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ALLRIS - Drucksache

Geschäftliche Mitteilung - 1276/2023

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Beratungsfolge

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Sachverhalt/Begründung

 

Das Jugendamt informiert über den Start des Kieler Pilotprojektes “Kitaplatz für Kinder mit besonderem Inklusionsbedarf“.

 

Hintergrund

 

Für Eltern von Kindern mit besonderem Inklusionsbedarf erweist es sich zunehmend als schwierig, einen passenden Kitaplatz zu finden. Auch dem Servicebüro des Jugendamtes, welches das Ziel verfolgt, Eltern bei der Suche nach einem geeigneten Platz zu unterstützen, gelingt dies für diese spezifische Zielgruppe nicht.

 

Alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr haben ein bundesgesetzlich normiertes Recht auf Bildung und Betreuung in einer Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflegestelle. Damit soll die gleichberechtigte Teilhabe aller Kinder, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Grad der Behinderung, Gesundheit und Religion, gewährleistet werden.

Erkenntnisse aus der Bildungsforschung konnten hinlänglich die positiven Auswirkungen einer guten frühkindlichen Bildung auf die Entwicklung und das (soziale) Lernen von Kindern, besonders durch Anregung und Interaktionen in förderlichen Kontexten, belegen. Qualitätsvolle Kitaarbeit steuert somit unterschiedlichen Startchancen entgegen und wirkt sich nachweislich positiv auf soziale Ungleichheiten aus. Daher eint alle Akteursgruppen das gemeinsame Ziel, dieses Recht allen Kieler Kindern und Familien zu ermöglichen.

 

Die vielfältigen gesellschaftlichen, rechtlichen und arbeitsmarktspezifischen Herausforderungen beeinflussen jedoch auch das Handlungsfeld der Kindertagesbetreuung. Der sich seit Jahren abzeichnende und kontinuierlich voranschreitende Fachkräftemangel und der daraus resultierende Fachkräftebedarf ist ein Wirkfaktor in einem belasteten System.

Für Familien mit Kindern mit erhöhtem Förder- und Assistenzbedarf wird die Suche nach einem bedarfsgerechten Betreuungsplatz immer herausfordernder, auch wenn im Jahr 2022 bereits 243 Kinder mit Förderbedarf in Kieler Kitas betreut wurden. Dennoch standen 40, zum Teil schwer beeinträchtigte Kinder mit weitreichendem Assistenzbedarf auf der Warteliste ohne Betreuungsplatz. Aber auch diese Kinder haben ein Recht auf Teilhabe und den Zugang zum Bildungssystem.

 

Zielgruppe der Kinder

 

Es geht um Familien von Kindern, die häufig lange auf der Suche nach einem bedarfsgerechten Betreuungsplatz sind und die neben einer heilpädagogischen Förderung zusätzliche Assistenzleistungen während der Anwesenheit in der Kita benötigen. Häufig sind dies Kinder mit frühkindlichem Autismus oder Kinder mit tiefgreifenden/ kombinierten globalen Entwicklungsverzögerungen und -störungen. Die Bandbreite der autistischen Erscheinungsformen ist vielfältig. Nicht selten gibt es Doppeldiagnosen, die mit fließenden Übergängen einhergehen, wie Autismus und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Manchmal gehen diese Krankheitsbilder auch mit Epilepsie einher. Diese Kinder benötigen in der Kita eine Begleitung, die sich vollkommen auf den Bedarf des Kindes einlässt, da sie eine hoch individuelle Lebens- und Lerngeschichte haben und die Erscheinungsformen ebenso individuell sind. Es können Kinder sein, die nicht sprechen, eine geistige Einschränkung oder auch Hochbegabungstendenzen haben, die mehr oder weniger stark ausgeprägte Anpassungsproblematiken haben, keinen Blick- und Körperkontakt zulassen, mit Ängsten leben etc. Auch der Wechsel vom Gruppengeschehen in reizarme Nebenräume oder das Außengelände ist für diese Kinder besonders wichtig und bedarf daher einer unmittelbaren Begleitung.

 

Der Betreuungsumfang orientiert sich am Kind und kann bei Bedarf gesteigert werden. Bei verschiedenen Diagnosebildern kann es Kindern schwerfallen, sich über mehrere Stunden am Tag in der Kita aufzuhalten. Sie benötigen nicht selten nach nur kurzer Betreuungszeit eine reizärmere Umgebung im privaten Umfeld. An den jeweiligen Bedarf der Kinder werden die Betreuungsverträge angepasst.

 

 

Pilotprojekt

 

Das Pilotprojekt hat das Ziel, Rahmenbedingungen in Kitas zu fördern, damit die Teilhabe dieser Kinder im Kitaalltag sichergestellt werden kann. Die Sachbereiche „Kitabedarfsplanung (Jugendamt)“ und „Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche (Amt für Soziale Dienste)“ erarbeiteten im März 2023 mit interessierten Kitas zum einen die Zielgruppe und zum anderen unterstützende Voraussetzungen, um eine angemessene Förderung für alle Kinder dieser Zielgruppe sicherstellen zu können.

 

Im Kern geht es darum, über „Freihalteplätze“ (die auch finanziert werden) bis zu den Herbstferien eine zeitnahe Aufnahme eines Kindes dieser Zielgruppe (sofort mit einer Platzreduzierung) sicherzustellen. Bisher wurden in allen Kitas die Plätze bis zum Beginn des Kitajahres vergeben und eine Platzreduktion war dann nicht entsprechend möglich, erst wieder, wenn andere Kinder die Gruppe verließen. Dies bedeutete für das Personal, aber auch für die Kinder eine besondere Herausforderung.

Es wurden daher Kitas gesucht, die zum einen die Belegungssteuerung mitgestalten und zum anderen auch die Betreuung von Kindern mit erhöhtem Inklusionsbedarf übernehmen können.

Zudem sorgen die Absprachen für einen geringeren Verwaltungsaufwand für alle Beteiligten.

 

Für das Kitajahr 2023/2024 meldeten 16 Kitagruppen von 6 Trägern ihr Interesse an;

für das Kitajahr 2024/2025 weitere 10 Kitagruppen von 5 weiteren Trägern (Stand Oktober 2023).

 

 

Folgende Rahmenbedingungen wurden festgelegt:

 

  • Die teilnehmenden Kitagruppen (Elementar- und Altersgemischte Gruppen) belegen ihre Plätze bis zu den Herbstferien mit 18 (anstatt 22) Kindern. Durch das Freihalten der Plätze können die Kinder mit besonderem Inklusionsbedarf sofort oder zumindest zeitnah aufgenommen werden. Die gesetzlich erforderliche Platzreduzierung wird somit sofort nach Aufnahme vollumfänglich ermöglicht.
  • Dem voraus geht ein sogenannter „Matching-Prozess“: Alle am Projekt Beteiligten prüfen gemeinsam, welche Kita den jeweiligen Hilfebedarf am besten decken kann. Selbstverständlich bleibt das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern bestehen.
  • Bei Aufnahme eines Kindes mit höherem Förderbedarf entfällt der Antrag auf Platzzahlreduzierung durch den Kita-Träger.
  • Die aufzunehmenden Kinder werden von Beginn an 6h/Woche im Rahmen einer Einzelintegrationsmaßnahme von einer heilpädagogischen Fachkraft begleitet und gefördert sowie 24h/Woche von einer Teilhabeassistenz. Der außerordentlich hohe Förderbedarf ist den Beteiligten bekannt. Somit entfällt die ansonsten übliche Einzelfallprüfung des individuellen Bedarfes zu Beginn. Den Kindern wird so das Ankommen in der Kita erleichtert. Das Kita-Team hat Planungssicherheit und Unterstützung von Beginn an.
  • Die Summe der beiden Hilfeleistungen ist gedeckelt durch den Betreuungsumfang des Kindes. Wird ein Kind beispielsweise nur 20h/Woche in der Kita betreut, wird die Summe der Hilfeleistungen diese Stundenanzahl nicht überschreiten. Nach sechs Monaten wird das Hilfesystem auf Passgenauigkeit überprüft, da dann die Eingewöhnungszeit in der Kita in der Regel abgeschlossen ist.
  • Im Rahmen einer Einzelfallprüfung werden Fahrtdienstoptionen erwogen und finanziert, wenn die Distanz zur Kita, die einen bedarfsgerechten Platz anbieten kann, dadurch für die Familie überwunden wird.
  • Den teilnehmenden Kitagruppen wurde ein zusätzliches Sachkostenbudget von 200€ pro aufgenommenem Kind von der Pilotprojektliste für den Zeitraum 01.08.-31.12.23 und weitere 250€ pro aufgenommenem Kind für den Zeitraum 01.01.-31.07.24 zur Verfügung gestellt. Aus diesen Mitteln kann zusätzliches pädagogisches Material finanziert werden.
  • Einige dieser Kinder erhalten vor Eintritt in die Kita heilpädagogische Hilfen im Rahmen einer ambulanten Frühfördermaßnahme. Damit ein gelingender Übergang zur heilpädagogischen Hilfe in der Kita sichergestellt werden kann, wird im Rahmen von 2 Fachleistungsstunden die Informationsweitergabe zwischen den Heilpädagog*innen gewährt.
  • Das Jugendamt lädt die teilnehmenden Kitagruppen regelmäßig zu sogenannten „Pilotrunden“ ein. In diesem Rahmen gibt es die Möglichkeit, Gelingensfaktoren zu identifizieren, Herausforderungen in der aktuellen Praxis zu benennen und Handlungsoptionen zu thematisieren.

 

 

Aktuell können durch diese Maßnahmen alle Kinder mit besonderem Inklusionsbedarf auf der Warteliste einen Betreuungsplatz bekommen.

 

Zum Kitajahr 2023/2024 standen noch immer 14 Kinder mit umfänglichem Teilhabe- und Förderbedarf auf der Warteliste für dieses Projekt. 10 Kinder konnten in den teilnehmenden Projektgruppen aufgenommen werden. Ein weiteres Kind soll in einer heilpädagogischen Kleingruppe einen Platz finden und drei Familien haben ihren Bedarf an einem Kitaplatz zurückgezogen (Gründe: eine Familie hat sich erst einmal gegen die Betreuung in einer Kita entschieden; eine Familie ist verzogen und ein Kind soll aufgrund des Alters erst im nächsten Jahr aufgenommen werden).

Für die betroffenen Kinder und Familien ist ein Kitaplatz ein wichtiger Schritt: Die Kinder werden bedarfsgerecht begleitet und betreut und entwickeln sich in Interaktionen mit anderen Kindern weiter. Die Eltern erlangen Planungssicherheit durch die verlässliche Betreuung ihres Kindes.

 

Erfreulich ist nicht nur die hohe Erfolgsquote zur Platzvergabe im Pilotprojekt, sondern auch die zunehmende Bereitschaft von Kitagruppen, am Projekt teilzunehmen. Das Jugendamt ist optimistisch, auch im neuen Kitajahr weitere Kieler Kinder und Familien im Rahmen des Projektes versorgen zu können.

 

Die enge Kooperation zwischen den drei Akteursgruppen ist entscheidend für den Erfolg des Projektes und wird durch die strukturelle Überführung der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche ins Jugendamt noch weiter intensiviert werden können.

 

Finanzielle Auswirkungen

 

Die Finanzierung der Personalkosten, um den individuellen Teilhabebedarf der Kinder zu decken, erfolgt - wie für alle anderen Kinder mit Inklusionsbedarf auch - aus den Mitteln der Eingliederungshilfe. Die Sachkosten fördert das Jugendamt.

 

Kieler „Kompetenzzentrum Inklusion“

 

Zum 01.09.2023 hat das Kieler Kompetenzteam Inklusion seine Arbeit aufgenommen. Das Team besteht momentan aus 9 Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Professionen: Sozialpädagog*innen, einer Krankenschwester, Heilpädagog*innen und Sprach- und Kulturmittler*innen.

 

Das Land Schleswig- Holstein finanziert die Aufwendungen für das Kompetenzzentrum - inkl. Personal- und Sachkosten - zunächst bis Ende 2025. Ziel ist, das frühkindliche Bildungs- und Betreuungssystem auf dem Weg hin zu einer inklusiven Kita zu unterstützen. Allen Kindern soll eine bedarfsgerechte Bildung und Betreuung und damit die individuelle Teilhabe ermöglicht werden. Es soll im Sinne einer inklusiven Grundhaltung, Diversität als Bereicherung erlebt werden. Die Beratungs-, Fortbildungs- und Unterstützungsangebote des multiprofessionell ausgerichteten Kompetenzteams Inklusion stehen allen Kieler Kitas und Kindertagespflegepersonen zur Verfügung:

 

  • Fortbildungen und Qualifizierungen von Leitungs- und Fachpersonal der Kindertageseinrichtungen sowie Kindertagespflegepersonen zu spezifischen und allgemeinen Aspekten von Inklusion (z.B. auch Gestaltung von Dienstbesprechungen, Fallsupervisionen, beratende Tätigkeiten zu diversen Krankheitsbildern)

 

  • Angebote zur Anleitung und Beratung des pädagogischen Fachpersonals vor Ort und „am Kind“ in den Einrichtungen mit dem Ziel einer bestmöglichen und individuellen Förderung einzelner Kinder mit besonderen Bedürfnissen wie z. B. gemeinsame Erprobung und Gestaltung einer maßgeschneiderten Mittagssituation für ein Kind mit Essschwierigkeiten.

 

  • Leistungen zur Unterstützung der Einrichtung in der Zusammenarbeit mit den Rehabilitationsträgern und den jeweiligen Leistungserbringern.

 

  • Zurverfügungstellung von Dolmetscherleistungen für Fremdsprachen (Sprach- und Kulturmittler*innen) bei Elternversammlungen, Aufnahmegesprächen, Eingewöhnungen, Entwicklungsgesprächen und anderen Elterngesprächen.

 

Auch Direktleistungen, also die direkte Arbeit mit dem Kind (Begleitung, Förderung, Bildung) in der Kita/tagespflege, sind im Rahmen der Förderrichtlinie möglich. Diese flankierende Möglichkeit unterstützt die Versorgung im Rahmen des Pilotprojektes Kitaplatz für Kinder mit besonderem Inklusionsbedarf.

 

Fachtag

 

Die inklusive Bildung und Betreuung wird am 11.12.2023 Thema auf dem vom Jugendamt geplanten Fachtag mit dem Titel „Wie das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe gelingen kann – Inklusion in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege“ sein.

Mitarbeitende in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen, Fachberatungen, Sachbereiche des Jugendamtes „Kitabedarfsplanung“ und „Kompetenzteam Inklusion“ ,Trägervertreter*innen, politische Vertreter*innen und Interessierte sind herzlich eingeladen, den Ausführungen der drei Hauptreferierenden, die das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick nehmen werden, zu folgen.

 

 

 

 

 

Renate Treutel

Bürgermeisterin

 

 

 

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