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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung - 0099/2022

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Beratungsfolge

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Antrag

 

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Sachverhalt/Begründung

 

  1. Zusammenfassung

Mit dieser Geschäftlichen Mitteilung informiert die Verwaltung über den Stand der Bearbeitung des Auftrages der Ratsversammlung zur Errichtung eines Drogenkonsumraumes (21.01.2021 Drs. 1014/2020).

 

Durch die am 15.11.2021 in Kraft getretene Landesverordnung über die Erteilung einer Erlaubnis für den Betrieb von Drogenkonsumräumen hat die Verwaltung nun die gesetzliche Grundlage, bei der obersten Landesgesundheitsbehörde eine Betriebserlaubnis nach § 10a Absatz 1 Satz des Betäubungsmittelgesetzes zu beantragen. Finanzielle Fördermöglichkeiten des Landes sind noch nicht bekannt.

 

Nach umfänglichen Recherchen und Gesprächen mit allen relevanten Expert*innen, die in Verwaltung, Systemen der Drogenberatung, medizinischen Behandlung, Polizei und Selbsthilfe tätig sind, kristallisiert sich heraus, dass die Einrichtung eines oder mehrerer Drogenkonsumräume in Kiel ein weiterer und ergänzender Baustein in der lokalen Drogenhilfearbeit darstellen kann.

 

Um eine abschließenden Vorschlag zur Beschlussfassung unterbreiten zu können, sind in den nächsten Monaten noch weitere Schritte notwendig.

 

  1. Ausgangslage

 

Zum Beschlusszeitpunkt des interfraktionellen Antrags hatte das Land Schleswig-Holstein noch keine gültige Rechtsverordnung zur Erteilung einer Betriebserlaubnis eines Drogenkonsumraums. Daher wurde die Verwaltung beauftragt, bei der Landesregierung nach §10a BtMG für eine*einen Träger*in jene Erlaubnis zu erwirken, die es gestattet, in Kiel einen Drogenkonsumraum zu betreiben.

 

Außerdem wurde die Verwaltung beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem Land und mit Vertreter*innen der Drogenhilfeeinrichtungen in Kiel ein Konzept zur Einrichtung und zum Betrieb eines Drogenkonsumraums sowie dessen Finanzierung zu erarbeiten. Dieses sei dann der Ratsversammlung zur Entscheidung vorzulegen. Es war dabei auch zu prüfen, ob ein Drogenkonsumraum alternativ los sei oder ob Alternativangebote vorgeschlagen werden können.

 

Besondere Berücksichtigung sollten bei der Konzeptentwicklung folgende Punkte finden:

 

  • Die Finanzierung des Drogenkonsumraumes darf nicht auf Kosten anderer Suchthilfeprogramme und einrichtungen geschehen.
  • Zu prüfen ist sowohl die Möglichkeit eines oder mehrerer stationärer Drogenkonsumräume, als auch die Beschaffung eines Drogenkonsummobils.
  • Sowohl intravenöse, als auch inhalative Konsumformen sollen nach Möglichkeit in den Räumlichkeiten möglich sein. Je nach Räumlichkeit ggf. an variablen Konsumplätzen.
  • Es muss eine Bannmeilenregelung für den jeweiligen Standort getroffen werden, so dass in diesem Bereich seitens der Polizei das Mitführen von Betäubungsmitteln nicht sanktioniert wird.
  • Angestrebt werden maximal mögliche Öffnungs- und Betriebszeiten des Konsumraums von 7 Tagen / Woche und jeweils 18 Stunden.

 

 

  1. Sachverhalt

 

Drogenkonsum stellt auch in der Landeshauptstadt Kiel ein großes Problem dar. Neben den Folgen des eigentlichen Drogenkonsums stellen auch verunreinigte Drogen, der unhygienische Umgang mit Konsumbesteck und Überdosierungen eine konkrete Gefahr dar, die zu schweren Folgeerkrankungen und auch dem Tod führen. Laut Aussage der Kieler Drogenhilfeeinrichtungen DIAKO – Fachambulanz, Horizon gGmbH, Odyssee e.V. und die Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie GmbH – Drogenhilfe Ost und West werden in Kiel jährlich ca. 100.000 Spritzen zum intravenösen Drogenkonsum getauscht. Der Konsum illegaler Drogen hat trotz Teilnahme an einer Substitutionsbehandlung einen seit Jahren unverändert hohen Stellenwert.

Um die Lebenssituation Drogenabhängiger zu verbessern, ist die Errichtung von Drogenkonsumräumen, in denen illegale Drogen unter hygienisch guten Bedingungen und unter medizinischer Kontrolle erfolgen kann, in der Fachdiskussion seit langem empfohlen. In der Anlage 2 hat die Verwaltung Fachliteraturempfehlungen zusammengestellt.

 

Recherche:

 

Im Januar 2021 hat das Amt für Soziale Dienste mit der Umsetzung des Auftrags begonnen.

Zielführend in der Recherche waren drei Leitfragen: 

 

  1. Gesundheitspolitik: Inwieweit könnte die Einrichtung eines Drogenkonsumraums dazu beitragen, die Gesundheit von Drogenkonsumierenden zu fördern, und die vorhandenen Angebote der Sucht- und Drogenhilfe sinnvoll ergänzen? Gibt es aus (drogen-)therapeutischer Sicht Gründe, die für oder gegen einen Drogenkonsumraum sprechen würden?

 

  1. Ordnungs- und Sicherheitspolitik: Inwieweit könnte die Einrichtung eines Drogenkonsumraums die Ordnungs- und Sicherheitssituation rund um bestehende Hotspots verbessern?

 

  1. Alternativen: Gibt es Alternativvorschläge für Hilfeangebote, die die Situation Drogenabhängiger in Kiel verbessern könnte, falls die Etablierung eines Drogenkonsumraums nicht umsetzbar wäre?

 

Eingebunden in die Recherchen wurden Expert*innen folgender Institutionen (s. Anlage 1):

 

  • Kieler Drogenhilfeeinrichtungen (DIAKO – Fachambulanz, Horizon gGmbH, Odyssee e.V. und die Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie GmbH – Drogenhilfe Ost und West)
  • Kieler Substitutionspraxen (teilweise)
  • Selbsthilfevertretung JES Bundesverband & JES Kiel
  • Polizeidirektion Kiel – Steuerungsverantwortlicher für Kriminalitätsbekämpfung
  • Expert*innen bzw. Betreiber*innen von bestehenden Drogenkonsumräumen in Bonn, Troisdorf, Münster, Saarbrücken und Berlin (mobiler DKR)
  • Angelika Bähre, Drogenbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein
  • Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Strafvollzug/JES der Deutschen Aidshilfe, Berlin
  • potentielle Nutzer*innen der Kieler Drohgenhilfeeinrichtungen mittels einer Umfrage zum Thema „Drogenkonsumraum in Kiel“

 

 

Zusammenfassung der Rechercheergebnisse:

 

Es wird festgestellt, dass sich nahezu alle Gesprächspartner*innen zum Thema Drogenkonsumraum einig sind: Ein Drogenkonsumraum ist in der Drogenhilfearbeit in der Tat ein wichtiges und wesentliches Unterstützungsangebot. Drogenkonsumräume können einen entscheidenden Beitrag zur Überlebenshilfe und zur Risikominimierung beim Konsum illegaler Drogen leisten. Durch hygienische Konsumbedingungen, Vermittlung von Safer-Use-Regeln und erste Hilfe vor Ort wird Notfällen vorgebeugt und es werden Infektionsrisiken wie HIV und Hepatitiden minimiert. (Bisher gab es keinen einzigen Todesfall in einem Drogenkonsumraum in Deutschland.) Desweiteren können Drogenkonsumräume mit ihren niedrigschwelligen und akzeptanzorientierten Kontaktmöglichkeiten eine Brückenfunktion in weiterführende Angebote bieten. Der positive Kontakt, geprägt durch die „Dienstleistung“ des Drogenkonsumraums, öffnet den Raum für weiterführende Hilfen insbesondere für solche Drogenkonsument*innen, die vorher schwer erreicht wurden.

 

Eine Umfrage unter Nutzer*innen der Drogenberatungsstellen DIAKO – Fachambulanz, Horizon gGmbH, Odyssee e.V. und die Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie GmbH – Drogenhilfe Ost und West wurde durchgeführt, an der 174 Nutzer*innen teilnahmen (siehe Anlage 3). Aus dieser Umfrage können nun wichtige Erkenntnisse für die weitere Konzeptionierung gewonnen werden. Der überwiegende Anteil der Teilnehmer*innen hält die Idee, dass Kiel einen Drogenkonsumraum bekommen soll, für gut. 51,8% geben an, einen Drogenkonsumraum nutzen zu wollen. Deutlich wird, dass eine hohe Zahl zum inhalativen Konsum neigt, was insofern von Bedeutung ist, da bei der Einrichtung eines Drogenkonsumraums auch Rauchkabinen mit Abluft einzuplanen wären.

 

Aus polizeilicher Sicht wurde empfohlen, einen etwaigen Drogenkonsumraum an eine bestehende Einrichtung anzugliedern, um keine neuen Szenen entstehen zu lassen.

 

 

Zur Landesverordnung

 

Mit der Sucht- und Drogenbeauftragten des Landes und weiteren Expert*innen fanden im Jahr 2021 mehrere Gespräche statt. Die Verwaltung nahm das Angebot der Beauftragten an, den Verordnungsentwurf mit einer umfangreichen fachlichen Stellungnahme zu kommentieren.

 

Das Land Schleswig-Holstein hat am 15.11.2021 eine Landesverordnung zur Erteilung einer Erlaubnis für den Betrieb von Drogenkonsumräumen erlassen (siehe Anlage 4). Diese Verordnung ermöglicht die Errichtung und den Betrieb eines Drogenkonsumraumes in einer Kommune.

 

 

  1. Zwischenergebnis

 

Aus Sicht der Verwaltung wird deutlich, dass die Einrichtung eines Drogenkonsumraumes ein ergänzender Baustein für eine gelingende Drogenhilfe in Kiel sein kann. Dies muss unter Einbeziehung der bestehenden Drogenhilfeeinrichtungen in der Stadt umgesetzt werden; wobei Beratungsangebote ergänzt werden sollten.  Zu vermeiden ist die Errichtung einer „neuen“ Szene, auch im Hinblick auf fehlende Akzeptanz der Anwohner*innen.

 

 

Um einen konkreten Vorschlag über Ort, Größe und Öffnungszeiten dieses Drogenkonsumraumes abgeben zu können, stehen unter anderem noch folgende Schritte an:

 

  • Besichtigung bestehender Drogenkonsumräume in Städten vergleichbarer Größe (z.B. Bonn, Troisdorf, Münster).
  • Gespräche mit Verwaltung und Ortspolitik in diesen Städten.
  • Planung eines für Kiel geeigneten Angebots (Größe, Öffnungszeiten, personelle und räumliche Ressourcen etc.)
  • Planung der finanziellen Rahmenbedingungen, Zuschussmöglichkeiten des Landes und kommunaler Haushaltsmittel unter Berücksichtigung derzeitiger Erkenntnisse. (Erste Einschätzungen gehen von ca. 1,2 Mio.€ Jahreskosten für einen Drogenkonsumraum aufgrund der im o.g. Beschluss der Ratsversammlung enthaltenen Öffnungszeiten aus. Die Kosten für einen Raum mit 6 Plätzen bei 7-tägiger Öffnungszeit mit je 6 Stunden werden auf ca. 500.000€ geschätzt. Möglichkeiten einer Förderung durch das Land Schleswig-Holstein sind aktuell nicht bekannt.).
  • Klärung von zuwendungs- und vergaberechtlichen Fragen, ggf. Interessensbekundung unter Drogenhilfeeinrichtungen in der Stadt Kiel.
  • Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum Betrieb eines Drogenkonsumraumes beim Land.

 

Die Verwaltung wird vom weiteren Verlauf berichten.

 

 

 

 

Gerwin Stöcken

Stadtrat

 

 

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Anlagen

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