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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung - 0644/2020

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Beratungsfolge

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Antrag

 

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Sachverhalt/Begründung

Ausgangslage:

Am 24. Juni 2020 hat die mündliche Verhandlung beim 5. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) stattgefunden, bei der über die Klage der Deutschen Umwelthilfe wegen der Fortschreibung des Luftreinhalteplans Kiel entschieden wurde. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte unter dem 27. November 2017 eine Klage eingereicht und sinngemäß beantragt, das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (MELUND) zu verpflichten, den für die Landeshauptstadt Kiel geltenden Luftreinhalteplan zu ändern. Der Luftreinhalteplan wurde während der Zeitdauer des Verfahrens fortgeschrieben. In den letzten Schriftsätzen der DUH zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung wurden diverse Ansätze im fortgeschriebenen Luftreinhalteplan kritisiert. Beklagte ist das Land Schleswig-Holstein, vertreten durch das MELUND als aufstellende Behörde. Die Landeshauptstadt Kiel hat als Beigeladene den Prozess begleitet, da sie Hauptadressat des Luftreinhalteplans ist und von dem Urteil somit direkt betroffen ist.

Klagegegenstand ist die Fortschreibung des Luftreinhalteplans Kiel, über die die Verwaltung mit der Drs. 0075/2020 berichtet hat.

Urteilstenor

Seit dem 20. Juli 2020 liegt die schriftliche Urteilsbegründung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vor. Die Angriffe der Deutschen Umwelthilfe wurden in wesentlichen Teilen zurückgewiesen.

Allerdings hat das Gericht hinsichtlich der städtischen Maßnahmen aus dem Green-City-Plan gerügt, dass die Minderungswirkung der einzelnen Maßnahmen nicht hinreichend plausibilisiert wurden. Darüber hinaus ist das Gericht der Auffassung, dass der Luftreinhalteplan an einem weiteren Prognosemangel leide, weil das MELUND seine Prognose bezüglich der Minderungswirkung der Luftfilteranlage auf ein Gutachten gestützt habe, dass diese Minderungswirkung nicht hinreichend bestätige.

Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hat am 24. Juni 2020 entschieden, dass das MELUND den Luftreinhalteplan unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu ändern habe. Das Gericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

 

Zusammenfassende Darstellung und Bewertung des Urteils

Das Gericht kritisiert, dass die aktuelle Fassung des Luftreinhalteplans auf einer mangelhaften Prognose beruht. Insbesondere bemängelt das Gericht die Prognosen zur Wirksamkeit der Maßnahmen zur Senkung des städtischen Anteils der Hintergrundbelastung (siehe a)) und zur Wirksamkeit der Maßnahme Luftfilteranlage (siehe b)).

a)        Die Berücksichtigung eines weiteren Rückgangs der Stickstoffdioxid-Hintergrundbelastung in Kiel um jeweils 0,3 µg/m³r die Jahre 2020 und 2021 sei nicht nachvollziehbar begründet. Das Gericht erwartet eine konkrete Benennung, welchen Maßnahmen welche kleinteiligen Beiträge zugeschrieben werden, die sich dann insgesamt zu einer jährlichen Minderung von 0,3 µg/m³ aufaddieren.

 

Bewertung

Aus Sicht der Stadtverwaltung kann dieser Mangel kurzfristig behoben werden. Aus den prozessleitenden Fragen des Gerichtes wurde im Vorhinein nicht deutlich, dass diese Prognose problematisiert wird. Die Verwaltung hat eine detaillierte Liste mit den Maßnahmen des Green-City-Plans und weiterer städtischer Minderungsmaßnahmen zusammengestellt (Anlage 1). In der Liste wurden weiterhin der Umsetzungsstand sowie der finanzielle Aufwand dargelegt. Zum Teil konnten auch Abschätzungen zum Stickoxidminderungspotential vorgenommen werden. Aus Sicht der Verwaltung ist die Prognose schlüssig begründbar und konservativ geschätzt.

Im Übrigen ist die Minderung aus dem Green-City-Plan zur Erreichung des Grenzwertes in der Prognose des Luftreinhalteplans nicht entscheidend. Selbst wenn die Hintergrundbelastung in den Jahren 2020 und 2021 nicht um 0,3 µg/m³ sinkt, könnte der Grenzwert laut der vorliegenden Prognose eingehalten werden, sofern die Luftfilteranlage die ihr zugeschriebene Minderungswirkung hat.

b)        In den Prognosen des Luftreinhalteplans wird davon ausgegangen, dass die Luftfilteranlage an der gesamten Häuserfront am Theodor-Heuss-Ring (Nr. 61 79) eine Stickoxidminderung von ca. 20 % in 1,5 m Höhe und 10 % in 5 m Höhe gewährleistet. Das Gericht hält diese Prognose für fehlerhaft. Das Gericht bezieht sich in seiner Beurteilung auf den Sachstand, der ihm zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorlag.

Das Gericht begründet seine Auffassung damit, dass weder Erfahrungswerte noch Gutachten in die Prognoseentscheidung des MELUND eingeflossen seien, die die Annahme einer solchen Minderungsleistung über die gesamte Häuserfront rechtfertigen könnten.

Das im Rahmen der mündlichen Verhandlung dem Gericht vorgelegte und erst nach Aufstellung des Luftreinhalteplans erstellte aktuelle Gutachten der Firma Purevento GmbH habe das MELUND zum einen nicht in seine Prognose (nachträglich) eingestellt und dieses sei zum anderen nicht geeignet, den Prognosemangel zu heilen. Die gutachterliche Bestätigung der Richtigkeit der Berechnungen falle zu schwach aus. Das Gericht kritisiert, dass offenbleibe, ob ein Sachverständiger mit eigenen, unabhängigen und nicht zielgerichteten Simulationen zu denselben Ergebnissen kommen würde.

Seitens der Stadt wurden im Laufe der Verhandlung Beweisanträge gestellt, welche die Minderungsleistung der Luftfilteranlage nachweisen sollten. Diese wurden jedoch vom Gericht abgewiesen.

Bewertung

Die Argumentation des Gerichtes ist nur in Teilen nachvollziehbar. Vor Erlass des Luftreinhalteplans waren von der Landeshauptstadt Kiel und dem MELUND alle bis dato an die Stadt herangetretenen Anbieter aufgefordert worden, ein Wirkungsgutachten für ihre Luftfilteranlage für den Theodor-Heuss-Ring vorzulegen. Von zwei Anbietern wurden Gutachten zeitgerecht vorgelegt. Beide hatten mit dem Ingenieurbüro Lohmeyer den gleichen Gutachter beauftragt. Die Gutachten wurden in einem Gesprächstermin mit MELUND und Stadt sowie den beiden Anbietern am 17. Dezember 2019 vom Fachgutachter vorgestellt und gemeinsam besprochen. Es stellte sich heraus, dass die gutachterlichen Ergebnisse zwar eine Minderungswirkung im Mittel von über 20 % annahmen, allerdings nicht über die gesamte Häuserfront. Dies wurde von den Beteiligten als Problem erkannt und insbesondere vom Gutachterbüro Lohmeyer Vorschläge unterbreitet, wie durch modifizierte Luftfilteranlagen das Problem behoben werden kann. Über einen geänderten Lüftungsauslass, so der Vorschlag des Gutachters, kann an allen Stellen der gesamten Häuserfront die erforderliche Minderungswirkung erreicht werden. Auch dem dritten Anbieter, der kurzfristig sein Gutachten am 16. Dezember 2019 eingereicht hatte, wurde diese Information nach dem Gespräch übermittelt.

Die vom MELUND angestellte Prognose basierte daher nicht allein auf den Wirkungsgutachten vom Dezember 2019; vielmehr wurden weitere Erkenntnisse in die Prognose einbezogen. Dies wurde vom Gericht jedoch nicht hinreichend gewürdigt. Um sicherzugehen, dass die glaubhaften Bekundungen der Hersteller und des Gutachters zutreffen, war der Nachweis der Leistungsfähigkeit im Rahmen der Vergabe zu erbringen. Dass die Firma Purevento davon überzeugt ist, die Minderungsleistung zu erreichen, ergibt sich allein schon daraus, dass diese bereit war, eine Vertragsstrafe zu akzeptieren, sollte die geschuldete Minderungsleistung nicht erreicht werden. Nach unserer Überzeugung wurde durch ein Gutachten der Firma Purevento dieser Nachweis erbracht. Dieses Gutachten enthält eine Stellungnahme des Ingenieurbüros Lohmeyer, welche die Annahmen des Gutachtens bestätigt. Die Stadt hat sich darüber hinaus auch persönlich mit dem Gutachter ausgetauscht, um letzte Zweifel auszuräumen. Die ausreichende Minderungsleistung wurde durch eine Modifikation des Luftauslasses erreicht, die nunmehr in der Lage ist, die saubere Luft auf die gesamte Häuserfront zu leiten.

Das Gericht zieht die Luftfilteranlage als mögliche Maßnahme im Luftreinhalteplan nicht grundsätzlich in Zweifel. Vielmehr stellt es den formalen Mangel in den Vordergrund, dass für die Prognoseannahme zum Zeitpunkt der Erstellung des Luftreinhalteplans noch keine ausreichenden Grundlagen vorlagen. Das nachträgliche Gutachten sei nicht in eine (aktualisierte) Prognose des MELUND einbezogen worden und es handele sich um ein Firmengutachten, das nicht in der Lage sei, die Zweifel des ursprünglichen Gutachtens auszuräumen.

Die Wirksamkeit der Luftfilteranlagerfte jedoch zeitnah, spätestens bis zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans gutachterlich nachgewiesen werden können und es werden erste Erfahrungswerte vorliegen.

 

Schlussfolgerungen des OVG

Aus den Kritikpunkten schließt das Gericht, dass das MELUND den Luftreinhalteplan fortschreiben muss und dabei die Rechtsauffassung des Gerichts zu berücksichtigen hat und hat folgende Schlussfolgerungen gezogen:

-          Die im Luftreinhalteplan prognostizierten Minderungswirkungen der Green-City-Plan-Maßnahmen und der Luftfilteranlage sind entweder herauszurechnen oder mit einer begründeten Prognoseentscheidung zu hinterlegen.

-          Die Auswirkungen der Filteranlage in Bezug auf die Luftströme auf dem Geh- und Radweg sowie in Bezug auf die Lärmentwicklung sind im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit und Angemessenheit zu prüfen.

-          Die Neuplanung hat zügig zu erfolgen.

-          Die Rechtswidrigkeit des Luftreinhalteplans hat jedoch nicht dessen Nichtigkeit oder Unwirksamkeit zur Folge. Die nicht beanstandeten Teile finden weiterhin Anwendung. Da jedoch eine Revision zugelassen wurde, entfaltet das OVG-Urteil keinerlei bindende Wirkung, bis über die Revision entschieden wurde.

 

Erläuterung der weiteren Schritte

Die Landeshauptstadt Kiel wird in dem beschriebenen Verfahren Revision einlegen. Der Senat des Oberverwaltungsgerichtes hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die grundsätzliche Bedeutung ergibt sich laut OVG im Hinblick auf die Frage, ob das Gericht verpflichtet ist, den Beweisanträgen eines Beteiligten nachzugehen, die darauf abzielen, nachträglich einen Prognosemangel des Beklagten (MELUND) beim Aufstellen eines Luftreinhalteplans zu heilen. Das Oberverwaltungsgericht gibt mit der Zulassung der Revision zu verstehen, dass es seine Entscheidung auf einen Rechtssatz stützt, der höchstrichterlich noch klärungsbedürftig ist.

Die Revision ist ein rein auf Rechtsfragen und nicht auf eine inhaltliche Prüfung beschränktes Rechtsmittel. Die Verwaltung sieht zusätzliche Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Revision und erarbeitet derzeit gemeinsam mit der beauftragten Kanzlei die Begründung für die Revision und wird diese fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils (20. August 2020) einlegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats begründen. Mit einer Terminierung des Revisionsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht wird aller Erfahrung nach erst im kommenden Jahr gerechnet. Zwar wird das Bundesverwaltungsgericht die Eilbedürftigkeit des Verfahrens erkennen, es ist jedoch voraussichtlich nicht vor dem Frühsommer 2021 mit einer Entscheidung zu rechnen.

Die Verwaltung hat sich der Kritikpunkte des Gerichtes unabhängig davon, ob sie als begründet angesehen werden, bereits angenommen und bearbeitet parallel die nachfolgenden Fragestellungen:

-          Eine aktuelle Liste über die Green-City-Plan-Maßnahmen der Landeshauptstadt Kiel liegt als Anlage bei. Die Wirkungspotentiale sollen mit dem Umweltministerium besprochen werden und ein transparenter Nachweis über das Minderungspotential der überarbeiteten Fassung des Luftreinhalteplans zugrunde gelegt werden.

-          Die Aufstellung der Luftfilteranlage wurde nach dem Vergabebeschluss beauftragt und die Anlage befindet sich in der Herstellung. Mit dem Luftfilterhersteller Purevento GmbH hat nach dem Gerichtsurteil bereits ein intensiver Austausch stattgefunden. Sowohl die Kritikpunkte des Gerichtes zum gutachterlichen Nachweis der Wirksamkeit als auch Lärm- und Abluftfragen werden bearbeitet. Die gewonnenen Erkenntnisse geben derzeit keinen Anlass, die Luftfilteranlage nicht wie geplant im Oktober am Theodor-Heuss-Ring in Betrieb zu nehmen.

-          Die Verwaltung bemüht sich derzeit, das weitere Verfahren mit dem Umweltministerium abzustimmen. Hierbei geht es um die Frage, ob sich das Land der Revision anschließt und wie parallel die Überarbeitung des Luftreinhalteplans angegangen wird. In den Fachausschüssen kann der aktuelle Stand jeweils erläutert werden.

 

Ausblick

Der NO2-Mittelwert liegt im bisherigen Jahresverlauf weiter unter dem für das Jahr 2020 prognostizierten Mittelwert. Der prognostizierte Jahresmittelwert im Nullszenario liegt bis einschließlich Juli unter Einbeziehung der Baustelle bei 43,0 µg/m³. Der real gemessene Wert beträgt bis einschließlich Juli 36,4 µg/m³. Im Juli, einem Monat mit regelmäßig relativ hohen Stickoxidkonzentrationen, wurde eine Stickstoffdioxid-Konzentration im Mittel von lediglich 25,2 µg/m³ gemessen. Insgesamt zeichnet sich immer klarer ab, dass sich die Immissionswerte tatsächlich deutlich günstiger entwickeln als vom MELUND prognostiziert.

Nimmt man den bisher gemessenen Jahresmittelwert von 36,4 µg/m³ und bildet einschließlich der vom MELUND prognostizierten Werte für die Monate August bis Dezember einen Jahresmittelwert ohne die Luftfilteranlage einzubeziehen, so wird rechnerisch ein Jahresmittelwert von 38,0 µg/m³ erreicht.

Dementsprechend ist zu erwarten, dass auch ohne die Aufstellung der Luftfilteranlage der Grenzwert von 40 µg/ im Jahresmittel 2020 unterschritten wird und Fahrverborte nicht zu verordnen sind.

 

 

 

 

 

 

Doris Grondke

Stadträtin für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt

 

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Anlagen

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