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ALLRIS - Drucksache

Antrag der Verwaltung - 0795/2021

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Beratungsfolge

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Antrag

Antrag:

 

  1. Die Selbstverwaltung beschließt einen Finanz- und Investitionsrahmen als verbindliche Orientierung für den Haushaltsplan 2022 und die Finanzplanung 2023-2025, sowie den entsprechenden Haushaltsvollzug.

Das Jahresergebnis im Ergebnisplan soll folgende Defizite nicht überschreiten:

 

Jahr

2022

2023

2024

2025

Mio. Euro

< -100

-70

-60

-50

 

Der Gesamtbetrag der Kredite für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen soll folgende Werte nicht überschreiten:

 

Jahr

2022

2023

2024

2025

Mio. Euro

-120

-120

-120

-120

Umsetzungsquote

60%

65%

70%

75%


 

Geltende Vorschriften wie Rechte der Selbstverwaltung bei Haushaltsbeschluss bzw. Ausführung des Haushaltsplans bleiben durch diesen Finanz- und Investitionsrahmen unberührt.

 

  1. Folgende Maßnahmen sollen im Haushaltsjahr 2022 umgesetzt werden, um die Erreichung dieser Zielsetzungen im Ergebnisplan und bei den Investitionen sicherzustellen:

 

  1. Der vorgesehene[1] eigenfinanzierte Stellenaufwuchs wird für das Haushaltsjahr 2022 ausgesetzt. Neue Stellen werden nur bei nachgewiesener Refinanzierung[2] eingerichtet.
  2. Auf weitere Anmietungen - insbesondere Büroflächen - wird verzichtet („Anmiet-Stopp“).
  3. Neue freiwillige Leistungen bzw. ihre Ausweitung sowie alle eigenen Standard-Ausweitungen sollen durch Umschichtungen oder Gegenfinanzierungen ermöglicht oder für das Haushaltsjahr 2022 ausgesetzt werden. Im Zusammenhang mit besonderen Belastungen aus der Corona-Pandemie kann in begründeten Einzelfällen hiervon abgesehen werden.
  4. Bei Gebühren und Entgelten sollen Kostensteigerungen (insbesondere aus Tarif- bzw. Besoldungserhöhungen) grundsätzlich soweit sie nicht anderweitig kompensiert werden können - durch entsprechende Anpassungen ausgeglichen werden. Im Zusammenhang mit besonderen Belastungen aus der Corona-Pandemie kann in begründeten Einzelfällen hiervon abgesehen werden.
  5. Investitionen werden nur bei vorliegender Veranschlagungsreife[3] in den Haushaltsplan aufgenommen. Dies sichert die notwendige hohe Umsetzungsquote.

 

  1. Auf Basis der Grundsätze einer Nachhaltigen Finanzwirtschaft - Finanzstrategie (vgl. Drs. 0903/2019) sollen Maßnahmen geprüft und intensiviert werden, die insbesondere die Wirtschaftliche Aufgabenerfüllung (§ 8 GO) stärken. Auch sollen Prioritäten und die Wirkung von Maßnahmen (Wirkungsorientierung) einbezogen werden. Konkretisierte Maßnahmen sollen bis zum 31.05.2022 vorliegen und stestens ab 2023 dem Trend überproportionaler Aufwandssteigerungen im Ergebnishaushalt begegnen.

 

  1. Dabei sind Maßnahmen zu Lasten der Mitarbeitenden (wie zum Beispiel ein Einstellung-Stopp) ausdrücklich auszunehmen, um die kontinuierliche Wahrnehmung der städtischen Aufgaben sicherzustellen, die notwendige Attraktivität als Arbeitgeberin nicht zu gefährden und vielmehr weiterhin Personal zu stärken (vgl. Drs. 0567/2019).

 

  1. Die Landeshauptstadt Kiel fordert die zukünftige Bundesregierung und das Land Schleswig-Holstein auf, die Haushalte der Kommunen strukturell zukunftsfähig zu machen.

 


[1] vgl. Drs. 0903/2019 „Grundsätze einer Nachhaltigen Finanzwirtschaft - Finanzstrategie“ Nr. 5: In der Finanzplanung ist ein Stellenaufwuchs von maximal 50 Stellen pro Jahr als Orientierungsrahmen

vorgesehen.

[2] Nachgewiesene Förderung oder dauerhafte Gegenfinanzierung von mindestens 2/3 des für die Stelle notwendigen Personalaufwands.

[3] vgl. § 12 Abs. 2 GemHVO-Doppik: Vorliegen von Plänen, Kostenberechnungen und Erläuterungen

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Sachverhalt/Begründung

Begründung:

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die öffentlichen Haushalte sind in ihrer Dimension einmalig und werden auch die kommenden (Haushalts)Jahre beeinflussen. In der Landeshauptstadt Kiel trifft dies auf die seit Jahrzehnten schwierige Haushaltslage mit gleichermaßen hohen Sanierungsstau wie Schulden (inklusive aufgelaufenem Defizit im Ergebnishaushalt) sowie strukturellen Herausforderungen, auch aus Konsolidierungsrunden vergangener Jahrzehnte. In der Gesamtschau einer durchschnittlichen Entwicklung der Erträge und Aufwendungen seit der Umstellung auf den doppischen Haushalt im Jahr 2009 ist im Kieler Haushalt ein strukturelles Defizit von rd. 50 Mio. Euro p.a. belegbar.

 

Der Haushalt 2020 der Landeshauptstadt Kiel war bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung im Dezember 2019 „auf Kante genäht“ (rd. +0,5 Mio. Euro). Im April 2020 wurde angesichts der damals abschätzbaren Auswirkungen eine Belastung des Haushalts mit voraussichtlich mind. 100 Mio. Euro prognostiziert. Diese Belastung ist eingetreten, auch wenn der Haushalt 2020 mit einem Jahresüberschuss i.H.v. rd. 90 Mio. Euro abgeschlossen wurde. Wesentlich geprägt wurde dieses Ergebnis durch Einmal-/Sondereffekte, ohne die sich ein bereinigtes Jahresergebnis i.H.v. rd. -109 Mio. Euro ergeben hätte. Der Haushalt 2021 wurde mit einem Defizit von rd. 60 Mio. Euro beschlossen. Die Halbjahresprognose sowie der jetzt notwendige Nachtragshaushalt gehen von einem Defizit von rd. 85 Mio. Euro aus. Die aktuelle Erstellung des Haushaltsplan-Entwurfes 2022 und der Finanzplanung 2023-2025 zeigen ein steigendes jährliches Defizit im Ergebnisplan sowie hohe Investitionsbedarfe.

 

Diese Defizite und Investitionsbedarfe zwingen zum Handeln, um die Handlungsfähigkeit der Landeshauptstadt Kiel zu erhalten, andernfalls drohen durch Nicht-Genehmigung eine eingeschränkte Haushaltsführung und signifikante Einschränkungen bei den Investitionen. Als Instrument eignet sich ein Finanz- und Investitionsrahmen, der die gemeinsame Verantwortung von Verwaltung und Selbstverwaltung für eine an langfristiger Budgetdisziplin ausgerichtete Haushalts- und Finanzpolitik unterstreicht. Ziel ist die erheblichen bestehenden Herausforderungen nicht - wie in vergangenen Jahrzehnten - durch Konsolidierungsdruck einer Hungerkur zu unterziehen, sondern stattdessen ein wirksames Fitnessprogramm zu entwickeln. Hierzu tragen neben Budgetdisziplin vor allem Transparenz und verbindliche Zwischenziele gleichermaßen bei, um so die Zielerreichung sicher zu stellen. Zugleich wird das Budgetrecht der Selbstverwaltung gestärkt, da politische Schwerpunktsetzungen und Prioritäten weiterhin möglich bleiben.

 

Zu 1.)

Im Ergebnishaushalt soll das Defizit für das Haushaltsjahr 2022 auf unter 100 Mio. Euro begrenzt werden. In den Finanzplanungsjahren soll das Defizit geringer ausfallen und im Haushaltsjahr 2025 - als verbindliches Zwischenziel - auf das bestehende strukturelle Defizit von rd. 50 Mio. Euro zurückgeführt werden.

 

Der staatlichen Investitionstätigkeit kommt gerade angesichts der Corona-Pandemie eine besonders wichtige Rolle zu. Auch aufgrund des bestehenden Sanierungsstaus ist ein stetes Investitionsvolumen von rd. 120 Mio. Euro jährlich notwendig. Die Anmeldungen der Fachämter zum Haushaltsplan-Entwurf haben dieses Niveau deutlich überschritten und mussten nach Prüfung der Veranschlagungsreife zurückgeführt bzw. in Folgejahre verschoben werden. Die Umsetzungsquote bei den Investitionen konnte trotz der Corona-Pandemie von zuletzt 54% (2019) auf 55% (2020) gesteigert werden. Trotz aktueller Schwierigkeiten im Baugewerbe gilt es, in 2022 die Umsetzungsquote von mindestens 60% zu erreichen und in den Folgejahren deutlich zu steigern.

 

Zu 2.)

Die genannten Maßnahmen sollen sicherstellen, dass im Ergebnisplan 2022 eine weitergehende Auseinanderentwicklung von Erträgen und Aufwendungen begrenzt wird:

 

  1. Der vorgesehene eigenfinanzierte Stellenaufwuchs i.H.v. rund 50 Stellen (entspricht rd. 2,5 Mio. Euro) wird für das Haushaltsjahr 2022 ausgesetzt. Im Finanzplanungszeitraum entsteht durch diese Maßnahme ein Minderaufwand i.H.v. rd. 10 Mio. Euro. Neue Stellen werden nur bei nachgewiesener Refinanzierung eingerichtet. Weitere Stellenbedarfe müssen in 2022 durch freie Stellen kompensiert werden.
  2. Der Mietaufwand ist im Zeitraum 2019 bis 2022 von rd. 6,1 Mio. Euro auf 8,6 Mio. Euro deutlich angestiegen. Aktuell hat die Landeshauptstadt Kiel aufgrund der Erfahrungen der Corona-Pandemie eine neue Dienstvereinbarung „Flexible Arbeitsformen“ mit den Mitbestimmungsgremien vereinbart. Damit werden mehr „Telearbeit“ sowie „Mobiles Arbeiten“ ermöglicht, was zu einer dauerhaft geringeren Nutzung der Büroflächen führt. Auch sind neue Raumkonzepte (z.B. „Co-Working-Spaces“) zusammen mit den Mitarbeitenden zu entwickeln und zu erproben. Auf weitere Anmietungen soll in 2022 verzichtet werden („Anmiet-Stop“).  Abmietungen sollen geprüft werden, um den Mietaufwand auf den Stand 2019 zurückzuführen.
  3. Angesichts der Haushaltslage sollen in 2022 neue freiwillige Leistungen bzw. ihre Ausweitung sowie alle eigenen Standard-Ausweitungen durch Umschichtungen oder Gegenfinanzierungen ermöglicht oder ausgesetzt werden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Vereinbarung zwischen Land und Landeshauptstadt zur Inanspruchnahme von Konsolidierungshilfen nach § 11 Finanzausgleichsgesetz (FAG). Aufgrund dieser Vereinbarung ist die Übernahme neuer sowie die Ausweitung bestehender freiwilliger Aufgaben ab dem Jahr 2019 durch zusätzliche Einsparungen zu kompensieren. Im Zusammenhang mit besonderen Belastungen aus der Corona-Pandemie kann in begründeten Einzelfällen hiervon abgesehen werden.
  4. Bei Gebühren und Entgelten sollen Kostensteigerungen (insbesondere aus Tarif- bzw. Besoldungserhöhungen) grundsätzlich - soweit sie nicht anderweitig kompensiert werden können - durch entsprechende Anpassungen ausgeglichen werden. Im Zusammenhang mit besonderen Belastungen aus der Corona-Pandemie kann in begründeten Einzelfällen hiervon abgesehen werden
  5. Die Investitionsfähigkeit ist mit höchster Priorität sicherzustellen, um den bestehenden Sanierungsstau weiter abzubauen und die Zukunft zu gestalten

 

zu 3.)

Bereits vor der Corona-Pandemie wurden im November 2019 die Grundsätze einer Nachhaltigen Finanzwirtschaft“[1] von der Ratsversammlung beschlossen. Eine Nachhaltige Finanzwirtschaft soll generationsgerecht wirtschaften und trotz der Rahmenbedingungen Spielräume für Gestaltung und Stadtentwicklung eröffnen.

 

Angesichts der beschriebenen Ausgangslage und gleichzeitiger vielfältiger Herausforderungen ist eine reine Haushaltskonsolidierung bzw. „Sparen“ aktuell nicht ausreichend. Vielmehr braucht es ein Fitnessprogramm statt einer Hungerkur. Dies soll insbesondere durch eine Stärkung der wirtschaftlichen Aufgabenwahrnehmung entsprechend § 8 der Gemeindeordnung (GO)[2] erfolgen und durch eine stärkere gemeinsame Verantwortung im Sinne einer „Budgetsolidarität“ erreicht werden. Der Vorteil, der seit 2009 eingeführten Doppelten Buchführung, ist, dass der Ressourcenverbrauch dargestellt wird und nunmehr die Fach- mit der Finanzverantwortung und mit den Steuerungsmöglichkeiten noch stärker gekoppelt werden muss.

 

Grundsätzlich kann kein Amt und keine Aufgabe von diesen notwendigen Anstrengungen ausgenommen werden. Dies gilt genausor die städtischen Unternehmen und Beteiligungen.

 

zu 4.)

Der demographische Wandel und der Fachkräftemangel zwingen die Stadt sich weiterhin als attraktive Arbeitgeberin zu behaupten. Auch hier sind die aktuellen Herausforderungen (z.B. das hohe Durchschnittsalter, eine überdurchschnittliche Fehlzeitquote) Lasten aus vergangenen Jahrzehnten in Folge von Konsolidierung oder eines langjährigen Einstellungsstopps. Der Grundstein für eine positive Entwicklung wurde 2019 mit dem Konzept „Personal stärken“[3] gelegt, das in diesem Jahr fortgeschrieben werden soll. Auch das Thema Betriebliche Gesundheit muss als Schwerpunkt intensiviert werden. Die Personalaufwendungen einschließlich der Tarif- und Besoldungsanpassungen, als größter Aufwandsposten im städtischen Haushalt, rfen nur moderat anwachsen.

 

zu 5.)

Bund und Land bleiben aufgefordert die Haushalte der Kommunen strukturell zukunftsfähig zu machen. Anzuerkennen ist, dass Bund und Länder die Kommunen im Jahr 2020 weitgehend von den Lasten der Corona-Pandemie abgeschirmt haben. Strukturelle Hilfen von Bund und Land sind aber weiterhin unmittelbar notwendig. Es braucht eine Entlastung in einer signifikanten Größenordnung für die Landeshauptstadt Kiel.

 

Aktuelle Beispiele zeigen, dass die Gesetzgebung des Bundes und des Landes keine „Konnexität“ (Grundsatz Wer bestellt, bezahlt“) durchgängig gewährleistet und die Kommunen die finanziellen Folgen wachsender Aufgaben überwiegend allein zu schultern haben. Auch die zahlreichen Förderprogramme verstärken das Defizit bei Kommunen, da oftmals dauerhafter Aufwand entsteht bzw. insbesondere Personalkosten nicht abgedeckt sind. Die Deutsche Bundesbank stellt dazu fest[4]: „Die Krise verdeutlicht, dass die Kommunalfinanzen reformbedürftig sind: Grundlegende Anpassungen scheinen empfehlenswert, um eine stetige und krisenfeste Finanzierung zu gewährleisten.“

 

 

 

 

Christian Zierau

Stadtrat

 


[1] Vgl. Vorlage 0903/2019 „Grundsätze einer Nachhaltigen Finanzwirtschaft“ vom 09.10.2019

[3] Vgl. Vorlage 0567/2021 „Personal stärken“  vom 29.05.2019

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