D. Anna Sophie Paulsen

Foto Anna Sophie Paulsen
Anna Sophie Paulsen, Foto: Nordelb. Kirchenarchiv 91, Nr. 131

Geboren am 29. März 1893 in Hoirup/Nordschleswig

Die evangelische Theologin gilt als Vorreiterin auf dem Weg von Frauen in das damals ausschließlich männlich besetzte Pfarramt und als Wegbereiterin für Frauen in die wissenschaftliche Forschung und Leitungsverantwortung innerhalb der Kirche.

Beide Bereiche dokumentiert Anna Sophie Paulsen mit Veröffentlichungen, wie z. B. "Der Dienst der Frau in den Ämtern der Kirche" beziehungsweise im Sektor Forschung mit Werken über den Theologen und Philosophen Sören Kierkegaard.

Anna Paulsen wächst als älteste von vier Töchtern in einer Pastorenfamilie in Ballum, einer rein dänischsprachigen Gemeinde, auf. 1904 stirbt der Vater überraschend, und die Familie zieht nach Tondern um. Anna verwindet den frühen Tod ihres Vaters nie. Ungeachtet ihres kindlichen Alters hatte er mit ihr über theologische und weltanschauliche Fragen diskutiert und ihre Wissbegierde, insbesondere an den Werken des protestantischen Theologen und Philosophen Sören Kierkegaard, geweckt.

Nach dem Besuch der Höheren Töchterschule in Tondern und einer Lehrerausbildung in Schleswig holt Anna Paulsen die Abiturprüfung an einem Hamburger Gymnasium nach, um sich den lang gehegten Wunsch eines Theologiestudiums erfüllen zu können. Vorerst arbeitet sie drei Jahre lang als Hauslehrerin in einem Pastorenhaushalt.

1916 beginnt Anna Paulsen in Kiel mit dem Studium der Fächer Deutsch, Geschichte und Religion für das höhere Lehramt. Ein Vollstudium der Theologie erscheint zunächst sinnlos, da die Kirche damals Frauen noch kein Predigeramt zubilligt. Zum Wintersemester 1917 entscheidet sie sich dann doch für das Studium der Theologie und wechselt an die Universität Tübingen. Hier leitet sie auch die Deutsche Christliche Vereinigung studierender Frauen.

Wenig später führt Anna Paulsen das begonnene Theologiestudium in Münster fort; 1920 kehrt sie an die Universität Kiel zurück, wo sie 1921 das theologische Fakultätsexamen ablegt.

Da Frauen die kirchliche Abschlussprüfung immer noch versagt ist, entscheidet sich Anna Paulsen für die Promotion, um so zu einem vollgültigen Abschluss zu gelangen. Sie arbeitet als Dozentin im Haus der Morgenländischen Frauenmission in Berlin, um die Promotion zu finanzieren. In einjährigen Kursen bildet sie Katechetinnen für den kirchlichen Dienst aus. Diese Kurse stellen eine Vorform der späteren Gemeindehelferinnenausbildung dar.

Im Jahr 1924 wird Anna Paulsen von der Kieler Universität das theologische Lizentiat verliehen. Sie ist damit die erste Frau an der Theologischen Fakultät Kiel, die diesen Titel erhält. (Der Titel lic. wird später in einen Doktorgrad der Theologie umgewandelt.) Doch auch das Doktorat öffnet ihr keineswegs den Zutritt zum Predigeramt, das ihren beruflichen Vorstellungen am ehesten entspricht.

Anna Paulsen ist die sechste Frau in Deutschland, die in Theologie promoviert; ein kirchliches Amt für eine Theologin ist nach wie vor noch nicht zugelassen. 1925 wird Anna Paulsen an das Burckhardthaus in Berlin-Dahlem zur Mitbegründung einer Bibelschule berufen, einer der ersten Ausbildungsstätten für Gemeindehelferinnen. Wenig später übernimmt sie gemeinsam mit Pastor Wilhelm Thiele die Leitung der Bibel- und Jugendschule – Seminar für kirchlichen Frauendienst und arbeitet dort parallel als Dozentin für das Fach Altes Testament.

Anna Paulsens Wunsch nach voll anerkannter Mitarbeit von Frauen in der Kirche entspringt ihrem christlichen Grundverständnis von menschlicher Verantwortung und Vermittlung des christlichen Glaubens. Verständlicherweise ergibt sich aus letzterem die Notwendigkeit einer Zulassung von Frauen für das Predigeramt, damit auch sie den Verkündigungsauftrag der Kirche wahrnehmen und erfüllen können.

Aus den Überlegungen über die Stellung der Frau im Alten und Neuen Testament sollen Konsequenzen für die gegenwärtige Situation der Frauen erwachsen, wobei Anna Paulsen insbesondere für eine Veränderung des Berufsbildes der Theologin und Gemeindehelferin kämpft. Sie spricht sich für ein öffentliches Handeln und Auftreten von Frauen aus, in das auch das Predigeramt der Kirche eingeschlossen sein soll. 1935 veröffentlicht sie ihr erstes Buch zu diesem Themenkomplex mit dem Titel Mutter und Magd – Das biblische Wort über die Frau.

Eine Frau am Schreibtisch
Anna Paulsen 1928 in ihrer Berliner Wohnung, Foto: Nordelb. Kirchenarchiv 91, Nr. 135

Während der Zeit des Nationalsozialismus leitet Anna Paulsen die Bibelschule weiter, betont die Verantwortung der Frau in politischen Umbruchsituationen und übt Kritik an der Mutterideologie der Nationalsozialisten. Sie schließt sich der Bekennenden Kirche in der Gemeinde von Martin Niemöller an, streitet für die Ordination von Theologinnen und setzt sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Vikarinnen ein.

Als die Gestapo Anna Paulsen dienstverpflichten will, um sie aus der Bibelschule zu entfernen, gelingt es einer Mitarbeiterin im Kirchenministerium, dies zu verhindern. Einzelnen aktiven KämpferInnen im Untergrund bietet die Bibelschule Burckhardthaus während der Naziherrschaft Unterschlupf. Bis 1945 leitet Anna Paulsen dort das Seminar für kirchlichen Frauendienst. Wegen der zunehmenden Bombenangriffe zieht sie 1945 zu ihrer Familie nach Schleswig.

Kurz nach Kriegsende wird Anna Paulsen Mitbegründerin der Kirchlichen Schule in Kiel, einer evangelischen Akademie, welche den StudentInnen bereits im Sommersemester 1945 Vorlesungen anbieten kann, als die Universität Kiel noch geschlossen ist. Nicht zuletzt wegen dieser Lehrtätigkeit verleiht ihr die Theologische Fakultät Kiel 1953 den Ehrendoktortitel. Anna Paulsen widmet sich nun ausgiebig den Werken Kierkegaards, ihrem zweiten großen Forschungsfeld.

1951 wird sie in die Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nach Hannover berufen. Man überträgt ihr die Leitung des Frauenreferats, das sie von 1951- 58 neu aufbaut. Es geht um Richtlinien für die Ämter der Frau in der Kirche im Allgemeinen und um den Dienst der Theologin im Besonderen. In dieser Funktion veröffentlicht sie drei Bände zum Thema Der Dienst der Frau in den Ämtern der Kirche. Außerdem wird sie Mitglied einer Studienkommission der EKD zur Reform des Ehe- und Familienrechts.

Zum 100. Todestag Kierkegaards veröffentlicht Anna Paulsen 1955 eine ausführliche Biographie mit dem Titel: Sören Kierkegaard – Deuter unserer Existenz, die weite Anerkennung findet. 1958 geht Anna Paulsen in den Ruhestand.

Ihr Werk Aufbruch der Frauen zum Thema ‚Zusammenführung der Frauenbewegung und Frauendiakonie’ entsteht 1964. Im Jahr 1973 erscheint ihr zweites Buch über Sören Kierkegaard, Menschsein heute – Analysen aus Reden Sören Kierkegaards, in dem sie Kierkegaards Schriften erläutert und deutet, so dass sie auch theologischen Laien verständlich werden.

1980 zieht Anna Paulsen nach Heide. Sie stirbt dort am 30. Januar 1981 im Alter von 87 Jahren in einem Pflegeheim.

In Kiel erinnert heute das Archiv der Nordelbischen Kirche an sie: Es verwahrt den Nachlass Anna Paulsens, und das Gebäude trägt den Namen Anna-Paulsen-Haus.

 

(aus: Nicole Schultheiß: "Geht nicht gibt's nicht ..."
24 Portraits herausragender Frauen aus der Kieler Stadtgeschichte. Kiel 2007)