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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung - 1161/2020

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Beratungsfolge

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Antrag

 

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Sachverhalt/Begründung

 

Am 21.03.2019 hat die Ratsversammlung folgenden Beschluss gefasst:

 

Der Oberbürgermeister wird darin unterstützt, bei allen Maßnahmen der Wohnungsbau- und

Stadtentwicklungspolitik die Schaffung von barrierefreiem Wohnraum voranzutreiben.

Über die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben hinaus sollen im Rahmen der

Flächenmobilisierung und -entwicklung im Wohnungsbau durch die kostenfreie

Beratungsstelle Barrierefreies Bauen Anreize geboten werden, mehr Wohnraum für

Menschen mit Behinderung zu schaffen. Hierbei geht es um alle Wohnraumformen: sowohl

sozial gefördert als auch nicht, sowohl zur Miete als auch im Eigentum, sowohl im Neubau

als auch im Bestand.

 

Zur Beförderung barrierefreien Bauens können einerseits unterstützende Maßnahmen (durch Beratung und finanzielle Förderung), andererseits verbindliche Vorgaben (durch Bauleitplanung) eingesetzt werden.

 

1. Beratung und Förderung

 

Die Beratung durch die Beratungsstelle Barrierefreies Bauen erfolgt in der Regel im Vorfeld eines Bauantrages oder im laufenden Baugenehmigungsverfahren durch Abgabe einer Stellungnahme.

 

Grundlagen für die Beratung sind die gesetzlichen Regelungen der Landesbauordnung Schleswig-Holstein in der jeweils geltenden Fassung sowie die Bestimmungen der DIN-Normen, die als Technische Baubestimmungen verbindlich anzuwenden sind. Anzumerken ist jedoch, dass die für den Wohnungsbau anzuwendende DIN 18040-2 nicht voll umfänglich als Technische Baubestimmung festgeschrieben ist. Im Amtsblatt von Schleswig-Holstein 2012, Ausgabe 16.07.2012, Nr. 29 wird zur DIN 18040-2 folgendes geschrieben:

 

Die Einführung bezieht sich auf Wohnungen, soweit sie nach § 52 Abs. 1 LBO barrierefrei sein müssen……. Bei der Anwendung der Technischen Baubestimmung ist Folgendes zu beachten:

 

  1. Die Abschnitte 4.3.6 (Treppen) und 4.4 (Warnen / Orientieren / Informieren / Leiten) sowie alle Anforderungen mit der Kennzeichnung R (d.h. barrierefrei und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar) sind von der Einführung ausgenommen.“

 

In der LBO SH heißt es in dem § 52 LBO Barrierefreies Bauen in Absatz 1:

In Gebäuden mit mehr als 2 Wohnungen müssen die Wohnungen mindestens eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein………“

 

Aufgrund dieser Formulierung wird deutlich, dass hier kleinere Mehrfamilienhäuser im Vergleich zu Mehrfamilienhäusern mit mehreren Stockwerken benachteiligt werden. Zum Bespiel muss ein 3-Spänner mit 2 Vollgeschossen, 3 barrierefreie Wohnungen vorhalten, ebenso ein 3-Spänner mit 7 Vollgeschossen. Hier wäre eine prozentuale Forderung nach zu schaffenden barrierefreien Wohnungen zielorientierter.

 

Seitens der Landeshauptstadt Kiel sind schon diverse Anstöße gegenüber der Landesverwaltung erfolgt mit dem Ziel, bei der nächsten Novellierung der Landesbauordnung Schleswig-Holstein erhöhte Anforderungen an den Bau von barrierefreien Wohnungen oder auch eine Verpflichtung für den Bau von uneingeschränkt rollstuhlgerechtem Wohnraum vorzusehen.

 

Der Bau von sogenannten R-Wohnungen (uneingeschränkt rollstuhlgerecht) ist gegenwärtig rechtlich nicht durchsetzbar. Wenn zum Beispiel - wie in Kieler aktuellen Bauprojekten - dennoch R-Wohnungen geschaffen werden, ist dies nur durch eine beharrliche, konsequente Gesprächsführung und Verhandlung mit Investor*innen erreicht worden.

 

Allein hieran wird deutlich, dass der Leitgedanke des Barrierefreien Bauens bereits fest im Dezernat für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt verankert ist und gelebt wird. In jedem Gespräch mit Investor*innen, in jeder Bauberatung vertreten alle Mitarbeiter*innen der Bauaufsichtsbehörde diese Philosophie und beraten dahingehend. Der Erfolg der bereits geschaffenen barrierefreien und auch rollstuhlgerechten Wohnungen ist das Ergebnis dieses Leitgedankens.

 

Selbstverständlich wird auch in Zukunft bei jeder Novellierung der Landesbauordnung darauf gedrungen, die Verpflichtung zum Bau von R-Wohnungen gesetzlich verpflichtend mit aufzunehmen, ebenso wie eine prozentuale Festschreibung der barrierefreien Wohnungen.

 

In dem Beschluss heißt es weiterhin, dass durch die Beratungsstelle Anreize zur Schaffung barrierefreien Wohnraums geboten werden sollen. Dies kann meist nur durch monetäre Förderung erreicht werden. Der Beratungsstelle ist allerdings nicht ein frei verfügbarer Fördertopf angegliedert; vielmehr kann hier nur auf die aktuelle Förderkulisse verwiesen werden.

Jedoch liegt die Entscheidung über die Förderfähigkeit der Baumaßnahme nicht in den Händen der Landeshauptstadt Kiel.

 

Exemplarisch können hier folgenderderprogramme genannt werden:

 

KFW-Kredit Nr. 159: Altersgerechte Umbauten

 

rdersumme bis zu 50.000 €, unabhängig vom Alter der Antragsteller*in

  • gefördert werden Modernisierungsmaßnahmen, mit denen Barrieren reduziert werden sollen, dazu gehört z.B. Wege zum Gebäude und Wohnumfeldmaßnahmen
  • Schaffung von barrierefreien Stellplätzen, Abstellplätze für Rollatoren / Rollstühle nebst deren Überdachung
  • Abbau von Barrieren im Eingangsbereich und bei Wohnungszugängen
  • Überwindung von Treppen und Stufen durch Einbau, Nachrüstung und Verbesserung von Aufzugsanlagen oder Einbau von Rampen zur Überwindung von Barrieren
  • Anpassung der Raumaufteilung und Schwellenabbau z.B. durch Verbreiterung von Türdurchgängen, Schwellenabbau, Änderung des Raumzuschnitts von Wohn- und Schlafräumen, Bädern und Küchen
  • Badumbau, z.B. Einbau oder Erweiterung von baugebundenen altersgerechten Assistenzsystemen, baugebundene Not,-Ruf- und Unterstützungssysteme usw.
  • Beim Ersterwerb von modernisiertem Wohnraum werden die Kosten der Barriere reduzierenden Umbaumaßnahmen gefördert, wenn diese im Kaufvertrag gesondert ausgewiesen sind

 

KFW-Zuschuss Nr. 455 B

 

rdersumme bis zu 6.250 €, unabhängig vom Alter der Antragsteller*in

  • gefördert werden Einzelmaßnahmen zur Barrierereduzierung
  • Umbaumaßnahmen zum Standard Altersgerechtes Haus
  • Kauf von barrierefrei umgebautem Wohnraum

 

Wer wird gefördert?

 

  • Privatpersonen, unabhängig vom Alter, Eigentümer*in eines 1-2 Familienwohnhauses mit max. 2 Wohneinheiten
  • Ersterwerber*innen einer sanierten Immobilie
  • Wohnungseigentumsgemeinschaften aus Privatpersonen
  • Mieter*innen, sofern sie mit dem Eigentümer*in eine Modernisierungsvereinbarung abgeschlossen haben

 

Wo wird beantragt?

 

  • Direkt im KfW-Zuschussportal

 

Bund: Programm 432

 

Der Bund fördert über das Programm 432 Energetische Quartierskonzepte, in die auch Maßnahmen zur Barrierefreiheit eingebettet werden können.

 

Wer wird gefördert?

 

Kommunale Gebietskörperschaften sowie deren rechtlich unselbständige Eigenbetriebe. Die Antragsteller*innen sind berechtigt, unter bestimmten Voraussetzung Mittel an Dritte weiterzuleiten.
 

Von diesem Programm ist in der Landeshauptstadt Kiel schon mehrfach Gebrauch gemacht worden. Bei insgesamt 7 Förderanträgen für die Konzepterstellung für Energie-Quartiere im KFW-Programm 432 „Energetische Stadtsanierung - Zuschüsse für Quartierskonzepte und Sanierungsmanager“ hat das Umweltschutzamt in 4 Fällen die Mittel an Dritte weitergeleitet.

 

Land: Soziale Wohnraumförderung

 

Gesetz über die Wohnraumförderung in Schleswig-Holstein (SHWoFG vom 25.April 2009, i.d.F. vom 15.09.2020)

Das Land Schleswig-Holstein fördert über die Soziale Wohnraumförderung das barrierefreie Bauen im Neubau und im Bestand, sofern mietpreisgebundener Wohnraum geschaffen wird.

 

Land: Programm für kleine Vermieter*innen und Selbstnutzer*innen

 

Über das Programm für kleine Vermieter*innen und Selbstnutzer*innen werden niederschwellige Maßnahmen im Bestand gefördert (einfaches Antragsverfahren).

Es werden Vermieter*innen gefördert mit einem Wohnungsbestand von maximal 20 zu vermietenden Wohnungen.

 

Voraussetzung ist, dass das Investitionsvolumen mindestens 5.000 €r jede zu sanierende Wohnung beträgt. Die Immobilie muss in einem der festgelegten Orte liegen (Kiel ist in der Liste aufgeführt).

Antragsunterlagen sind beim Verein Haus und Grund, dem Verband Wohnungseigentum oder der IB.SH erhältlich.

 

Bund / Pflegekassen:

 

Bei vorhandener Pflegestufe gibt es den Zuschuss für Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen über die Pflegekasse.

 

2. Bauleitplanung

 

Die Wohnbedürfnisse behinderter Menschen gehören zu den städtebaulich relevanten Belangen, die in die gemeindliche Bauleitplanung einfließen sollen: Gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB sind u.a. zu berücksichtigen „die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere die Bedürfnisse der Familien, der jungen, alten und behinderten Menschen.“ Entsprechende Regelungen können daher grundsätzlich in Bebauungspläne, Satzungen und städtebauliche Verträge aufgenommen werden.

 

So können Bebauungspläne entsprechende Festsetzungen auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB treffen („einzelne Flächen, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude errichtet werden dürfen, die für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf bestimmt sind“). Nach einschlägiger Rechtsprechung ist dies jedoch nur für beschränkte Teilflächen innerhalb eines Baugebietes und nicht als generelle Vorgabe möglich. Erforderlich hierfür ist der Nachweis einer städtebaulichen Begründung (z.B. erhöhter Bedarf, örtliche, nachzuweisende Versorgungslücke). Des Weiteren sind die Vorgaben eindeutig und abschließend zu benennen, z.B. durch Bezugnahme auf entsprechende Regelwerke (z.B. Technische Baubestimmungen).

 

Vorgaben zu barrierefreiem Bauen können grundsätzlich auch mit städtebaulichen Verträgen umgesetzt werden. Regelungsgehalt dieser Verträge kann nach § 11 Abs. 1 BauGB u. a. die soziale Wohnraumversorgung („Deckung des Wohnbedarfs von Bevölkerungsgruppen mit besonderen Wohnraumversorgungsproblemen“) oder auch durch die städtebauliche Maßnahme (z.B. barrierefreier Umbau einer Verkehrsfläche) entstandenen Folgekosten sein. Nach § 12 Abs. 3 BauGB können im vorhabenbezogenen B-Plan Regelungen getroffen werden, die über die Festsetzungen nach § 9 BauGB und nach der BauNVO hinausgehen. Dabei sind jedoch u.a. das Kausalitätsgebot und das Kopplungsverbot zu beachten. Kausalitätsgebot bedeutet beispielsweise, dass der Regelungsinhalt im Vertrag auch Folge oder Voraussetzung des geplanten Bauvorhabens sein muss. Kopplungsverbot bedeutet, dass städtebauliche Ziele verfolgt werden müssen. Es gilt also auch hier zu prüfen, ob ein entsprechender Bedarf besteht.

 

Explizite Regelungen zur Barrierefreiheit, die über die allgemeinen gesetzlichen Vorgaben hinausgehen, sind daher in der Vergangenheit nur in Einzelfällen in die Bauleitplanung eingeflossen, so im vorhabenbezogenen B-Plan 971 „Hof Hammer“.

 

Fazit: Durch die Instrumente der Bauleitplanung können Regelungen zum barrierefreien Bauen getroffen werden; diese Möglichkeit ist jedoch im Einzelfall stets an den Nachweis eines städtebaulichen Erfordernisses gebunden.

 

Doris Grondke

Stadträtin für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt

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