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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung - 1073/2006

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Beratungsfolge

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Sachverhalt/Begründung

 

Gemäß Beschluss der Ratsversammlung vom 31. August 2006 wurde die Oberbürgermeisterin

  • um Prüfung der Fördermöglichkeiten für die Einrichtung von Landstromanschlüssen,
  • Eröffnung einer Gesprächsrunde mit den an diesem Thema Beteiligten wirtschaftlichen Interessensgruppen, 
  • Bericht an den Wirtschaftsausschuss im November 2006 über die derzeitigen Aktivitäten im Ostseeraum zur Emissionsreduzierung von Schiffen und über die Bedingungen und Vorrausetzungen zur Unterzeichnung des „Memorandums of Understanding of Sustainable Ports and Maritime Policy in the Baltic Sea Region“ durch die Landeshauptstadt Kiel

gebeten.

 

1. Aktivitäten im Ostseeraum zur Emissionsreduzierung

 

Die Schifffahrt genießt den Ruf als umweltfreundlichster Verkehrsträger, ist jedoch in manchen Häfen oder Gebieten bedeutender Verursacher von Emissionen. Schiffe verkehren grenzüberschreitend. Daher wurden international harmonisierte Standards vereinbart. Die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO) hat Grenzwerte festgelegt. So darf der Schwefelgehalt von Brennstoffen weltweit 4,5 % nicht übersteigen. In international festgelegten Sondergebieten wie der Ostsee beträgt der Grenzwert seit Mai 2006 1,5 %. Nordeuropäische Reedereien wie z.B. die Color Line verwenden freiwillig Treibstoffe, die diese niedrigen Grenzwerte noch weiter unterschreiten.

 

Fast alle Schiffsantriebe werden während der Seereise mit Schweröl betrieben. In den Häfen laufen Dieselmotoren, deren Abgase Schwefel und Stickoxyde enthalten. Unter besonderen Umständen führen Einflussfaktoren wie erheblicher Schiffsverkehr, lange Liegezeiten und geringe anderweitige Belastungen dazu, dass die Schifffahrt als großer Verursacher von Emissionen identifiziert wird. In Lübeck Travemünde liegt diese Konstellation vor. Aus diesem Grunde wurden dort unter Federführung der Stadtwerke Lübeck ein Projekt zur Umsetzung der „Agenda 21“ zur Reduzierung der Schiffsemissionen und das Projekt “New Hansa of Sustainable Ports and Cities“ (Neue Hanse nachhaltiger Häfen und Städte) initiiert.

 

Die „Agenda 21“ lief zwischen 08/2001 und 12/2004 und wurde mit insgesamt 0,252 Mio. Euro vom Umweltbundesamt und dem Land Schleswig-Holstein gefördert. Als Ergebnis wurde festgestellt, dass internationale Standards geschaffen werden müssen, um die Ver- und Entsorgung von Schiffen und die Transportabwicklung kostengünstig und umweltgerechter zu gestalten. Solche Standards kann nur ein internationales Projekt entwickeln. Hierfür wurde das Projekt „New Hansa“ (Laufzeit Mitte 2003-Ende 2005) ins Leben gerufen und mit 0,56 Mio. € aus dem EU-Programm Interreg III B gefördert. Zielsetzung von „New Hansa“ war es, eine ostseeweite umweltpolitische Strategie bezüglich Luftqualität, Lärm, Abfall und Schmutzwassermanagement zu entwickeln und hierdurch ökologischen Beeinträchtigungen durch den maritimen Transport zu minimieren. Die Ergebnisse des Projektes „New Hansa“ sind in einer Machbarkeitsstudie niedergelegt.

 

2. Memorandum of Understanding of Sustainable Port and Maritime Policy in the Baltic Sea Region

 

Im Rahmen des “New Hansa” Projektes wurde ein „Memorandum of Understanding of Sustainable Port and Maritime Policy in the Baltic Sea Region“ (MoU) aufgesetzt und von 14 Parteien aus 5 Ländern gezeichnet. Dieses Memorandum geht weit über den Aspekt der Landstromversorgung von Schiffen während deren Liegezeit in Häfen hinaus und umfasst die Entwicklung einer Strategie zur Reduzierung von mit dem Schiffsbetrieb verbundenen Emissionen, Abwasser, Abfällen und für den Wissens- und Erfahrungstransfer. Eine Verpflichtung zur Umsetzung konkreter Maßnahmen enthält das MoU nicht.

 

Die Studie schlägt die Einwicklung von Methoden zur Verbesserung der Luftqualität, Lärmbelästigung, Abfall und Wasserverschmutzung in Häfen anhand von einheitlichen Kriterien für die Einführung derartiger Maßnahmen in Ostseestaaten und -häfen vor. Ansatzpunkte für grenzüberschreitend harmonisierte Maßnahmen zur Emissionsminderung sind laut Projektstudie: 

 

  • Landstromversorgung während der Schiffsliegezeit (siehe unten)
  • Harmonisierung der Abfallsammlung in den Ostseehäfen
  • Verbesserung des Abfallwirtschaftsmanagements in Häfen
  • Verbesserung der landseitigen Abwasserbehandlungssysteme
  • Promotion und Austausch von „Best Practise“ Beispielen, Wissen und Erfahrungen im hafenseitigen Umweltbereich (siehe unten)

 

Weitere mögliche Maßnahmen wie die Einführung und Verbesserung von umweltfreundlicheren Schiffsantrieben sowie einer weiteren Reduzierung des Schadstoffgehaltes im Schiffskraftstoff wurden nicht explizit hervorgehoben.

 

Einige Städte, Häfen und Reedereien haben individuelle Systeme für die Verringerung maritimer Emissionen, Lärm, Abfall und Schmutzwasserentsorgung entwickelt. Hierzu gehören z.B. wirtschaftliche Anreize zur Reduktion von NOx Emissionen von Schiffen durch die Installation von Filtertechnologien, eine verstärkte Mülltrennung an Bord von Schiffen oder - in Schweden - Rabattsysteme für Schiffe, die besonders umweltfreundlich betrieben werden. Daher empfiehlt das New Hansa Projekt sowie das MoU die freiwillige Einführung von Anreizsystemen zugunsten der technischen Weiterentwicklung im Schiffbau und hinsichtlich der Schiffsabfertigung.

 

Das Land Schleswig-Holstein möchte eine Voreiterrolle einnehmen und ein Pilotprojekt für den Umweltschutz durch Landstromversorgung schaffen. Ein Förderantrag für eine gut zwei Millionen teure Stromversorgungsstation wurde seitens der Stadtwerke Lübeck zugunsten einer Anlage am Seelandkai gestellt.

 


3. Situation in Kiel

 

Die Landeshauptstadt Kiel und die Seehafen Kiel sind sich ebenso wie Reedereien und deren Verbände ihrer Verantwortung für den nachhaltig schonenden Umgang mit Umwelt und Ressourcen bewusst. Am 11. September 2006 fand ein Gespräch zwischen Herrn Minister Döring und der Seehafen Kiel über Möglichkeiten einer eventuellen Förderung einer weiteren Demonstrationsanlage zur Landstromversorgung in Kiel statt. Für die eingehende Befassung mit der Möglichkeit zur Förderung einer zweiten Anlage sind Bedarfsanalysen und Voruntersuchungen z.B. hinsichtlich der technischen Machbarkeit, der operativen Anforderungen, der Nachfrage und des investiven sowie des laufenden Mittelbedarfs erforderlich.

Bezüglich der im MoU thematisierten Harmonisierung der Abfallsammlung und Verbesserung des Abfallwirtschaftsmanagements in Häfen sowie der Verbesserung der landseitigen Abwassersysteme erfüllen deutsche Ostseehäfen bereits sehr gute Standards. Die Entsorgung von Abfall und Abwasser findet im Kieler Hafen über zertifizierte Entsorgungsfachbetriebe statt. Anlegenden Schiffen stehen im Kieler Hafen Anschlüsse für die landseitige Entsorgung von Schmutzwasser zur Verfügung.

 

Landstromversorgung

Die Standardisierung einer Landstromversorgung zumindest für die Ostseeregion wird als richtungweisend für die Akzeptanz und Effizienz solcher Systeme betrachtet. Eine Harmonisierung gibt es ebenso wenig wie internationale Standards für die Bordstromversorgung und -erzeugung. Innerhalb des „New Hansa“ Projektes wurde deshalb ein technisches Konzept für die Landstromversorgung in spezifischen Frequenzen und Eigenschaften, abhängig vom Informationsaustausch zwischen Schiff und Landversorgung entwickelt. Die Schifffahrt unterstreicht die Auffassung, dass vor allem international einheitliche Spezifikationen für alle Häfen benötigt werden.

 

Ein erster Dialog der Seehafen Kiel mit Fährschiffsreedereien bezüglich der hafen- und schiffsseitigen technischen Anforderungen und eine Grobschätzung des hafen- und schifffahrtsseitigen Aufwandes ist aufgrund der Komplexität der Thematik noch nicht abgeschlossen. Berücksichtigt werden müssen in erster Linie die Stromspannungen und –frequenzen von Seeschiffen. Diese variieren je nach Schiffsart zwischen 400 und 10.500 V. Es sind sowohl innerhalb des betreffenden Schiffes als auch an Land aufeinander abgestimmte Transformatorstationen zu errichten. Es gibt keine Normen oder Übereinkünfte hinsichtlich der Bordstromspannungen und -frequenzen. Solange keine Standards definiert sind, ist es sehr aufwendig, Transformatoren für alle Arten von Schiffen vorzuhalten, die den Hafen anlaufen könnten. Die Landstromentnahme erforderte die Schaffung entsprechender Kraftwerks- und Zuleitungskapazitäten die – bei entsprechenden Investitions- und Vorhaltekosten - nur unregelmäßig und zeitlich begrenzt ausgelastet werden. In zweiter Linie sind die vergleichsweise kurzen Liegezeiten der Fährschiffe in Kiel zu beachten. Dies betragen zwischen 4 und 5 Stunden (Oslo, Klaipeda) bzw. rund 10 Stunden (Göteborg). Erste Erkenntnisse können jedoch wie folgt zusammengefasst werden:

 

·          Stena Line

       Die Schiffe der Stena Line sind für die Aufnahme von Landstrom in Göteborg ausgerüstet. Die Aufnahmeeinrichtungen befinden auf der Backbordseite. In Kiel liegen die Schiffe steuerbordseitig, so dass schiffsseitige Anpassungen vorgenommen werden müssten. Die Kosten für die Einrichtungen zur Landstromversorgung erfordern schätzungsweise Investitionen in Höhe von mehreren 100.000 €. Es wird geprüft, inwieweit eine steuerbordseitige Installation wirtschaftlich realisierbar ist.

 

 

 

·          Color Line

       Die Reederei Color Line benutzt für den Schiffsantrieb und die Stromversorgung einen Kraftstoff, dessen Schwefelanteil weit unter den vorgeschriebenen Werten der IMO liegt und verfolgt damit bereits eine unweltfreundliche Firmenpolitik auf der gesamten Fährstrecke und nicht nur auf die Hafenliegezeiten beschränkt. Mit dieser Ausrichtung entspricht Color Line auch den Intentionen der  IMO, die beabsichtigt, die Grenzwerte für Schadstoffe im Schiffstreibstoff noch weiter herabzusetzen, um Emissionen nachhaltig während der gesamten Schiffsreise zu reduzieren, ohne an Land zusätzliche Emissionen zu verursachen. Die Color Fantasy und auch der im nächsten Jahr in Dienst gehende Neubau Color Magic sehen aus diesem Grunde keine Anschlüsse für Landstrom vor.

       Für den Anschluss an Landstrom müssten an Bord und an Land jeweils Umspanntransformatoren geschaffen und weiter Anpassungen durchgeführt werden. Die Umrüstungskosten für beide Fährschiffe und auf dem Norwegenkai belaufen sich auf schätzungsweise 1,5 Mio. Euro. Die Kosten für die Stromzuführung zum Norwegenkai sowie seitens der Stadtwerke sind darin nicht enthalten. Eine Investition in diesem Umfang würde sich hinsichtlich der ausgesprochen kurzen Liegezeit nicht rechtfertigen.

       Um jedoch die Möglichkeit einer Landstromversorgung zu schaffen, werden bei der Erweiterung des Norwegenkais für die Color Magic entsprechende Leerschächte geschaffen.

 

·          Ostuferhafen

       Die Baltikumlinien am Ostuferhafen zeigen seit Anfang des Jahres wieder steigende Umschlagszahlen. Diese müssen sich nun verstetigen, bevor Reedereien wie DFDS Lisco auf weitere Investitionen angesprochen werden können. Die Seehafen Kiel wird auch bei anstehenden Hafenausbauten des Ostuferhafens Leerschächte für Landstromanschlüsse integrieren.

 

·          Kreuzschifffahrt in Kiel

       Kiel wird von zahlreichen Kreuzfahrtschiffen unterschiedlichster Bauart und Baujahre angelaufen, die ganzjährig weltweit verkehren. Dies macht die Integration dieses Marktsegments in ein Landstromkonzept ohne eine einheitliche internationale Standardisierung nicht möglich.

Die Umrüstung von Schiffen für die Landstromaufnahme ist, sofern überhaupt möglich, so komplex, dass eine Anlastung der damit verbundenen Kosten an den Reeder den wirtschaftlichen Weiterbetrieb von Schiffslinien ernsthaft gefährdete.

       Da langfristig die Möglichkeit einer allgemeinen Harmonisierung der technischen Standards für die Bordstromerzeugung und -Versorgung sowie die Landstromversorgung besteht, legt die Seehafen Kiel bei künftigen Hafenbaumaßnahmen entsprechend dimensionierte Kabelschächte an. Bereits das neue Cruise & Ferry Center Ostseekai wird mit solchen Leerschächten ausgestattet. Die Seehafen Kiel wird im Falle einer Standardisierung selbstverständlich auch die bestehenden Terminals mit Landstromanschlüssen nachrüsten.

 

Erfahrungsaustausch

Die Seehafen Kiel beteiligt sich in der Entwicklung einer langfristigen internationalen Standardisierung in Form einer neuen Arbeitsgruppe des Zentralverbandes der Deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) als Dachverband der Hafenunternehmen in Deutschland und in der Arbeitsgemeinschaft Schleswig-Holstein. Wichtige Bestandteile der Diskussion werden die internationale Standardisierung und die einheitliche Spezifikation von Landstromanlagen sein sowie eines Anreizsystems zur Einführung und Verbesserung umweltfreundlicher Schiffsantriebe und einer weiteren Reduzierung des Schadstoffgehaltes im Schiffskraftstoff.

 

In Vertretung

 

 

 

 

Adolf-Martin Möller

Stadtrat

 

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