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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung - 0957/2018

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Beratungsfolge

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Antrag

 

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Sachverhalt/Begründung

Zusammenfassung:

 

In der Sitzung des Beirats für Seniorinnen und Senioren vom 01.02.2018 und im Ausschuss für Soziales, Wohnen und Gesundheit vom 22.03.2018 wurde die Drucksache 0241/2018 mit der Beantwortung folgender Frage beschlossen:

 

„Welche Möglichkeiten werden gesehen, die Situation der Pflege in den Krankenhäusern der Landeshauptstadt, insbesondere im städtischen Krankenhaus, nachhaltig zu verbessern?“

 

Die Fragestellung bezieht sich zwar vor allem auf die Situation im Städtischen Krankenhaus, aber auch auf die der anderen Krankenhäuser in Kiel. Das Städtische Krankenhaus Kiel ist jedoch das einzige in vollständig kommunaler Hand. Die Verwaltung geht davon aus, dass Problemlagen bei den ansonsten gleichen Rahmenbedingungen (s. u.) überwiegend gleichgelagert sind und hat daher auch aus arbeitsökonomischen Gründen davon abgesehen, bei den anderen Krankenhäusern zu recherchieren.

 

 

Sachverhalt:

 

A. Abhängigkeit der Pflegesituation in Krankenhäusern von äußeren Faktoren

Pflege ist in erster Linie personalabhängig. Die Personalsituation in deutschen Krankenhäusern wird von vielen Faktoren beeinflusst, auf die eine Kommune als Betreiberin von kommunalen Krankenhäusern kaum bis gar keinen Einfluss hat. Beispiele hierfür sind die Rahmenbedingungen durch gesetzliche Vorgaben des Bundes, die finanzielle Ausstattung der Kliniken durch das Abrechnungssystem der Krankenkassen (die sogenannten DRG´s =Diagnosis Related Groups oder auch Fallpauschalen), aber auch die Herausforderung durch den Demographischen Wandel innerhalb bestehender Krankenhausbelegschaften und nicht zuletzt die mehr als angespannte Bewerberlage auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Bereich der Krankenpflege.

 

  1. Gesetzgebung auf Seiten des Bundes

Die aktuellen Pläne des Bundesministeriums für Gesundheit zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, das die Zahl der Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern erhöhen und damit die Pflege verbessern soll, sind grundsätzlich positiv zu bewerten. Die Frage, woher das zusätzliche Personal kommen soll, ist jedoch offen. Des Weiteren bedarf es einer Neuberechnung des notwendigen Pflegeaufwandes. Bislang wurde ein Anteil der Pflege als Teil der Fallpauschale berechnet und entsprechend vergütet. Diese Finanzierung soll bis 2020 neu aufgestellt werden und somit die Pflegekosten unabhängig von den Fallpauschalen machen. Die Kliniken bekämen dadurch ein eigenes Budget für Pflege.

Der mediale und politische Fokus, der derzeit auf dem Thema Pflege liegt, kann hilfreich für eine verstärkte Wahrnehmung dieser Thematik in der Gesellschaft sein und somit das Interesse an den hier tätigen Berufsgruppen befördern.

 

 

  1. Zeitintensive Dokumentationsvorgaben und Preisentwicklung der Fallpauschalen

Das Bundesministerium für Gesundheit sieht künftig die Digitalisierung in der Pflege vor und damit womöglich auch die Vereinfachung bestimmter Abläufe im Pflegealltag. Das dürfte auch die Digitalisierung der Dokumentation einschließen. Aus Sicht des Städtischen Krankenhauses Kiel wäre hier vor allem die Vereinfachung der zeitaufwendigen Dokumentation ein Faktor zur Verbesserung des Zeitbudgets zwischen Patient und Pflegekraft. Es wird bis 30 % der Arbeitszeit für Dokumentation aufgebracht. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Beruf wegen ihres Interesses an der Pflege von Menschen ergriffen haben, wirkt der hohe Anteil an bürokratischen Tätigkeiten negativ und fördert das Desinteresse. 

Die Pauschalen, die für die Behandlung eines Patienten seitens der Kassen bezahlt werden, halten oft nicht mit der tatsächlichen Preisentwicklung Schritt. Die Krankenhäuser stehen unter einem enormen wirtschaftlichen Druck. Die exakte Dokumentation jedes einzelnen Behandlungsschritts ist daher die wirtschaftliche Basis jeder Klinik, da ansonsten die Kosten unter anderem für ausreichendes Personal nicht gedeckt werden können. Die Krankenkassen prüfen sehr genau und monieren kleinste Unstimmigkeiten, was für Nacharbeitungsaufwand sorgt (siehe auch c.).

 

 

  1. Personalmangel durch Demographischen Wandel und Attraktivität des Berufsbildes

Hier zeigt sich für alle Kliniken die größte Hürde auf dem Weg zu einer besseren Pflegesituation sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für die Pflegekräfte selbst. Derzeit arbeiten ca. 800 Menschen in der Pflege im Städtischen Krankenhaus Kiel. Dazu kommen 100 Auszubildende. In absehbarer Zeit werden innerhalb kurzer Zeit viele Pflegekräfte in Rente gehen, da ein hoher nahezu gleichaltriger Anteil von Mitarbeiter/innen beschäftigt ist.

 

Übersicht über den voraussichtlichen Renteneintritt von Pflegekräften pro Jahr im Städtischen Krankenhaus Kiel

Zeitraum

 

2020 - 2025

2026 – 2030

2031 – 2034

2026 – 2034

Anzahl der Mitarbeiter/innen, die jährlich in diesem Zeitraum in Rente gehen werden[1]

 

 

10 – 17

 

 

23 – 28

 

 

18 – 28

In diesem Zeitraum wird ca. ¼ der Mitarbeiterschaft des Städt. Krankenhauses Kiel in Rente gehen

Quelle: Städtisches Krankenhaus Kiel

Stand: Oktober 2018

 

Die vorhandene Personaldecke in den Krankenhäusern dünnt immer weiter aus und kann nicht ausreichend und vor allem nicht zeitnah nachbesetzt werden. Schon jetzt dauert die Wiederbesetzung einer freien Stelle im Bereich der Krankenpflege teilweise mehrere Monate. Im Städtischen Krankenhaus Kiel müssen jährlich um die 60 Stellen neu besetzt werden. Außerdem ist die Zahl der Ausbildungsplätze nicht ausreichend, um den Bedarf zu decken. Die Finanzierung dieser ohnehin zu wenigen Plätze sei außerdem nicht auskömmlich und müsse intern gegenfinanziert werden. Es sei weniger eine Frage des Entgelts als vielmehr eine Frage der Arbeitsbedingungen des Berufs, so die Leitung des Städtischen Krankenhauses, dass sich zu wenige in diesem Bereich ausbilden lassen.

Eine Entlastung durch Vereinfachung der Dokumentationspflichten und mehr Personal könne den Beruf für viele Menschen attraktiver machen.

Erfreulich ist die unterdurchschnittliche Fluktuation der Belegschaft im Städtischen Krankenhaus Kiel von < 10 %, was einen vergleichsweise niedrigen Wert darstellt.

 

 

  1. Auswirkungen auf die Pflegesituation zum Beispiel aufgrund Rechtsprechung: Ein Beispiel vom Europäische Gerichtshofs (EuGH) zum Thema Bereitschaftsdienst

Im Jahr 2003 entschied der EuGH, dass der Bereitschaftsdienst von Ärztinnen und Ärzten Arbeitszeit ist, was einen erheblichen Anwuchs der Stellen für Ärztinnen und Ärzte und im Bereich der Teilzeitbeschäftigungen nach sich zog. Problematisch ist dabei, dass das Budget für Pflegepersonal im Gegenzug nicht im selben Maße erhöht wurde.

 

 

B. Möglichkeiten zur Verbesserung der Pflegesituation seitens der Landeshauptstadt Kiel

 

  1. Ausbildung

      Ausbildung in Teilzeit

Die Möglichkeit, eine Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung nicht nur in der Praxis sondern auch im theoretischen, also schulischen Teil in Teilzeit absolvieren zu können, kann den Beruf für neue Personenkreise öffnen. Am Städtischen Krankenhaus Kiel wird in diesem Jahr erstmalig eine komplett teilzeitorganisierte Ausbildung durchgeführt, die sehr erfolgreich mit 28 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gestartet ist. Der Kurs besteht ausschließlich aus Eltern (zum Teil auch aus Alleinerziehenden), die aufgrund ihrer Kindererziehung keine Vollzeitausbildung absolvieren können. Das Städtische Krankenhaus Kiel ist damit im weiten Umkreis der einzige Arbeitgeber, der eine solche Ausbildung in Teilzeit anbietet. Die Nachfrage nach diesem Ausbildungsformat ist so hoch, dass bei vorhandenen personellen und räumlichen Ressourcen ein weiterer Kurs angeboten werden könnte.

 

      Kooperation mit dem Jobcenter Kiel

Sehr positiv verläuft ein mit dem Jobcenter Kiel durchgeführtes Pflegeassistentenprogramm (6 - monatige Ausbildung). Die Maßnahme wurde im Jahr 2011 erstmalig in Vollzeit angeboten. Bisher konnten 171 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Maßnahme erfolgreich beenden. Die Abbruchquote liegt bei 11,7% und ist damit weit unter dem Durchschnitt anderer Maßnahmen des Jobcenters. Von den 171 Absolventeninnen und Absolventen konnten 141 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, dies entspricht einer Vermittlungsquote von 82%. Etwa die Hälfte verblieb im Städtischen Krankenhaus und qualifizierte sich weiter. Seit 2016 wird die Maßnahme auch in Teilzeit angeboten und wurde bislang von 27 Teilnehmerinnen und Teilnehmern erfolgreich innerhalb eines Jahres abgeschlossen (Abbruchquote 8,1% und Vermittlungsquote 88,9%).

 

 

 

      Bundesweite Vereinheitlichung der Ausbildung zum Pflegehelfer/zur Pflegehelferin

Bei der Qualifizierung zur Pflegehelferin oder zum Pflegehelfer fehlt es in ganz Deutschland derzeit an einer einheitlichen Regelung. Es handelt sich hierbei um eine Weiterbildung meist innerhalb weniger Wochen oder Monate. Die Lerninhalte sind überall unterschiedlich, sodass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bei allen Bewerbungen aus diesem Bereich von unterschiedlichen Kenntnisständen und ungleichem Fachwissen ausgehen müssen. Hier würde eine bundesweit einheitliche Regelung Erleichterung verschaffen, da neues Personal schneller und effizienter eingesetzt werden könnte.

 

 

  1. Unterstützung bei der Integration und Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften

Bei den unter A. aufgeführten Rahmenbedingungen und Problemstellungen besteht für die Landeshauptstadt Kiel wenig Raum für Intervention. Vor allem der Demographische Wandel stellt alle – nicht nur die Pflegebranche – vor enorme Herausforderungen. Eine gezielte Anwerbung von Pflegefachkräften aus dem Ausland könnte da eine erfolgversprechende Option sein. Sechs kommunale Krankenhäuser in Schleswig-Holstein (6K-Verbund) wollen gemeinsam daran arbeiten. Außerdem existieren momentan mehrere Projekte der Bundesagentur für Arbeit und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die eine Immigration von Pflegefachkräften aus Vietnam, Tunesien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und den Philippinen zum Ziel haben. Insbesondere für Kiel würde sich auch anbieten, Fachkräfte über die bereits zahlreich existierenden Brücken der Städtepartnerschaften zu gewinnen. So könnten beispielsweise über die städtische Verwaltung und das Jobcenter beziehungsweise die Bundesagentur für Arbeit speziell für Kieler Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gestaltete Programme entworfen werden.

Nicht erfolgreich verlief der Versuch, Flüchtlinge für die Pflegetätigkeiten im Krankenhaus zu qualifizieren. Neben den sprachlichen Hürden scheiterte das Vorhaben auch aufgrund anderer kultureller Einstellungen (zum Beispiel Voll-, Teilverschleierung, Patienten waschen).

Eine Zuwanderung von Fachkräften benötigt einen umfänglichen Integrationsplan, der die Menschen von Beginn an nicht nur an ihrer Arbeitsstelle, sondern auch im privaten Umfeld begleitet und unterstützt. Sprachkurse, Hilfe bei der Wohnungssuche und bei Behördengängen sowie Angebote für sozialen Anschluss sind bei einer erfolgreichen Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte von entscheidender Bedeutung. Die bereits heute vorhandene Infrastruktur der Landeshauptstadt Kiel in Bezug auf Unterstützung von Migrantinnen und Migranten könnte hierfür gut genutzt werden.

Ein Ansatz, den die Verwaltung initiieren will, wäre eine Akquise in den Partnerstädten der Landeshauptstadt Kiel.

 

 

  1. Vermittlung von Wohnraum

Eine besondere Herausforderung stellt die Wohnraumversorgung von Menschen dar, die im In- und Ausland angeworben werden. Der angespannte Wohnungsmarkt in Kiel sorgt für einen holprigen oder nahezu unmöglichen Start am neuen Arbeitsplatz. Hilfreich wäre eine Art „Wohnheim“ für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kieler Kliniken, in welchem sie für die Dauer ihrer Ausbildung oder übergangsweise bis sie eine eigene Wohnung gefunden haben, leben können. Das Angebot eines Wohnheimzimmers (ähnlich wie im Studentenwohnheim) könnte ein weiterer Pluspunkt bei der Anwerbung von Pflegefachkräften im In- und Ausland sein.

 

 

Fazit:

Die aktuelle und mittelfristige Situation der Pflege stellt alle Beteiligten vor erhebliche Herausforderungen. Die Landeshauptstadt Kiel und das kommunale Städtische Krankenhaus stellen sich wie bisher auch zukünftig diesen Herausforderungen. Wie dargestellt, hat das Städtische Krankenhaus viele Anstrengungen unternommen, der schwierigen Situation erfolgreich zu begegnen. Dazu gehört auch die laufende Prüfung, inwieweit die Zusammenarbeit von kommunalen Krankenhäusern intensiviert werden kann. Hervorzuheben ist, dass es bisher gelungen ist, den Pflegebetrieb aufrechtzuerhalten. Die aus dieser Geschäftlichen Mitteilung ersichtlichen Verbesserungsoptionen sollen beschritten werden.

 

 

Gerwin Stöcken

Stadtrat

 


[1] Unter der Prämisse, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum regulär vorgesehenen Zeitpunkt in Rente gehen. Vorzeitige Renteneintritte wegen Arbeitsunfähigkeit o.ä. sind hier nicht berücksichtigt.

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