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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung d. Stadtpräs. - 0194/2023

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Antrag

 

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Sachverhalt/Begründung

Ausgangssituation Beziehung Kiel - Qingdao

 

Die Landeshauptstadt Kiel unterhält seit 2002/03 Beziehungen zur chinesischen Stadt Qingdao, welche als befreundete Kommune Kiels angesehen wird. Im Rahmen der Austragung der Segelwettbewerbe bei den Olympischen Sommerspielen 2008 wurde in Qingdao ein Segelcamp nach dem Vorbild des Kieler Camp 24/7 aufgebaut, um in der chinesischen Metropole den Segelsport erlebbar zu machen. Auch in den darauffolgenden Jahren fanden insbesondere im Bereich des Segelsports regelmäßige Austausche zwischen Qingdao und Kiel statt. Seit August 2017 pflegt die Landeshauptstadt Kiel außerdem Beziehungen nach Hangzhou (Hauptstadt der chinesischen Provinz Zhejiang, mit der das Land Schleswig-Holstein seit 1986 eine Partnerschaft pflegt).

 

Aus Qingdao wurde der Wunsch an das Büro des Stadtpräsidenten herangetragen, die Freundschaft „auf eine höhere Ebene zu bringen“ und offiziell eine Städtepartnerschaft einzugehen. Über Kiel-Marketing gab es wiederum eine Anfrage vom Qingdao Sports Development Center zur Unterzeichnung einer Kooperationsvereinbarung für die Segelsportaktivitäten von 2023 bis 2026. Die Anfragen aus Qingdao regen die Diskussion über die grundsätzliche Positionierung der Landeshauptstadt Kiel gegenüber ihren chinesischen Partner*innen an sowie über die damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen.

 

Im nachfolgenden Text wird zunächst die politische und gesellschaftliche Situation in China näher beleuchtet und anschließend werden Chancen und Herausforderungen für eine erweiterte kommunale Kooperation sowie mögliche Austausche mit China evaluiert.

 

 

Der chinesische Staat

 

Der renommierte US-amerikanische Politikwissenschaftler Chalmers Johnson entwickelte bereits in den 1980er Jahren das Konzept des Entwicklungsstaates, nicht zu verwechseln mit Entwicklungsland (Johnson 1982): Ursprünglich wurde das Konzept des Entwicklungsstaates auf Japan angewandt, später auf die Entwicklungen in Südkorea, Taiwan, Singapur und Malaysia und auch heute trifft es noch auf das Festland Chinas zu: Unter den gegebenen Bedingungen kann man keine Demokratie einführen, sondern dieser Staat muss zunächst auf autoritärer Grundlage die wirtschaftliche Entwicklung und danach die politische und gesellschaftliche Entwicklung verfolgen. Diese Funktion wird in China von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und ihrem Staat wahrgenommen. Die KPCh ist somit in der Lage, über alle gesellschaftlichen Partikularinteressen und Widerstände hinweg effektive und erfolgreiche top-down Entwicklung von oben nach unten durchzusetzen.[1] Auch der Demokratieindex, der jedes Jahr von der britischen Zeitschrift The Economist erstellt wird, stufte die Volksrepublik China 2022 auf Platz 156 von 167 ein.[2] China wird als hartes autoritäres Staatssystem eingestuft. Der Umgang mit der ethnischen Minderheit der Uiguren oder die aktuelle angespannte Lage zu Taiwan verdeutlichen dies.

 

Parteichef Xi Jinping spricht von der Realisierung des „chinesischen Traums“ unter der Führung der KPCh. Die Bevölkerung Chinas teilt in ihrer großen Mehrheit diesen Traum, das heißt die Vision, China bis 2050 zu einem umfassend modernen Gebilde mit Weltmachtstatus zu entwickeln. Es ist gerade diese Vision, also die Verfolgung nationaler Interessen, die die Existenz und das Wirken dieses Entwicklungsstaates im Innern zu legitimieren scheint.

 

Der 19. Parteitag der Kommunistischen Partei beschloss im Oktober 2017 langfristige Entwicklungsetappen bis zum Jahr 2050:

 

  • Beseitigung von Armut
  • Schaffung einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand
  • Bis 2035 weltweit größte Wirtschaftsmacht werden, Sicherstellung grundlegender Modernisierung, Lösung der Umweltproblematik
  • Bis 2049/2050 (100. Gründungstag der VR China): führende Weltmacht gleichauf mit den USA werden und Schaffung einer allseits modernen Gesellschaft

 

Überdies proklamierte der Parteitag die Schaffung eines „Sozialismus chinesischer Prägung in der neuen Periode“ mit einer klaren politischen Mission und Vision: planmäßige Entwicklung Chinas zur führenden Weltmacht und umfassende Modernisierung, und zwar unter Führung der KPCh. Dieses „Modell“ soll auf den Spezifika und Gegebenheiten Chinas basieren und nicht „westlichen Entwicklungskonzepten“ wie Demokratie und liberaler Marktwirtschaft folgen.[3]

 

Auch der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei im Herbst 2022 verdeutlichte diese Ziele: In seiner Eröffnungsrede bekräftigte Xi Jinping bis spätestens Mitte dieses Jahrhunderts, zum 100. Gründungstag der VR China ein „sozialistisches, auf allen Gebieten modernes und mächtiges Land zu sein“.[4] Zusätzlich will die VR China eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen, bedeutet: Mehr Mitspracherecht für sich und andere freundlich gesinnte Entwicklungsländer in internationalen Organisationen.

 

 

Steuerungsfähigkeit der lokalen Ebene

 

Die Rolle der lokalen Ebene und die Robustheit eines autoritären Staatswesens wurden lange Zeit unterschätzt. Jedoch fungiert nicht nur die zentrale Ebene als Entwicklungsstaat, sondern auch die lokale Ebene. Aufgabe der lokalen Ebene ist es, die Politik der höheren Ebenen im Rahmen zentraler Richtlinien lokal umzusetzen. Die lokale Ebene erhielt im Verlauf des Reformprozesses größere Selbstentscheidungsrechte: Von oben delegierte Maßnahmen sollen im Rahmen lokaler Gegebenheiten, Ressourcen und Spezifika angepasst implementiert werden. Auf diese Weise sollen lokale Probleme effektiver gelöst werden, wobei die Umsetzungs- und Lösungspolitik zugleich durch spezifische Evaluierungsverfahren überprüft und bewertet wird.[5]

 

China als Entwicklungsstaat ist jedoch stark fragmentiert. Sowohl in der politischen Führung selbst gibt es unterschiedliche Interessen, die Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik nehmen, als auch auf vertikaler Ebene zwischen der Zentralregierung, Provinzen, Bezirken und Landkreisen.

 

Chinas Außenpolitik

 

China hat sich in den letzten Jahren als globaler Akteur fest etabliert und verfolgt das Ziel, außenpolitisch „überall auf Spitzenplätzen zu stehen“: Das Land möchte politisch, wirtschaftlich, militärisch und ökologisch eine führende Rolle einnehmen.[6] In diesem Zusammenhang hat China mit mehr als 20 Ländern Europas und Asiens über 14 Freihandelsabkommen abgeschlossen und durch das Seidenstraßen-Projekt „One Belt One Road Initiative“ die Vernetzung mit allen Teilen der Welt vorangetrieben. China hat sich mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens zum Klimaschutz und zur CO2-Reduktion bekannt und auch ein Positionspapier zur Implementierung der Agenda 2030 und den 17 Sustainable Development Goals veffentlicht.[7]

 

Auf kommunaler Ebene pflegen Chinas Städte fast 2.500 partnerschaftliche Beziehungen weltweit.[8] Zwischen China und Deutschland existieren ca. 110 kommunale Partnerschaften[9] mit vielfältigen Themenschwerpunkten aus den Bereichen Klimaschutz, Umweltschutz und Stadtentwicklung. Die kommunale Kooperation bei der wirtschaftlichen Ansiedlung von Unternehmen im jeweils anderen Land oder bei Austauschprojekten von Schüler*innen sind Beispiele aus den bisherigen deutsch-chinesischen Städteverbindungen.

 

Die außenpolitische Situation bleibt dennoch weiterhin angespannt: Im aktuellen Ukrainekrieg hat China bis heute den russischen Angriffskrieg nicht kritisiert, forderte aber gegenüber dem EU-Ratspräsident Charles Michel Ende 2022 erneut Friedensgespräche und warnt vor einer weiteren Eskalation im Krieg gegen die Ukraine.[10] Auf jeden Fall ist China bemüht, einen schwierigen Balanceakt zu vollbringen: Russland nicht zu verurteilen aber auch nicht zu ermutigen oder zu unterstützen. Zugleich nehmen die geopolitischen Spannungen um Taiwan zu: Auf den Besuch der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi im Sommer 2022 antwortete China mit der bis dato größten militärischen Machtdemonstration vor der taiwanesischen Küste.[11] Auch nach der Ankündigung einer hochrangigen FDP-Delegation in Taiwan reagierte China mit einem erneuten Militärmanöver in der Meerenge der Taiwanstraße. Chinas Ostkommando sprach von "gemeinsamen Kampfbereitschafts- und Militärpatrouillen sowie realen Kampfübungen." Ziel sei es, die Fähigkeiten der Truppen zu testen und "provokativen Aktionen externer Kräfte und separatistischer Kräfte für eine 'Unabhängigkeit Taiwans' entschlossen entgegenzuwirken." Der chinesische Botschafter in Berlin verdeutlichte, dass das Ein-China-Prinzip die politische Grundlage für die Aufnahme und den Ausbau der diplomatischen Beziehungen zwischen China und Deutschland darstelle. Zu dieser "politischen Verpflichtung" hätten sich alle bisherigen Bundesregierungen bekannt. Teil der sogenannten Ein-China-Politik ist es, die Regierung in Peking als alleinigen Repräsentanten Chinas anzuerkennen. Die chinesische Regierung lehnt Besuche ausländischer Abgeordneter in Taiwan grundsätzlich ab und bezeichnet sie als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.[12] Deutschland unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan, sieht Taiwan jedoch als wichtigen Wertepartner, mit dem man durch wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Beziehungen verbunden ist.[13]

 

Position der Bundesregierung

 

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sieht die Bundesregierung in ihrem Kurs einer wertegeleiteten Außenpolitik bestätigt. Im Umgang mit autoritären Staaten wie China plädiert die Ministerin für mehr Härte. Die Bundesregierung setze weiterhin auf Dialog, schweige aber Kritisches nicht tot. Es brauche eine klare Haltung und Sprache, auch um sich selbst nicht dem Vorwurf der Doppelmoral auszusetzen.[14]

 

China wird als wichtiger Handelspartner und unersetzlicher Partner bei globalen Fragen wie Klimaschutz gesehen: Ohne China kann auch das Pariser Klimaabkommen nicht erreicht werden. Aus deutscher Sicht ist China eine wachsende Globalmacht, die vor allem bei Schlüsseltechnologien ein hohes Innovationsmaß aufweist. Im Hinblick auf die engen Handelsbeziehungen Deutschlands zu China erarbeitet das Auswärtige Amt derzeit eine China-Strategie. Dabei gehe es darum, mehr Distanz zu schaffen und wirtschaftliche Abhängigkeiten zu reduzieren. Auch die Lieferketten deutscher Unternehmen geraten verstärkt in den Blick, um Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen auszuschließen.

 

Der Appell des Auswärtigen Amtes an die Kommunen ist, auf kommunaler Ebene weiterhin in den Austausch mit chinesischen Städten zu treten. Auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Ampel-Regierung heißt es:Auf der Grundlage der Menschenrechte und des geltenden internationalen Rechts suchen wir die Kooperation mit China, wo immer möglich“.[15]

 

 

Chancen und Herausforderungen einer kommunalen Partnerschaft mit Qingdao

 

Bedeutung von China-Kompetenzen

 

Die deutsche und die europäische China-Strategie stellen noch kein gesamtheitliches Konzept für den Umgang mit dem asiatischen Land dar. China hingegen ist strategisch insbesondere außenpolitisch einheitlich aufgestellt. Die aufstrebende Weltmacht profitiert dabei auch von Schwachstellen auf Seiten der deutschen Bundesländer und Kommunen: Informationsdefizite, fehlendes Problembewusstsein und mangelnde China-Kompetenz sowie mangelnde Koordinierung der Aktivitäten mit China schwächen die deutschen Kommunen in ihren Beziehungen zu China. Um eigene Interessen besser zu identifizieren und durchzusetzen sowie den Partner*innen auf Augenhöhe zu begegnen, ist eine Stärkung der China-Kompetenz von kommunalpolitischen Akteur*innen unabdingbar.[16]

 

Vor diesem Hintergrund kann ein Ausbau der Beziehungen zu Qingdao zur Erweiterung der China-Kompetenz in Kiel und Schleswig-Holstein beitragen. Das Verständnis für das Land und seine Menschen ist eine Schlüsselqualifikation für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Partner*innen in China. Mit kommunalpolitischer Unterstützung können vielfältige Kontakte nach China aufgebaut und gepflegt werden, sodass Menschen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die neugierig auf die andere Kultur sind, diese kennenlernen können. Dies sind die Grundsteine für eine nachhaltige und erfolgreiche Kooperation.

 

Menschenrechtsverletzungen

 

Die Kommunalpolitik darf das Thema Menschenrechte nicht ausblenden, es aber auch nicht zum alleinigen Thema der Partnerschaft machen. Trotz aller kommunalpolitischer Unterschiede kann jede Diskussion auf der lokalen Ebene zu mehr Verständnis auf beiden Seiten beitragen. Austausche können auch zur Vermittlung des eigenen Demokratie-Verständnisses genutzt werden, weshalb diese Kontakte auf kommunalpolitischer Ebene so wichtig sind.

 

Die Auseinandersetzung über Menschenrechte ist in erster Linie Angelegenheit der „großen Politik“. Oder wie es der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe formuliert hat , die Kommunalpolitik sei „in Gefahr, zum Thema Menschenrechte ausschließlich die große Politik zu diskutieren“. Sinnvoller sei es zu verdeutlichen, wie Demokratie auf kommunaler Ebene funktioniere. Der Journalist Shi Ming, der seit über drei Jahrzehnten in Deutschland lebt, hat darauf hingewiesen, dass zum einen europäische Politiker in erster Linie zuhören und weniger kommentieren sollten. Zum anderen sollten die kulturellen Werte des jeweils anderen respektiert und toleriert werden und darauf die gemeinsamen Themen aufbauen. Ein enges Vertrauensverhältnis und Gespräche auf Augenhöhe zwischen Partnerstädten erleichtern das Ansprechen sogenannter „sensibler Themen“, vor allem, wenn die Gesprächsinhalte intern bleiben und nicht einfach öffentlich gemacht werden und die Partnerstadt an den Pranger gestellt wird.[17]

 

Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) hat in ihren jährlichen China-Tables auch einen Appell an kommunale Beteiligte gerichtet: Menschenrechte sollen angesprochen werden, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Trotz der Polarisierung, die dieses Thema bewirkt, sollen proaktiv Kanäle offengehalten werden, die auf kommunaler Ebene zur Völkerverständigung beitragen können.

 

Bedeutung von Völkerverständigung und Städtediplomatie die Rolle der Städte

 

Ein wesentliches Ziel von Städtepartnerschaften ist die Völkerverständigung. Die Beziehungen von Städten und Gemeinden sind der ideale Rahmen für internationale Begegnungen: Durch das Zusammentreffen der Bürger*innen und insbesondere der Jugend zum Beispiel bei schulischen und kulturellen Austauschen entsteht eine nachhaltige Verbindung zwischen zwei Städten und Ländern. Angeregt und gefördert von der Kommunalpolitik, kann die Partnerschaft den städtischen Dialog und die kommunale Entwicklung zukünftig durch die gesammelten Erfahrungen bereichern.  

 

Diese Motivation gilt auch für eine Vertiefung der Partnerschaft mit Qingdao. Im Rahmen dieser könnten interkulturelle Kompetenzen   der Bürger*innen sowie der h kommunalen Akteur*innen in Kiel und Qingdao aufgebaut werden. Konkrete Erfahrungen vor Ort und der direkte Kontakt mit einer anderen Kultur helfen beiden Seiten, Vorurteile abzubauen. Der Mehrwert, sich mit einer anderen Kultur aktiv auseinanderzusetzen, besteht darin, dadurch an große gesellschaftliche Themen wie Bildung, Integration und sozialer Zusammenhalt herangeführt zu werden.  

 

Städte spielen eine immer stärkere Rolle im internationalen Kontext: Fachaustausche auf kommunaler Ebene bieten Dialog- und Austauschmöglichkeiten, um auf globale Herausforderungen aufmerksam zu machen und diese gemeinsam auf lokaler Ebene anzugehen. Dabei ergänzt die Städtediplomatie die diplomatischen Beziehungen der nationalen Regierungen.

 

Im Sinne der SDGs 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) sowie 17 (Globale Partnerschaften) leistet die Landeshauptstadt Kiel durch ihre Städtediplomatie einen Beitrag zur Erreichung der Agenda 2030. Trotz der politischen Differenzen und des Spannungsdialogs zwischen den USA, der EU und China können Städte auf kommunaler Ebene weiterhin die Dialogfähigkeit zu China aufrechterhalten. Dabei ist die Partnerschaft ein wichtiges Instrument der zukunftsorientierten Kooperation, durch die außenpolitische Herausforderungen bei den kommunalen Partner*innen angesprochen werden können. Weil auch Kiels Partnerstadt Brest in Frankreich eine Partnerschaft zu Qingdao pflegt, ist der Ausbau einer multinationalen Beziehung eine wertvolle Option für die kommunale Diplomatie in Kiel.

 

 

Das öffentliche Meinungsbild von China

 

Eine von Pew Research Centers in Washington veröffentlichte Umfrage zeigt, dass das Image von China in weiten Teilen der Welt negativ geprägt ist. Auch in Deutschlang spiegelt sich dieser Umfrage wieder: In 2022 haben 74% der befragten Personen angegeben eine negative Meinung zur Volksrepublik China zu haben, Ende 2021 hingegen waren es nur 55% der Befragten die den wachsenden Einfluss Chinas als negativ empfanden.[18] Ein negatives Chinabild wirkt sich zweifelsfrei auf die öffentliche Meinung und die öffentliche Bewertung einer potentiellen Partnerschaft mit Qingdao aus.

 

Es ist anzunehmen, dass sich die negative öffentliche Wahrnehmung von China im Zuge der sich aktuell verschärfenden Taiwan-Krise und dem Krieg in der Ukraine noch verstärkt hat. Es ist jedoch insbesondere mit Blick auf die Tatsache, dass die diplomatischen Beziehungen im Großen offensichtlich immer schwieriger werden umso entscheidender, andere Kommunikationskanäle zu stärken. Es kann in Zukunft für Gesellschaft wie Wirtschaft gleichermaßen von Bedeutung sein, dass Kooperationen auf kommunaler und auf regionaler Ebene ausgebaut und fortgeführt werden. In diesem Zusammenhang sei auch auf den Sachverhalt verwiesen, dass in der zunehmend polarisierten Debatte über den Umgang mit China häufig nicht zwischen dem chinesischen Zentralstaat einerseits und der lokalen Ebene sowie chinesischen Bürger*innen andererseits differenziert wird. Auch in China sind Provinzen und Kommunen nicht bloße Erfüllungsgehilfen der Zentralregierung. Sie besitzen ihre eigenen Prioritäten und einen Handlungsspielraum bei der Umsetzung von Politik.

 

Der „Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ hat in seinem Positionspapier zur deutschen China-Strategie betont, dass China globale Gestaltungskraft entwickelt hat und zunehmend die internationalen politischen, wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen prägt. Der von der EU-Kommission eingeführte und im Koalitionsvertrag bekräftige „Dreiklang“ wird weiterhin für den richtigen Ansatz gesehen: Die Beziehungen zu China sollten in den drei Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität gestaltet werden.[19]Außerdem kommt die EU und Deutschland trotz aller Differenzen in zentralen Fragen, wie dem Klimaschutz oder der Reform der Welthandelsorganisation WTO, nur mit und nicht gegen Peking voran.[20]

 

Ohne China können die globalen Fragen der Gegenwart und Zukunft schwerlich gemeistert werden: Klimawandel, Pandemien, Proliferation, Umgang mit bewaffneten Konflikten, Massenmigration, Terrorismus, Cybersicherheit etc., auch Abkopplung, Isolierung oder Eindämmung sind unrealistische Optionen. Dazu ist die Welt zu sehr vernetzt, sind Europa und die USA in starkem Maße abhängig von China, nicht nur vom Warenabsatz, sondern auch von der chinesischen Lieferung von Rohstoffen und Vorprodukten.

 

All dies bedeutet nicht, dass die kommunale Ebene sich nicht kritisch mit China auseinandersetzen oder gar die Augen gegenüber Menschenrechtsverletzungen verschließen sollte. Europa muss für seine Werte eintreten und sich für selbige einsetzen.

 

Fazit und weiteres Vorgehen

 

Die Landeshauptstadt Kiel hat mit ihrer bisherigen Freundschaft zu Qingdao bereits wichtige Brücken in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit gebaut. Brücken sollte man generell niemals einreißen, sondern sie zum Austausch nutzen. Die Verwaltung, Institutionen und Zivilgesellschaft können von einem verstärkten Austausch mit der chinesischen Stadt Qingdao profitieren. Dabei kann persönlicher Kontakt Vorurteile abbauen und für mehr China-Kompetenz in Kiel sorgen.

 

Kiel muss dabei aber die politischen Großwetterlagen aktiv navigieren und die Handlungsfelder der Partnerschaft souverän und nachhaltig gestalten. Die Umsetzung gemeinsamer Projekte dürfte sich durch die aktuellen Rahmenbedingungen schwieriger gestalten. Dennoch sollten Kooperationspotentiale identifiziert und bestmöglich ausgeschöpft werden. Themen von großem gemeinsamen Interesse sind zum Beispiel Meeresschutz und nachhaltige Entwicklung. Miteinander zu reden, lohnt sich immer und kann für beide Parteien einen Mehrwert bieten.

 

 

Vorschlag der Verwaltung zur Vorgehensweise

 

 

1)      Ausbau der Freundschaft zur Partnerschaft mit Themenschwerpunkten

 

Der Vorschlag der Verwaltung sieht vor, die Kooperation mit Qingdao im Rahmen einer Partnerschaft mit vorgegebenen Handlungsfeldern auszubauen. Folgende Bereiche bieten sich an: Umweltschutz, Meeresschutz, Agenda 2030/SDGs sowie die Kooperation im Bereich Wissenschaft und die Evaluation weiterer Themenfelder.

 

Vorerst soll die Erweiterung nur mit Qingdao befristet auf fünf Jahre erfolgen.

 

2)      Gründung eines China-Tisches der Landeshauptstadt Kiel

 

Die Landeshauptstadt Kiel sollte sich strategisch aufstellen und eine gemeinsame China-Kommunikation haben. Hierbei geht es um eine Bündelung der China-Kompetenz der verschiedenen Akteur*innen innerhalb der Verwaltung, Politik, Wissenschaft und anderer Institutionen in Kiel. Mit dem Chinazentrum der Christian-Albrechts-Universität besitzt Kiel bereits weitreichende fachliche China-Expertise. Um bei den rasanten Entwicklungen und sich verändernden außenpolitischen Herausforderungen up-to-date zu bleiben, soll ein China-Tisch eingerichtet werden, bei dem über aktuelle Probleme und Herausforderungen diskutiert werden oder auch der Raum für (inter)kulturelle Begegnungen gegeben werden kann. 

 

3)      Innen- und außenpolitische Themen ansprechen

 

Die Partnerschaft soll bewusst dafür genutzt werden, um politisch kritische Themen anzusprechen. Dies funktioniert nur, wenn es eine Partnerschaft gibt, in der man offen kommunizieren kann, Vorurteile abbaut und Menschen zusammenbringt.

 

4)      Dreieckskooperation mit der Partnerstadt Brest, Frankreich

 

Verbundstrukturen mit anderen europäischen Städten sollen für eine Dreieckskooperation genutzt werden. Kiels Partnerstadt Brest pflegt im Rahmen eines Partnerschaftsvertrags ebenfalls Beziehungen zu Qingdao. Von Qingdao und Brest kamen jeweils Anfragen nach einem gemeinsamen Austausch.

 

 

 

 

 

 

 

 


[1] Heberer und Müller 2020: Entwicklungsstaat China, https://library.fes.de/pdf-files/iez/16040.pdf

[2] The Economist, Demokratieindex

[3] Heberer und Müller 2020: Entwicklungsstaat China, https://library.fes.de/pdf-files/iez/16040.pdf

[4] Eröffnungsrede Xi Jingping, 20.Parteitag der Kommunistischen Partei

[5] Heberer und Müller 2017: Chinas gesellschaftliche Transformation, https://library.fes.de/pdf-files/iez/13075.pdf

[6] Xi Jinping Heralds “New Era” of Chinese Power at Communist Party Congress, in: The Guardian, abrufbar unter: www.theguardian.com/world/2017/oct/18/xi-jinping-speech-new-era-chinese-power-party-congress

[7] Umsetzungsplan der Agenda 2030 , abrufbar unter: 中华人民共和国外交部 (mfa.gov.cn)

[8]  China International Friendship Cities Associations: www.cifca.org.cn/Web/ThirdSearchInfo.aspx

[9]  Bericht Deutsch-chinesische Kommunalbeziehungen.SKEW

[11] Chinapolitan Newsletter, Dezember 2022

[13] Auswärtiges Amt Deutschland und Taiwan

[14]  Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten, https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-897654

[15] Koalitionsvertrag, S. 124 https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf

[16]  Merics China Monitor (2021) Chinas subnationale Diplomatie in Deutschland

[17]  Heberer und Shpakovskaya (2022): Städtediplomatie in den 2020er Jahren https://www.uni-due.de/imperia/md/content/in-east/about/publications_green_series/paper133-2022.pdf

[20] Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (Hrsg.), Wirtschaftszusammenarbeit der EU mit Asien Pazifik. Perspektiven der Deutschen Wirtschaft, Mai 2021. https://www.asien-pazifik-ausschuss.de/de/positionen/apa-position-wirtschaftszusammenarbeit-der-eu-mit-asien-pazifikperspektiven-der-deutschen-wirtschaft

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