberin mit gutem Vorbild voran.

Zwar ist nicht alles, was bereits auf dem Papier steht, auch immer schon in den Köpfen der Menschen angekommen: So muss zum Beispiel die Akzeptanz für Teilzeit und Telearbeit in der Verwaltung noch weiter wachsen. Vereinbarkeit ist ein Thema für alle Geschlechter. Es muss für uns alle darum viel normaler werden, wenn männliche Kollegen Elternzeit nehmen - auch in Führungspositionen.

Und Frauen in Führungs- und gehobenen Fachpositionen sind in der Verwaltung ebenfalls noch unterrepräsentiert. Dennoch strebt Kiel an, seinen familienfreundlichen guten Weg fortzusetzen. Und Frauen dabei zu fördern.

Fair Language – jetzt in der Kieler Stadtverwaltung

Kiel ist in seinen Bemühungen zur Gleichstellung ganz gut davor. Es könnte aber sehr viel besser sein. So wird beispielsweise eine geschlechtergerechte Sprache noch nicht konsequent genug in Berichten und Veröffentlichungen der Stadt angewandt. Einen kleinen Meilenstein legte daher im Dezember letzten Jahres der Beschluss der Kieler Ratsversammlung: die geschlechtergerechte Sprache soll Einzug in die Verwaltungssprache der Landeshauptstadt halten.

Künftig werden sämtliche Schrifterzeugnisse geschlechterumfassend formuliert oder mit dem Gender-Stern (*) versehen. Die Mitarbeitenden werden in Workshops und Schulungen für das Thema sensibilisiert. Diese Entscheidung ist eine positive Entwicklung, denn Änderungen in der Sprache ziehen stets auch Änderungen im Denken und im Bewusstsein nach sich.

Das haben wir davon – wir Kieler Frauen

Auch in Kiel ist Geschlechtergerechtigkeit ein wichtiges Thema. Die Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt Stadt Kiel arbeitet hier eng mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen zusammen. Eine große Herausforderung stellt das Thema Gewalt gegen Frauen dar.

Anderen Frauen helfen

Das Frauenhaus in Kiel muss erweitert werden, denn die Nachfrage schutzsuchender Frauen und Kinder nach vorübergehenden Plätzen im Frauenhaus ist sehr viel höher als das Angebot. Nicht jeder schutzbedürftigen Frau kann sofort geholfen werden. Das wollen wir ändern. Die Gleichstellungsbeauftragte stellt daher in ihrem Bericht von 2016 die grundsätzliche Frage, wie dem Thema Gewalt gegen Frauen in Kiel nachhaltig begegnet werden kann.

Frauenhaus Kiel
Viele Frauen und Kinder, die im Kieler Frauenhaus Schutz suchen, müssen wegen Platzmangel abgewiesen werden. - Quelle: Frauenhaus Kiel

Besondere Beachtung verdient das Schicksal von Migrantinnen mit Fluchthintergrund. Viele Frauen und Mädchen unter den Geflüchteten haben Gewalt erfahren müssen. Wie kann ihnen besser geholfen werden? Wo müssen Lücken im System geschlossen werden? Was kann durch bürgerschaftliches Engagement abgemildert werden?

Verschiedene Kieler Organisationen haben beispielsweise mit Hilfe der Expertise von Frauenfachreinrichtungen ein Gewaltschutzkonzept für den Schutz weiblicher Geflüchteter innerhalb von Gemeinschaftsunterkünften entwickelt, das seit Mai 2016 Anwendung findet. Andere engagieren sich für mehr Begegnung und Integration als einem möglichen Weg aus der Isolation und der Gewaltspirale. In Kiel gibt es zwei Anlaufstellen speziell für Frauen mit Fluchterfahrung:  Tio (Treff- und Informationsort für Migrantinnen) und Myriam (My Rights as a Female Migrant). Doch es gibt trotzdem noch viel zu tun für die Frauen in Kiel.

Alleinerziehende brauchen Solidarität - und konkrete Hilfen

Wichtig ist es, Alleinerziehende - meist Frauen - massiv zu unterstützen, denn sie sind im Alltag großen Belastungen ausgesetzt und sind eine besonders armutsgefährdete Gruppe. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit in diesem Personenkreis ist besonders hoch. Der Anteil an langzeitarbeitslosen alleinerziehenden Frauen ist in den vergangenen Jahren in Kiel von 44 Prozent (2012) auf 51,6 Prozent (2016) dramatisch gestiegen.

Das Forum Alleinerziehende, ein Netzwerk zahlreicher Kieler Fachberatungsstellen und städtischer Ämter unter Geschäftsführung des Referates für Gleichstellung, setzt sich in Kiel für die Belange Alleinerziehender ein. Unterstützung ist hier jederzeit willkommen.

Frau und Beruf

Auch die Rückkehr ins Berufsleben ist beispielsweise oftmals schwierig für Frauen, die einige Zeit Pflege- und Hausarbeit geleistet haben. Hier unterstützt die Beratungsstelle Frau & Beruf Schleswig-Holstein, die nun schon seit 30 Jahren Frauen in Fragen zu Berufsrückkehr oder Erweiterung einer Stelle beraten. Das Frauennetzwerk zur Arbeitssituation e.V. ist ebenfalls schon viele Jahre lang in diesem Bereich aktiv.

Aktion Gewalt kommt nicht in die Tüte
Jährliche Aktion "Gewalt kommt nicht in die Tüte" beim Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. - Foto: LH Kiel, Referat für Gleichstellung

Kiel ist für Europa dabei – gegen Gewalt und für Frauenrechte

Das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen“ ist am 1. Februar 2018 in Kraft getreten. Neben den weitreichenden Schutzmaßnahmen ist es vor allem der strukturelle Gewaltbegriff, der diese Konvention für Frauen so besonders macht.

Schleswig-Holstein ist das erste deutsche Bundesland, in dem diese Konvention in die Umsetzung geht. In Kiel fand zu am 25. Oktober 2018 eine Kick-off-Konferenz mit über 100 Teilnehmer*innen aus der Politik und Verwaltung sowie aus Vereinen und Verbänden statt. Mit dem „Rückenwind aus Istanbul“ wollen die Akteur*innen als Vorreiter*innen Segel für einen gesellschaftlichen Wandel setzen. Frischer Wind aus Kiel für Schleswig-Holstein - und für Frauen in ganz Deutschland und Europa.

Mehr zur Umsetzung der Istanbuler Konvention in Schleswig-Holstein findet sich hier.


Mehr zu diesem Thema


Grafik Geschlechtergleichheit
Logo The Global Goals for sustainable Development

Kontakt