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ALLRIS - Drucksache

Antrag der Verwaltung - 0966/2020

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Beratungsfolge

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Antrag

Antrag:

 

Der Beschluss der Ratsversammlung vom 19.03.20 (Drucksache 0230/2020), den ABK zu ermächtigen, die Dualen Systeme per Rahmenvorgabe anzuweisen, LVP-Abfälle ab dem 01.01.22 nur noch in Gelben Tonnen zu erfassen, wird aufgehoben.

 

 

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Sachverhalt/Begründung

Begründung:

 

Seit 1993 wird in Kiel die Fraktion der sogenannten "Leichtverpackungen" (LVP: Verpackungen aus Kunststoff, Metall, Verbundmaterial und Naturmaterial) in Gelben Tonnen und Gelben Säcken erfasst. Damals wurde für jedes einzelne Grundstück das jeweils bevorzugte Erfassungssystem mit dem Eigentümer resp. der Eigentümerin vereinbart. Die so erreichte Zuordnung von Sack- und Tonnengrundstücken blieb bis heute weitgehend erhalten, Änderungswünsche wurden von dem Drittbeauftragten der Dualen Systeme, seit vielen Jahren die Fa. Remondis, in aller Regel zurückgewiesen. Zurzeit werden auf ca. 22.000 Grundstücken Gelbe Säcke verwendet, auf den restlichen ca. 11.000 Grundstücken Gelbe Tonnen.

 

Die oftmals nennenswerte Verschmutzung öffentlicher Flächen infolge von aufreißenden Gelben Säcken resultierte über die Jahre in der Forderung, die LVP-Erfassung in Kiel umzustellen auf ein flächendeckendes Tonnensystem. Die Möglichkeit hierzu ergab sich erstmals aus dem am 01.01.19 in Kraft getretenen neuen Verpackungsgesetz. Dieses erlaubt es den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern, den Dualen Systemen durch einen Verwaltungsakt, die "Rahmenvorgabe", bestimmte organisatorische Bedingungen einseitig vorzugeben.

 

In diesem Sinne hat die Ratsversammlung der Landeshauptstadt Kiel hat mit Beschluss vom 19.03.20 den ABK ermächtigt, die Dualen Systeme mittels Rahmenvorgabe anzuweisen, Leichtverpackungen (LVP) in Kiel ab dem 01.01.22 nur noch in Gelben Tonnen im Vollservice zu erfassen. Um dieses Startdatum halten zu können, muss die Stadt die Rahmenvorgabe bis spätestens zum Jahresende 2020 erlassen haben.

 

Der Rat ging zum Zeitpunkt seines Beschlusses davon aus, dass der Vollservice integraler Bestandteil des Kieler Entsorgungskonzeptes sei und insofern zwingend Teil der geplanten Rahmenvorgabe sein müsse. Allerdings hatten die Dualen Systeme bundesweit angekündigt, die Vorgabe des Vollservice nicht akzeptieren zu können.

 

Mittlerweile liegen erste Gerichtsentscheidungen anderer örE zu dieser Thematik vor (VG München, VG Göttingen/OVG Lüneburg, VG Mainz/OVG Koblenz). Übereinstimmend folgen die Gerichte grundsätzlich der Rechtsauffassung der Dualen Systeme. Sie argumentieren, dass das Verpackungsgesetz die Zusammenarbeit zwischen Dualen Systemen und öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern als Ausdruck eines Konsensprinzips verstehe. Der Erlass einer einseitigen Rahmenvorgabe stelle einen derart massiven Eingriff in dieses Prinzip dar, dass sich der vorgegebene Regelungsgehalt strikt auf den im Verpackungsgesetz definierten Bereich beschränken müsse. Da der Vollservice im Verpackungsgesetz nicht genannt werde, könne er auch nicht Bestandteil einer Rahmenvorgabe sein.

 

Die renommierte und auf das Verpackungsrecht spezialisierte Juristin Frau Dr. Andrea Vetter aus Stuttgart, die den ABK in dieser Angelegenheit unterstützt, erwartet, dass die für Kiel zuständigen Verwaltungsrichter in Schleswig den abgesteckten Rahmen der bislang ergangenen Entscheidungen nicht verlassen werden. Eine von der Stadt erlassene Rahmenvorgabe, welche die Beibehaltung des Vollservice verbindlich vorschreibt, werde daher voraussichtlich ebenfalls bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zurückgewiesen. Das sich anschließende Hauptsacheverfahren werde sich über mehrere Jahre hinziehen, ehe ein endgültiges Urteil erwartet werden könne.

 

Die weiteren Handlungsmöglichkeiten der Stadt stellen sich zurzeit wie folgt dar:

 

  1. Erlass einer Rahmenvorgabe "Gelbe Tonne mit Vollservice", wie am 19.03.20 beschlossen

Die Dualen Systeme werden Klage vor dem VG Schleswig gegen die von der Stadt erlassene Rahmenvorgabe erheben. Die Verwaltungsrichter werden voraussichtlich im Sinne der bislang vorliegenden Urteile entscheiden. Offen ist dabei zunächst, welche Auswirkungen ein solcher Rechtsstreit auf die derzeitigen Kieler LVP-Erfassungsstrukturen haben würde. Es besteht die Möglichkeit, dass zwar alle Kieler die Gelbe Tonne erhalten, allerdings zumindest bis auf Weiteres ohne Vollservice. Es kann aber auch sein, dass der Vollzug der Rahmenvorgabe insgesamt ausgesetzt wird, es also zunächst beim bestehenden Mischsystem aus Sack und Tonne bleibt. Für diesen Fall hat das Duale System Zentek, welche für die Landeshauptstadt Kiel als "Gemeinsamer Vertreter" der Dualen Systeme für den Ausschreibungszeitraum 2022 – 2024 zuständig ist, angekündigt, der Stadt Kiel den bestehenden Vollservice für die derzeit bereits ausgegebenen Gelben Tonnen einseitig zu streichen mit der Begründung, die Stadt habe das Konsensprinzip gestört. Die Gelben Tonnen müssten dann ab dem 01.01.22 am Abfuhrtag am Straßenrand bereitstellt werden. Statt der von der Stadt beabsichtigten Verbesserung des Erfassungssystems ergäbe sich also eine signifikante Verschlechterung. Ob die Rechtsauffassung der Fa. Zentek tragfähig ist, ist derzeit unklar; die Stadt müsste diese Frage womöglich in einem weiteren zeitaufwendigen Gerichtsverfahren klären lassen.

 

Der Erlass einer Rahmenvorgabe, welche den Vollservice verbindlich vorschreibt, wird also zu einem anderen als dem beabsichtigten Ergebnis führen. Aus diesem Grund sollte die Stadt zumindest vorerst von diesem Schritt absehen.

 

  1. Erlass einer Rahmenvorgabe "Gelbe Tonne ohne Vollservice"

Nach den bisherigen Erkenntnissen werden die Dualen Systeme eine Rahmenvorgabe, welche lediglich die Umstellung auf ein flächendeckendes Tonnensystem vorsieht und somit auf das Durchsetzen des Vollservice verzichtet, anstandslos akzeptieren und umsetzen. Es stellt sich insofern die Frage, ob die Stadt auf die Durchsetzung des Vollservice verzichten soll.

 

Bis heute werden alle behälterbasierten Erfassungssysteme in Kiel (Restmüll, Bioabfall, Papier und Leichtverpackungen) im Vollservice geleert. Wie in den meisten anderen Großstädten ist der Vollservice in Kiel ein historisch gewachsener und essentieller Bestandteil des abfallwirtschaftlichen Systems. Dabei geht es nicht so sehr um den – ohne Frage wichtigen – Servicegedanken. Das eigentliche Ziel des obligatorischen Vollservice ist es, sicherzustellen, dass die zu leerenden Abfallbehälter nur so kurz wie irgend möglich den ohnehin knappen öffentlichen Straßenraum in Anspruch nehmen. Nur auf ausdrücklichen Antrag erlaubt der ABK dem einzelnen Anschlusspflichtigen, seine Abfallbehälter selbst zur Abfuhr bereitzustellen. Hierzu schreibt § 24 Abs. 5 der Kieler Abfallsatzung vor, dass dies am Abfuhrtag zur Entleerung bis 06:00 Uhr zu geschehen habe und dass nach der Leerung der Behälter unverzüglich von der öffentlichen Verkehrsfläche zu entfernen sei. Auf diese Weise soll die Belastung des öffentlichen Raumes im Rahmen der Vollservice-Lösung gehalten werden.

 

Nicht viele Menschen sind jedoch in der Lage oder bereit, die eng definierten Regeln der Bereitstellung vollumfänglich selbst umzusetzen. Daher ergeben sich in der Praxis deutlich längere Verweilzeiten der Tonnen im öffentlichen Straßenraum. Dies mag in ländlichen Regionen, die den obligatorischen Vollservice nicht kennen, kein größeres Problem darstellen. In den stark verdichteten Siedlungsstrukturen einer Großstadt sieht dies anders aus. Abfallbehälter, welche regelmäßig bereits am Vorabend an die Straße gestellt und bestenfalls am Folgeabend wieder zurückgeholt werden, blockieren insbesondere im Innenstadtbereich automatisch öffentliche Flächen, insbesondere Geh- und Radwege. Hierdurch wird die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt, unter Umständen sogar gefährdet.

 

Der Vollservice verfolgt also grundsätzliche Ziele, welche weit über abfallwirtschaftliche Fragestellungen hinausgehen und keinesfalls leichtfertig und ohne Blick auf die Gesamtzusammenhänge aufgegeben werden sollten, schon gar nicht isoliert für ein einzelnes Behältersystem. Daher sollte die Stadt einen solchen Schritt nur aufgrund einer fundierten, grundsätzlichen Entscheidung vollziehen. Solange dem Schutz und der Entlastung des öffentlichen Raumes noch ein Eigenwert beigemessen wird, muss der Vollservice für alle Behältersysteme erhalten bleiben.

 

Ein weiterer Aspekt ist bei dieser Fragestellung zu berücksichtigen: Der Vollservice für die derzeit bereits ausgegebenen Kieler Gelben Tonnen wird seit knapp 30 Jahren vollumfänglich durch die Dualen Systeme finanziert. Einschränkungen wie Maximalentfernungen und/oder Anzahl und Höhe von Treppenstufen sind – anders als bei den städtischen Behältern – nicht vorgesehen. Die von den Dualen Systemen in Kiel zu erbringenden Leistungen sind als nachgerade luxuriös einzustufen. Es dürfte sich in Deutschland kaum ein vergleichbares Serviceangebot finden. Die Stadt sollte sich dieses Privileg unbedingt erhalten.

 

  1. Beibehalten des derzeitigen gemischten LVP-Erfassungssystems

Vor dem Hintergrund der derzeitigen Rechtsprechungspraxis empfiehlt Frau Dr. Vetter der Stadt, zunächst das Ergebnis der zurzeit laufenden Gerichtsverfahren zum Thema "Vollservice und Rahmenvorgabe" abzuwarten und das derzeitige gemischte LVP-Erfassungssystem in Kiel beizubehalten.

 

Bislang wurde die Zuordnung von Sack und Tonne zu den einzelnen Grundstücken historisch bedingt stets als starr aufgefasst, Änderungswünsche hat die Fa. Remondis in aller Regel zurückgewiesen. Eine erneute, sorgfältige Prüfung des Wortlauts der Kieler LVP-Systembeschreibung legt jedoch nahe, dass die Grundeigentümer und Grundeigentümerinnen ein grundsätzliches Wahlrecht haben, welches Sammelsystem bei ihnen eingesetzt werden soll. Der ABK hat die Fa. Zentek als den für die Stadt Kiel zuständigen Gemeinsamen Vertreter der Dualen Systeme um Stellungnahme gebeten. Zentek hat mit Schreiben vom 19.10.20 offiziell mitgeteilt, die Auffassung der Stadt zu teilen. Auf Grundlage dieser neuen Einschätzung ergibt sich ein anderer, interessanter Ansatz:

 

Zurzeit werden auf ca. 2/3 der Kieler Grundstücke Gelbe Säcke eingesetzt. Nach Angaben des auf Abfallwirtschaftsfragen spezialisierten renommierten Beratungsbüros INFA aus Ahlen wollen jedoch nur ca. ¼ der Angeschlossenen von sich aus Gelbe Säcke verwenden. Alle anderen Haushalte bevorzugen demnach Gelbe Tonnen. Die Wahlfreiheit vorausgesetzt, würde dies bedeuten, dass sich die Anzahl der Grundstücke, welche Säcke verwenden, von ca. 22.000 auf ca. 8.000 verringern könnte – ein Rückgang um bis zu 60 %. Im Gegenzug würde sich die Anzahl der Gelben Tonnen mehr als verdoppeln. Auf diesem Wege ließe sich – ohne Aufwand und ohne jedes rechtliche Risiko – die in Kiel beklagte Verschmutzungsproblematik aufgrund aufreißender Gelber Säcke ganz erheblich zurückdrängen. Dies wäre ein bedeutender Schritt hin zu mehr Stadtsauberkeit. Zugleich würde der in der Systembeschreibung festgelegte Vollservice für die Gelben Tonnen in vollem Umfang erhalten bleiben.

 

Was diese Entwicklung für das mit der LVP-Erfassung beauftragte Unternehmen gegebenenfalls bedeutet, ist an dieser Stelle nicht zu klären. Diese Thematik betrifft ausschließlich das Binnenverhältnis zwischen den Dualen Systemen und deren Auftragnehmer.

 

Um diese Handlungsalternative umzusetzen, ist lediglich die Rücknahme des am 19.03.20 gefassten Beschlusses zum Erlass einer Rahmenvorgabe erforderlich. Anschließend ist die Kieler Bevölkerung aktiv über die neue Freiheit bei der Wahl des geeigneten LVP-Erfassungssystems in Kenntnis zu setzen. Ein entsprechendes Informationskonzept wird die Unternehmenskommunikation des ABK in Zusammenarbeit mit der Stadt erarbeiten und umsetzen.

 

 

 

 

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