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ALLRIS - Drucksache

Antrag der Ratsfraktion Klima, Verkehr & Meer - 0305/2022

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Beratungsfolge

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Antrag

Antrag:

 

Die Stadt Kiel entwickelt umgehend eine Energiesparstrategie, die dazu geeignet ist, den Energieverbrauch der Stadt kurz-, mittel- und langfristig deutlich zu senken. Dabei werden alle Sektoren betrachtet, auf die die Stadt als Kommune direkt Einfluss nehmen kann. Insbesondere die Bereiche städtische Immobilien, Wärmeversorgung, Elektrizität und Verkehr. Unter anderem sollen die folgenden Aufgabenfelder berücksichtigt werden:

 

  • Identifikation von Verlustquellen und Energiesparpotenzialen.
  • Substituierung fossiler Energieträger, insbesondere auch der Fernwärmeerzeugung durch Gas.
  • Energetische Sanierung von Bestandsgebäuden in den folgenden Bereichen:
    • Geförderter Wohnungsbau sowie Gebäude der Kieler Wohnungsgesellschaft (KiWoG).
    • Schulen, Berufsschulen und Kitas.
    • Verwaltungsgebäude sowie alle übrigen Liegenschaften der Stadt.
  • rmedämmung sowie der Einsatz moderner Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energien wie etwa Wärmepumpen in Kombination mit Solarenergie, Windenergieanlagen und/oder Erdwärme.
  • Prüfung aller Fördermöglichkeiten durch Land, Bund und EU sowie dierderbanken (IB.SH und KfW).
  • Unmittelbare Fokussierung der finanziellen und personellen Ressourcen auf die Bereiche Energiesparen und energetische Sanierung.
  • Erarbeitung einer mehrsprachigen Informationskampagne zum Energiesparen und zur energetischen Sanierung, ggf. in Zusammenarbeit mit dem Land und/oder anderen Kommunen.
  • Stärkere Berücksichtigung der Energiesparpotenziale im Verkehrssektor. Insbesondere durch einen deutlichen und beschleunigten Ausbau des ÖPNV in Kiel sowie des öffentlichen Pendelverkehrs gemeinsam mit den Kommunen der Kielregion, dem Abbau von Autoprivilegien, der Neuordnung des Parkraummanagements sowie die Stärkung des Homeoffice.

 

Die Beschlüsse zum „Climate Emergency“ (Drucksache 0901/2019) sind entsprechend anzupassen und zu aktualisieren.

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Sachverhalt/Begründung

Begründung:

 

Der jüngste Klimabericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) [1] lässt keine Zweifel daran, dass die Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels mit größter Dringlichkeit beschleunigt und intensiviert werden müssen. In der Zusammenfassung des 6. IPCC-Sachstandsberichts der Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle [2] heißt es dazu (S. 3):

 

Ohne eine Verstärkung der politischen Maßnahmen, die über die bis Ende 2020 eingeführten Maßnahmen hinausgehen, wird ein Anstieg der Treibhausgasemissionen über das Jahr 2025 hinaus projiziert, was zu einer mittleren globalen Erwärmung von 3,2 [2,2 bis 3,5] °C bis zum Jahr 2100 führt.“

 

Parallel zum Klimawandel führt uns der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine deutlich vor Augen, wie wichtig es ist, dass wir unsere Abhängigkeit von Energieimporten binnen kurzer Zeit drastisch reduzieren. Hier spielen erneuerbare Energien eine entscheidende Rolle. Mit Blick darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland ihren Primärenergiebedarf im Jahr 2020 allerdings zu nicht einmal 17 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt hat [3] wird deutlich, dass es neben der Umstellung auf andere Energieträger zwingend notwendig ist, in erheblichem Umfang Energie einzusparen.

 

Dazu heißt es in der Zusammenfassung der Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle (S. 4):

 

Die Senkung von Treibhausgasemissionen im gesamten Energiesektor erfordert wesentlichen Wandel, einschließlich einer erheblichen Senkung des Gesamtverbrauchs an fossilen Brennstoffen, des Einsatzes emissionsarmer Energiequellen, des Umstiegs auf alternative Energieträger sowie Energieeffizienz und -einsparung. Die fortgesetzte Installation von Infrastruktur für nicht-treibhausgasreduzierte fossile Brennstoffe wird zu einem Lock-In der Treibhausgasemissionen führen.“

 

In der Zusammenfassung wird auch die Rolle der Städte dargestellt (S. 4):

 

Städtische Gebiete können Gelegenheiten zur Steigerung der Ressourceneffizienz und zur signifikanten Senkung der Treibhausgasemissionen schaffen, indem Infrastruktur und städtische Form systemisch über emissionsarme Entwicklungspfade auf Netto-Null-Emissionen umgestellt werden.“

 

Da ein Großteil der fossilen Energien im Bereich Wärmeenergie in Gebäuden eingesetzt wird, besteht hier ein erhebliches Potenzial, Energie einzusparen. Eine Halbierung des Energiebedarfs im Vergleich zum Jahr 1990 [4] als auch eine entsprechende energetische Sanierung sind in Kiel bereits Teil der Klimaschutzpläne [5]. In Kapitel 4 „Energetische Gebäudesanierung und Energieeffizienz im Neubau (Kommunale Immobilien)“ des „Climate Emergency erste Beschlüsse zur Resolution“ [6] heißt es dazu:

 

Die Verwaltung wird beauftragt, für die kommunalen Immobilien ein Konzept zur beschleunigten Steigerung der Energieeffizienz und insbesondere zum zügigen Ausbau der regenerativen Energieversorgung zu erstellen und zur Beschlussfassung vorzulegen. Dabei sind auch die finanziellen, personellen und zeitlichen Auswirkungen, insbesondere bei den bereits geplanten oder im Bau befindlichen Vorhaben, darzustellen.“

 

Festzustellen ist allerdings, dass die Pläne zur beschleunigten Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen vielfach nicht wie erhofft erreicht worden sind. In der geschäftlichen Mitteilung „Umsetzungsstand Climate Emergency 23-Punkte-Programm“ (Drucksache 0043/2021) [7] wird deutlich, woran das liegt:

 

Alle zusätzlichen Anstrengungen zur Umsetzung des Climate-Emergency-Beschlusses wurden durch die Immobilienwirtschaft bisher mit den vorhandenen Personalressourcen erbracht. Für eine dauerhafte Intensivierung der konzeptionellen Erarbeitung, Planung und Umsetzung der Climate-Emergency-Maßnahmen werden zusätzliche Personalkapazitäten benötigt, die mit Vorlage des Konzeptes konkretisiert werden.“

 

Wie es scheint, reichen die finanziellen und personellen Ressourcen der Immobilienwirtschaft nach wie vor also lediglich dafür aus, eine jährliche Sanierungsrate der Gebäude von circa 1,0 % umzusetzen [4]. Dies ist zur Erreichung der selbst gesteckten [5] sowie der internationalen Klimaziele [1] völlig unzureichend.

 

Angesichts der begrenzten personellen sowie finanziellen Kapazitäten der Stadt ist es daher unabdingbar, die zur Verfügung stehenden Ressourcen viel stärker als bisher auf Maßnahmen zum Klimaschutz zu konzentrieren. Projekte wie der Neubau des Stadions sowie die Sanierung des Kieler Schlosses mögen dem Ansehen der Stadt nutzen, ihre Dringlichkeit ist allerdings in keiner Weise vergleichbar mit der Notwendigkeit, den Energieverbrauch der Bestandsgebäude deutlich zu senken und auf nachhaltige Energien umzustellen. Bei personalintensiven Neuplanungen wie der Quartierentwicklung im Kielerden, das die Möglichkeit böte, von Anfang an vollumfänglich „100 % Klimaschutz“ umzusetzen, wird zudem unnötig viel Potenzial verschenkt [8].

 

Auch die Beschlüsse zum „Climate Emergency“ [6] erscheinen angesichts des aktuellen IPCC-Berichts [1] sowie der Notwendigkeit, sich von Gasimporten unabhängiger zu machen, inzwischen überholt. So wird das Kraftwerk in Kiel das auch der Bereitstellung von Fernwärme dient mit Gas betrieben. Die Versorgung mit Fernwärme (in Kiel letztlich also Gas), wird in den Beschlüssen zum „Climate Emergency“ [6] allerdings noch vor die Versorgung mit Wärme aus erneuerbaren Energien gestellt (Zitat):

 

Der energetische Mindeststandard für Gebäude der Landeshauptstadt Kiel ist dahingehend zu ergänzen, dass ab sofort bei Neubau- und Sanierungsmaßnahmen von städtischen Liegenschaften, bei denen ein Anschluss an die Kieler Fernwärmeversorgung nicht möglich ist, eine Wärmeversorgung durch regenerative Energie obligatorisch geprüft wird.“

 

Die Klimaschutzpläne sind daher dringen so zu verändern, dass die bisherige Priorisierung der Fernwärmeversorgung aus fossiler Energie (Gas) zurückgenommen wird zugunsten von Wärmepumpen, Erdwärme sowie Wind- und Solarenergie (auch in Form der Eigenversorgung). Die in ihrer aktiven Umsetzung bislang noch viel zu unbestimmt verankerte Wärmedämmung der Bestandsgebäude muss dringend zum zentralen Bestandteil der Wärmestrategie werden.

 

In der Zusammenfassung der Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle [2] wird diese Forderung unterstrichen. Der Gebäudesektor biete große Chancen, sofern (S. 5)

 

[…] politische Maßnahmenpakete, die ehrgeizige Suffizienz-, Effizienz- und Erneuerbare-Energien-Maßnahmen kombinieren, wirksam umgesetzt und Dekarbonisierungshürden beseitigt werden. Wenig ehrgeizige politische Maßnahmen erhöhen das Risiko, dass Gebäude für Jahrzehnte in kohlenstoffbasiertem Modus feststecken, während gut konzipierte und wirksam umgesetzte Minderungsmaßnahmen sowohl bei Neubauten als auch im nachgerüsteten Gebäudebestand ein erhebliches Potenzial haben, [...] Gebäude an das künftige Klima anzupassen.“

 

Der zweite Sektor, in dem es bislang nicht gelingt, den Energieverbrauch und die CO-Emissionen zu senken, ist der Verkehr [9]. Gemäß IPCC-Bericht [1] ist daher auch hier der Verzicht auf die Verbrennung fossiler Energieträger entscheidend. Dabei geht es laut IPCC ganz generell auch darum, Energie zu sparen, indem Städte so umgestaltet werden, dass Menschen Ziele fußufig, per Fahrrad oder mit elektrisch betriebenem ÖPNV erreichen können.

 

Agora Verkehrswende betont in der Studie ‚Wende im Pendelverkehr Wie Bund und Kommunen den Weg zur Arbeit fairer und klimagerechter gestalten können vom April 2022 [10] außerdem, dass der Pendelverkehr auf dem Weg zu einer klimaneutralen Mobilität eine Schlüsselrolle spielt, da die Wege zwischen Arbeits- und Wohnort in Deutschland für ein Fünftel des gesamten Personenverkehrs verantwortlich sind. ÖPNV-Angebote, Siedlungsplanung und Konzepte zur Verkehrssteuerung enden laut der Studie noch viel zu oft an der Stadtgrenze. Die Kooperation von benachbarten Gemeinden und Kreisen sei daher „notwendiger denn je“. Agora schlägt dazu vor:

 

Um Ziel- und Interessenkonflikte beizulegen, ist entscheidend, dass sich die Kommunen in regionalen Netzwerken entlang der wichtigsten Pendelströme zwischen Städten und Umland austauschen und Pläne zusammenführen. Das gilt umso mehr, je stärker die regionalen Netzwerke mit Entscheidungskompetenz und Ressourcen ausgestattet werden.“

 

Investitionen der Kommunen in Alternativen zum privaten Pkw sind laut Agora allerdings nur dann wirksam, wenn Privilegien des Autoverkehrs abgebaut werden. Gute Verbindungen per Bus, Bahn oder Fahrrad allein reduzieren den Autoanteil Agora zufolge kaum, da Fortschritte bei der Verlagerung der Mobilität schnell durch zusätzlichen Pkw-Verkehr aufgehoben werden. Autoprivilegien stehen der Transformation damit deutlich im Wege. Neben einem Parkraummanagement, der Einführung von Tempo 30 und dem Ausbau des ÖPNV spricht sich Agora auch für mehr Homeoffice aus.

 

Abschließen sei angemerkt, dass Schweden seine pro Kopf CO-Emissionen 2019 bereits auf 4,1 Tonnen pro Jahr gesenkt hat. Gegenüber Deutschland mit 8,5 Tonnen ist somit bewiesen, dass in einem anderen hochtechnologischen Industrieland mindestens eine Halbierung der CO-Emissionen ohne den geringsten Verlust an Wohlfahrt umsetzbar ist [11].

 

 

Ratsherr Rudau     f. d. R.

Ratsfraktion Klima Verkehr & Meer

 

Ratsherr Halle      

Ratsfraktion Klima Verkehr & Meer

 

Beratendes Mitglied Ahrens    

Ratsfraktion Klima Verkehr & Meer

 

 

 

 

Quellen:

 

1. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), 'Climate Change 2022 Mitigation of Climate Change', Working Group III contribution to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, April 2022: https://report.ipcc.ch/ar6wg3/pdf/IPCC_AR6_WGIII_FinalDraft_FullReport.pdf

 

2. Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle, Sechster IPCC-Sachstandsbericht (AR6) 'Beitrag von Arbeitsgruppe III: Minderung des Klimawandels' Hauptaussagen aus der Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung (SPM), 4. April 2022: https://www.de-ipcc.de/media/content/Hauptaussagen_AR6-WGIII.pdf

 

3. Statista, Anteil Erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch in Deutschland in den Jahren 1990 bis 2020, September 2021: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2849/umfrage/anteil-erneuerbarer-energien-am-gesamten-primaerenergieverbrauch/

 

4. Umweltschutzamt (Dezernat II), Klimaschutzstrategie "Masterplan 100 % Klimaschutz" für die Landeshauptstadt Kiel, Juli 2017: https://ratsinfo.kiel.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=20833

 

5. Landeshauptstadt Kiel, Masterplan 100 % Klimaschutz für die Landeshauptstadt Kiel Endbericht, Juli 2017: https://www.kiel.de/de/umwelt_verkehr/klimaschutz/_dokumente_masterplan/Endbericht_Masterplan_100_Prozent_Klimaschutz_Kiel.pdf

 

6. Umweltschutzamt (Dezernat II), Climate Emergency erste Beschlüsse zur Resolution, Drucksache 0901/2019, 19.09.2019: https://ratsinfo.kiel.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=23201

 

7. Umweltschutzamt (Dezernat II), Umsetzungsstand Climate Emergency 23-Punkte-Programm, Drs. 0043/2021, 20.01.2021: https://ratsinfo.kiel.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=24749

 

8. Ratsfraktion Klima Verkehr & Meer, Klimaschutz, Verkehr & mehr jetzt! auch im Kieler Süden, Drucksache 0304/2022, 11.04,2022: <Link wird eingefügt, sobald im Informationssystem der Stadt Kiel (Allris) verfügbar.>

 

9. Zeit Online, 'Umweltbundesamt r den Klimaschutz ist die Pandemie vorbei', 15. März 2022: https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2022-03/umweltbundesamt-verfehlt-klimaziele-corona-emissionen-klimaschutzgesetz

 

10. Agora Verkehrswende, Wende im Pendelverkehr Wie Bund und Kommunen den Weg zur Arbeit fairer und klimagerechter gestalten können, April 2022: https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/wende-im-pendelverkehr/

 

11. Zeit Online, IPCC-Bericht Ein Aufruf zur Revolution, 4. April 2022: https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2022-04/ipcc-bericht-klimaschutz-1-5-grad

 

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