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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung - 0189/2021

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Beratungsfolge

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Antrag

 

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Sachverhalt/Begründung

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Hintergrund

 

Die Ausrichtung im Dezernat für Bildung, Jugend, Kultur und Kreative Stadt ist „Bildung und Kultur für alle“ mit dem Leitmotiv, sowohl gelingende Bildungsbiografien zu unterstützen als auch junge Menschen dabei zu begleiten, ihre Potenziale bestmöglich zu entfalten.

 

Das umfasst neben der Übergangsgestaltung im Bildungsmanagement mit dem Jugendamt, dem Amt für Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie den freien Trägern und anderen Institutionen (Frühkindliche Bildung und Elternbildung, Übergang Kita-Schule, Übergang Schule-Beruf) auch die präventive Förderung innerhalb der Regelsysteme.

 

Der Ansatz ist, frühzeitig fördernde Bedingungen flankierend über die Jugendhilfe anzubieten, um spätere umfassendere Einzelfallhilfen zu vermeiden, wenn Teilhabeeinschränkungen und Fehlentwicklungen von Kindern und Jugendlichen begegnet werden muss. 

„Prävention vor Intervention“ ist die Leitorientierung. Gemeinsam haben Verwaltung und Selbstverwaltung in den letzten Jahren diese Umorientierung in Richtung sogenannter Präventiver Hilfen durch Bereitstellung finanzieller und personeller Ressourcen vorgenommen.

 

Der übergeordnete Leitgedanke von wesentlichen Präventionskonzepten ist die größtmögliche Teilhabe aller Kinder von Anfang an. Kinder sollen Kita und Schule als Orte erleben, an denen sie sich wohlfühlen und ihre Fähigkeiten entfalten können. Eltern sollen - wann immer benötigt - Rat und Hilfe erhalten. Zur Bildungsgerechtigkeit zählt, dass ungleiche Bedingungen auch ungleich – und somit ausgleichend – zu behandeln sind. Weichen für gelingende Einstiege müssen gestellt werden, um einen erfolgreichen und dauerhaften Verbleib im Regelsystem Schule zu sichern. Gesellschaftliche Entwicklungen erfordern regelmäßige Analysen und gegebenenfalls Korrekturen. Ferner braucht es Innovation und die zeitnahe Umsetzung neuer Konzepte.

 


Die Verantwortungsgemeinschaft – bestehend aus Jugendhilfe und Schule sowie Kita – hat in Kiel tragfähige Kooperationsstrukturen geschaffen, die gelingende Bildungswege von Kindern mit innovativen Konzepten unterstützen.

 

In diesem Sinne wurden im Bildungs- und Jugenddezernat über die Stadtgrenze hinaus beachtete Kieler Innovationen zur Unterstützung und Förderung gelingender Bildungsbiografien umgesetzt, die vom Jugendamt in Kooperation mit Regeleinrichtungen ausgestaltet sowie von der Kieler Ratsversammlung ermöglicht werden. Dazu gehören unter anderem

 

-          die Ankerklassen mit Lehrkräften und pädagogischem Personal an sechs Kieler Grundschulstandorten,

-          der Einsatz von Klassenbegleiter*innen an zwei Gaardener Grundschulen sowie

-          der Einsatz von (heil-) pädagogischen Zusatzkräften in den zwölf Gaardener Kindertageseinrichtungen.

 

Es erfolgen regelmäßige Sachstandsberichte für die Selbstverwaltung über die Entwicklung dieser Konzepte, die mit einem hohen Finanzvolumen umgesetzt werden. Daher gilt es regelmäßig ihre Wirkung auf die Bildungsbiografie der Kinder zu überprüfen.

 

In der zweiten Jahreshälfte 2020 wurde bereits im Rahmen des Fortschrittsberichtes 2020 zu Gaarden hoch 10 (Drs. 0748/2020) berichtet. Ferner finden sich Beschreibungen des Ist-Standes in der Drucksache 1073/2020 „Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche an Schule“ sowie in der Kitabedarfsplanung (Drs. 0429/2020).

 

Dieser aktuelle Bericht beschreibt die Entwicklungen und die bisherige Umsetzung der Ankerklassen. Es folgen noch zwei weitere Berichte über die beiden oben benannten Präventionsangebote.

 

 

„Ankerklassen – Für einen gelungenen Schulstart!“ (Drs. 0441/2020)

 

Mit Beginn des Schuljahres 2020/21 wurden an sechs Grundschulstandorten in Kiel sogenannte „Ankerklassen“ in enger Kooperation zwischen dem Jugendamt und der Schulaufsicht im Schulamt als untere Schulaufsichtsbehörde etabliert. Ziel ist es, Kinder mit besonderen Entwicklungsbedarfen in den Bereichen Psychomotorik, Wahrnehmung und/oder sozial-emotionaler Kompetenz intensiv zu stärken.

Für jede*n Schüler*in werden individuelle pädagogische Konzepte entwickelt, die im Zusammenwirken von Sozialpädagog*innen, Regel- und Förderlehrer*innen am Vor- und Nachmittag umgesetzt werden. Beurlaubungen vom Schulbesuch werden durch die engmaschige Begleitung in einem geschützten Rahmen vermieden. Jede Ankerklasse wird von einer pädagogischen Kraft vollumfänglich begleitet.

 

Trotz der kurzen Zeit, die zwischen Beschlussfassung und Schuljahresbeginn lag, konnten die Ankerklassen an sechs Kieler Grundschulen erfolgreich initiiert werden. Dank des großen Engagements der beteiligten Träger und der sehr guten Zusammenarbeit zwischen der Schulaufsicht und Jugendamt wurden insgesamt 52 Kinder in die Ankerklassen eingeschult. Eine Nachrückphase ermöglichte, dass Kinder aus anderen ersten Klassen in die Ankerklassen wechseln konnten. Hierdurch profitierten auch Schüler*innen von dem neuen Angebot, bei denen erst im Laufe der ersten Unterrichtswochen ein besonderer Förder- und Unterstützungsbedarf offensichtlich wurde.

 


Beteiligte Schulen

 

Die Ankerklassen sind bei einer Maximalkapazität von 12 Schüler*innen mit Stand 12.2020 wie folgt belegt:

 

Name der Schule

Anzahl der Kinder

Name des Trägers

Adolf-Reichwein-Schule

10

KJHV e.V.

Gerhart-Hauptmann-Schule

11

LH Kiel, Jugendamt

Mathias-Claudius-Schule

9

LH Kiel, Jugendamt

Klaus-Groth-Schule

8

diko e.V.

Fritz-Reuter-Schule

10

DRK

Grundschule am Göteborgring

8

KJHV e.V.

Gesamt:

56

 

 

Zurzeit laufen die Vorbereitungen für die Auswahl der Schüler*innen, die im neuen Schuljahr in den Ankerklassen eingeschult werden könnten. Hierzu werden Eltern gezielt angesprochen. Ihnen werden das Konzept und die damit verbundenen Möglichkeiten erläutert. Die Eltern entscheiden eigenverantwortlich, ob ihr Kind in einer Ankerklasse eingeschult wird. Darüber hinaus wird zeitnah der Wechsel der Schüler*innen von der Ankerklasse in das zweite Jahr der Eingangsphase vorbereitet.

 

Ankerklassen unter Pandemiebedingungen

 

Im momentanen pandemiebedingten Shutdown haben die Ankerklassenteams Förder- und Unterstützungskonzepte entwickelt, um trotz der eingeschränkten Möglichkeiten bestmöglich zu fördern. Hierzu werden Schüler*innen und ihre Familien auch im häuslichen Umfeld aufgesucht, es finden Einzelkontakte (z.B. gemeinsame Spaziergänge) und sogar Sozialkompetenztrainings über Videokonferenzsysteme statt. Das Engagement bei allen Beteiligten ist ausgesprochen hoch. Allen Schüler*innen der Ankerklassen wurde der Zugang zur Notbetreuung in den Schulen ermöglicht. Circa die Hälfte der Eltern machen Gebrauch von dem Angebot.  Von Beginn an wurde die Arbeit von der Vielschichtigkeit der Bedarfe der Kinder der Ankerklassen bestimmt. Die Heterogenität der Belastungen und der Belastbarkeit innerhalb der Klassen ist hoch und bestimmt das methodisch-didaktische Vorgehen.

 

Aufbau des Systems der Ankerklassen

 

Untere Schulaufsicht und Jugendamt haben im ersten Schulhalbjahr die Prozesse an den Standorten unter anderem in Form von Hospitationsbesuchen und (Online-) Besprechungen begleitet. Eine Klausurtagung für Dezember musste pandemiebedingt verschoben werden. Klärungs- und Qualifizierungsbedarfen wurde und wird umgehend nachgegangen. So zeigten sich in einigen Ankerklassenteams Unsicherheiten, die aus der multiprofessionellen und rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit resultieren.

Beispielsweise waren datenschutz- und arbeitsrechtliche Fragen zu klären. Zwischen Konzeptverabschiedung im Juni und Projektbeginn im August lagen wenige Wochen. Um gemeinsam als Ankerklassenteam ins Schuljahr zu starten, hatten bei den Trägern die Stellenausschreibung, Personalauswahl und Stellenbesetzung höchste Priorität.

 

Das knappe Zeitfenster für die Personalfindung und -bindung hat sich als hohe Hürde erwiesen. In mehreren Ankerklassen kam es zu Personalwechseln. Erfreulicherweise haben sich an nahezu allen Standorten die Teams gefunden – an einer Schule wird gerade der Personalwechsel vollzogen.

Zurzeit werden Supervisionsgruppen für die Kolleg*innen in den Ankerklassen eingerichtet. Der Austausch zwischen den sozialpädagogischen Fachkräften und den Lehrer*innen wird befördert.

 

Um das Projekt fortlaufend an die Bedarfe anpassen zu können, wird gemeinschaftlich an der Weiterentwicklung der Konzeption gearbeitet. Untere Schulaufsicht und Jugendamt entwickeln ferner gemeinsam Erhebungskriterien und geeignete Instrumente für eine begleitende Evaluation. Die darüber gewonnenen qualitativen und quantitativen Erkenntnisse werden schrittweise über die Jugendhilfeplanung zur Verfügung gestellt.

 

Auswirkungen auf die Kinder

 

Der Unterricht unterschied sich im Lockdown wie im Shutdown sehr stark von den eigentlichen Planungen. Das hat Auswirkungen auf die Fördermöglichkeiten und das Methodenrepertoire in der Arbeit mit den Kindern sowie auf die Verfolgung der Ziele. Dennoch ist selbst in dem kurzen Zeitraum vor und unter den Ausnahmebedingungen folgendes festzustellen:

 

-          Kinder erleben sich als Teil einer Klassengemeinschaft und als Teil ihrer Schule. Sie sind stolz darauf, zu den Erstklässler*innen zu gehören.

-          Kinder kennen ihre Wege zur Schule und sind im Schulgebäude räumlich orientiert. Im Bedarfsfall wissen sie, wer hilft; bleiben sicher und handlungsfähig.

-          Kinder erleben eine zeitliche Strukturierung im Schulalltag und stellen sich auf den in Schule vorgegebenen Rhythmus aus Unterrichts- und Pausenzeiten ein.

-          Kinder kennen ihre Stundenpläne, entwickeln Vorlieben für Themen und Fächer; freuen sich auf Schule und Unterricht.

-          Kinder kennen und trainieren Verhaltensregularien für gelingendes Lernen in einer Gruppe. Sie erkennen die Notwendigkeit und die Vorzüge von Regeleinhaltung und Rücksichtnahme. Exemplarisch benannt wissen sie: Wie melde ich mich? Wann warte ich ab, höre zu? Wie schaffe ich es mich mitzuteilen?

-          Im Lockdown erlebt jedes Kind auch weiterhin eine sehr individuelle Ansprache und die passende, bedarfsgerechte Lernförderung. Die Personaldecke ermöglicht, dass die Anbindung an Schule eng bleibt und die unterschiedlichen Lernausgangslagen und Belastungsgrenzen berücksichtigt werden. Die Bandbreite der Einschränkungen und Entwicklungsverzögerungen – ob durch Spastik, Stottern, Traumatisierung oder Frühgeburt – hier nur beispielhaft benannt ist groß und fordert Fachwissen und Einfühlungsvermögen.

-          Auch die Eltern bleiben in engem Kontakt mit dem multiprofessionellen Ankerklassenteam. Das Team weiß um die Bedarfe, die Sorgen und Nöte und gibt individuelle Hilfestellungen.

-          Die Kinder der Ankerklasse wissen, dass Nachfragen und Wissbegier ausdrücklich erwünscht sind. Es ist normal, etwas nicht gleich verstanden zu haben. Neugierde und Interesse am Lernen wird auch in „Distanzzeiten“ bestärkt. Fähigkeiten werden erkannt und gefördert; Erfolge werden bemerkt und Etappenziele gefeiert.

 

Fazit:

Die Umsetzung der Konzeption ist trotz der Hindernisse sehr gut angelaufen.

 

Die Kinder, die eine Ankerklasse besuchen, sind ihrem Alter entsprechend „von Anfang an dabei“.  Schule und Jugendhilfe tragen den individuellen Besonderheiten und Bedarfen Rechnung. Die Kinder erleben sich als Erstklässler*innen. Den Eltern steht ein interdisziplinäres Team mit Rat und Tat zur Seite. Auch während der Phase des Shutdowns erhalten die Kinder eine intensivere Begleitung als andere, um die Zeit gut zu bewältigen und den Anschluss zu halten.

 

 

 

Renate Treutel

Bürgermeisterin

 

 

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