Emma Sorgenfrei
Geboren am 28. Oktober 1886 in Roge/Oldenburg
Das leidvolle und von Nöten geprägte Leben Emma Sorgenfreis ist durchaus nicht ungewöhnlich für die damalige Zeit.
Als aktive und markante Mitstreiterin der Kieler Arbeiterbewegung tritt sie im Kampf gegen Ungerechtigkeit und für die Durchsetzung sozialer Forderungen auf.
Emma Marie Schacht wird 1886 in Roge bei Oldenburg als Älteste von 11 Geschwistern geboren. Ihr Vater ist als Landarbeiter beschäftigt, bis er 1890 wegen sozialdemokratischer Betätigung den Heimatort verlassen muss. Die Familie zieht nach Kiel, wo der Vater als Bierwagenkutscher bei einer Brauerei Anstellung findet. Der geringe Lohn reicht jedoch nicht aus, die Familie zu ernähren. Die Mutter ist gezwungen, mit zu verdienen, und die älteste Tochter Emma muss ihre zehn jüngeren Geschwister versorgen.
Als sie mit 14 Jahren die Schule verlässt, geht sie in Stellung zu einem Müller in Böhnhusen. Da der Müller keine Knechte halten kann, muss Emma, die Dienstmagd, alle im Betrieb vorkommenden Arbeiten verrichten und unter widrigen Bedingungen hart arbeiten, auch in der Nacht. Der Müller weiß die Abhängigkeit des Mädchens gnadenlos auszunutzen; es kommt überdies zu Vergewaltigungen. Zwei Jahre lang bleibt Emma dort, zuletzt als Hausgehilfin.
Wenig später lernt sie ihren Mann kennen; Emma ist 18 Jahre alt, als die beiden heiraten und bald darauf nach Kiel ziehen. Die Eheleute werden fast 60 Jahre lang gemeinsam durchs Leben gehen.
In den ersten Jahren ist Emma Sorgenfrei alleine für den Unterhalt der Familie zuständig, da ihr Mann nach kurzer Zeit arbeitslos wird. Später findet er Beschäftigung in der Eiche-Brauerei, wo er 40 Jahre in Lohn bleibt. Emma und ihr Mann haben fünf Kinder zu versorgen. Sie arbeitet bei Nässe und Kälte in Brauereien, reinigt Treppenhäuser gegen Mietfreiheit, wäscht für andere Leute und trägt Milch aus.
Ab 1907 ist Emma Sorgenfrei Mitglied im Bildungsverein für Frauen und Mädchen. Sie hört sich mit großem Interesse Vorträge an, die von den Arbeitersekretären gehalten werden. Beide Eheleute treten der SPD bei und werden auch Mitglied der Gewerkschaft. Emma kümmert sich nebenher um die Kassierung der SPD-Mitgliedsbeiträge, ihr Mann ist als Vertrauensmann in der Nahrungs- und Getränke-Arbeitergewerkschaft tätig.
Zusammen mit anderen Frauen wirbt Emma unermüdlich für die Sozialdemokratische Partei. Kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges wird ihr Mann eingezogen. Wieder muss Emma Sorgenfrei die Familie allein durchbringen.
Ab 1914 trägt sie die sozialdemokratische Volkszeitung aus, die 1933 von den Nationalsozialisten verboten wird. Zunächst hält Emma Sorgenfrei noch einige Ausgaben in Gartenbuden und Kellern versteckt. Als sie denunziert wird und die Kellerverstecke von der Gestapo durchsucht werden, kann sie rechtzeitig mitsamt den Zeitungen entkommen und so der Verhaftung durch die Nazis entgehen.
Neben der Erwerbsarbeit setzt sich Emma Sorgenfrei aktiv in der Gewerkschaft ein. Sie wird Betriebsratsmitglied und nimmt am Unterricht für das Betriebsrätegesetz sowie an sozialpolitischen Vorträgen teil, um die vielfältigen Anliegen ihrer Kolleginnen fachkundig unterstützen zu können. Arbeitgeber konfrontiert sie energisch und hartnäckig. Sie vertritt die Organisation der Hausangestellten und kämpft mit großem Erfolg um die berufliche Anerkennung dieser Tätigkeit.
Schon während der Novemberrevolution 1918/1919 ist Emma Sorgenfrei aktives Mitglied des Arbeitersamariterbundes, in dessen Auftrag sie bis zu seiner Auflösung durch die Nazis 1933 vielfältige soziale Dienste leistet. Nach Gründung der Arbeiterwohlfahrt 1921 tritt sie auch dieser Organisation bei.
Trotz eigener großer Familie und Aktivitäten in der Gewerkschaft beteiligt sich Emma Sorgenfrei an der sozialen Fürsorgearbeit vor allem im Arbeitermilieu und am Kampf um gerechte Arbeitsbedingungen.
Außerdem übernimmt sie Aufgaben als Schöffin und Geschworene, arbeitet im Betreuungsbereich der Kinderschutzkommission und ist lange Zeit die einzige Frau im Vorstand der Ortskrankenkasse.
Durch den Vorsitz der SPD-Frauengruppe im Distrikt Kiel-Süd ist sie vorübergehend auch Mitglied des zentralen SPD-Frauenvorstandes in Kiel. Als Mitarbeiterin der Kinderschutzkommission organisiert und gestaltet sie einfühlsam Ferien für Kinder aus armen Familien. Ganz besonders widmet sich Emma Sorgenfrei den Schutzaufsichten für junge Menschen, übernimmt Pflegschaften für Gebrechliche und arbeitet auch als freiwillige Mitarbeiterin im Jugendamt.
Die ganze Bandbreite ihres Einsatzes geschieht auf ehrenamtlicher Basis.
Emma Sorgenfrei stirbt am 14. Dezember 1973 in Kiel im Alter von 87 Jahren.
(aus: Nicole Schultheiß: "Geht nicht gibt's nicht ..."
24 Portraits herausragender Frauen aus der Kieler Stadtgeschichte. Kiel 2007)
2009 beschloss die Ratsversammlung, im Neubaugebiet Steenbeker Weg Straßen nach herausragenden Kieler Frauen zu benennen. Eine von ihnen war Emma Sorgenfrei als "Kämpferin um gerechte Lebens- und Arbeitsbedingungen". Die Straße ist bisher allerdings noch nicht gebaut.
2012 wurde das neu gestaltete Eingangs- und Veranstaltungsforum des Gewerkschaftshauses an der Legienstraße zur Erinnerung an eine vorbildhafte Gewerkschafterin "Emma-Sorgenfrei-Forum" getauft.